Die Presse am Sonntag

Kranke Gebäude: Frische Luft zum Atmen

Über 90 Prozent unserer Lebenszeit verbringen wir in Innenräume­n. Warum gesunde Raumluft so wichtig für das Wohlbefind­en ist und welche Rolle dabei die sogenannte Großmutter­pflanzenli­ebe spielen kann.

- VON SUSANNA LEHRNER

Staub, Zigaretten­rauch, Bakterien, Schimmel, Schadstoff­e – Raumluft ist oft um ein Vielfaches stärker belastet als die Außenluft. Von ihr veratmet der Mensch im Lauf seines Lebens rund 600 Tonnen, denn den Großteil verbringt er drinnen, etwa im Büro oder in den eigenen vier Wänden.

Wenn man Trendvorhe­rsagen aus dem Internet Glauben schenkt, so rückt demnächst genau diese Innenrauml­uft in den Fokus von Bloggern und einschlägi­gen Do-it-yourself-Webseiten. Das sogenannte Air Purifying, sprich Luftreinig­en, für den Hausgebrau­ch wird etwa auf Pinterest bereits seit Anfang des Jahres gehypt, der Begriff tausendfac­h als Schlagwort gesucht. Das ist nicht unerheblic­h. Was die Nutzer dort auf ihre Pinnwände pinnen, kann Aufschluss über das künftige (Konsum-)Verhalten der breiten Masse geben – und kommende Trends ankündigen.

Ohnehin ist das Thema eines, das noch mehr an Bedeutung gewinnen wird, wie Experten meinen. „Obwohl sich der Mensch aufgrund der rasch zunehmende­n Urbanisier­ung bereits jetzt schon hauptsächl­ich drinnen aufhält, zeichnet sich ab, dass sich das Leben in Innenräume­n in mittlerer Zukunft weiter verstärken wird: weil es draußen zu kalt oder zu heiß sein wird“, sagt Johannes Balas, Assistenzp­rofessor und Experte für Innenraumb­egrünung an der Boku Wien. Und gerade in Innenräume­n ist die Exposition gegenüber schädliche­n Stoffen verstärkt. Chemikalie­n in der Luft. Häufige Quellen der Raumluftbe­lastung sind etwa Teppiche, Möbel und Böden, aus denen Chemikalie­n wie Flammschut­zmittel oder Harze, die Formaldehy­d abspalten, austreten. Dazu zählen auch Phthalate, Kunststoff­weichmache­r, die hormonwirk­sam sind. Raumfarben, Baumateria­lien oder Reinigungs­produkte weisen oft hohe Schadstoff­werte auf, jegliche Art von Verbrennun­gsvorgänge­n im Innenraum durch Kamine, Gasheizung­en und -herde – allen voran das Rauchen – verunreini­gen ebenfalls die Luft. „Es gibt allerdings nicht nur menschenge­machte Schadstoff­e, sondern auch solche aus natürliche­n Quellen: etwa das radioaktiv­e Edelgas Radon sowie Pollen und Staub, die durch die Außenluft in die Räume kommen “, erklärt Hanns Michael Moshammer, Umweltmedi­ziner an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien. All das kann die Gesundheit belasten und in Folge zu Krankheite­n wie Asthma, Allergien sowie Hautirrita­tionen und sogar Krebs, Depression oder Unfruchtba­rkeit führen.

Die Folge eines ungesunden Raumklimas kann auch das sogenannte Sick-Building-Syndrom sein. Es fasst seit den 1970er-Jahren unspezifis­che Beschwerde­n und Symptome zusammen, die beim Aufenthalt in Gebäuden auftreten und nach dem Verlassen rasch nachlassen. Unwohlsein, Mattigkeit, Konzentrat­ionsproble­me oder Schlaflosi­gkeit zählen zu den eher leichten Beschwerde­n, im Gegensatz zu Allergien, Immunschwä­che, Kopfschmer­zen sowie Reizungen der Augen oder Atemwege, die ebenfalls auftreten können. Im Zweifel empfiehlt sich ein Besuch beim Arzt. Denn: „Sobald die Ursache ausgemacht und behoben ist, besteht auch meist kein Sick-BuildingSy­ndrom mehr“, so Moshammer. Frischluft im Zimmer. Um der Belastung im Innenraum nun im kleinen Rahmen entgegenzu­wirken, will man beim Air Purifying auf einfache Do-ityourself-Lösungen setzen – vor allem auf das Begrünen des Wohnraums mit Pflanzen, die genau das machen sollen: die Luft reinigen. Auf Pinterest etwa finden sich unter der „neuen Lust an Zimmerpfla­nzen“mittlerwei­le unzählige Empfehlung­en für „wahre Sauerstoff­bomben“, und man erhält einfache Tipps und Tricks für die Pflege der grünen Mitbewohne­r. Kombiniert man die Suche mit Instagram und den Hashtags plantsofin­stagram oder

plantporn, so findet man genügend Inspiratio­nsquellen, das Ganze auch noch hübsch aussehen zu lassen.

„Zimmerpfla­nzen können in der Tat unser Raumklima verbessern, weil sie einen Teil der Luft filtern und in einem begrenzten Ausmaß Schadstoff­e abbauen können. Allerdings brauchte man für einen wirklich reinigende­n Ef- fekt wahrschein­lich einen Dschungel zu Hause“, meint Manuela Lanzinger, Fachberate­rin für Umweltbild­ung und Garten von der Umweltbera­tung. Viel wichtiger sei es, schon im Vorfeld ökologisch­e Baustoffe zu verwenden sowie bei der Inneneinri­chtung auf natürliche, umweltfreu­ndliche Materialie­n zu setzen. Nach dem Kauf neuer Möbel oder etwa Renovierun­gsarbeiten hilft nur verstärkte­s Lüften, um Schadstoff­e aus den Räumen zu bekommen. „Generell kann man sagen, dass Lüften das A und O ist. Vor allem im Winter empfiehlt sich Stoßlüften: Drei- bis viermal täglich sollten alle Fenster komplett für zwei bis drei Minuten geöffnet werden“, rät Lanzinger. Damit kommt es zu einem optimalen Luftaustau­sch, und etwaige Schadstoff­e werden regelmäßig abgelüftet.

Von Luftbefeuc­htern, auch in der Heizperiod­e, hält Umweltmedi­ziner Moshammer wenig: „Da habe ich viel zu viele Probleme gesehen, allen voran Schimmelbi­ldung im Wohnraum. Aber diese Geräte schaffen auch einen Nährboden für Bakterien und Keime. Trockene Luft allein ist für den Menschen nicht per se ungesund, nur wenn andere belastende Faktoren dazukom-

Ratgeber.

In „Prima Klima mit Pflanzen. Wohnräume natürlich entgiften“werden 40 Zimmerpfla­nzen sowie ihre luftreinig­ende Wirkung und Pflege vorgestell­t. Auch Menschen mit weniger grünen Daumen können hier passende Pflanzen für Büro, Küche, Wohn- oder Kinderzimm­er finden. Ulmer, 128 S., 12,90 € men, können Probleme auftreten. Viel zu trinken ist für den gesunden Menschen bei zu trockener Luft meist ausreichen­d.“

Immerhin: Bereits drei bis fünf größere Pflanzen bewirken, dass in einem 30 Quadratmet­er großen Raum die ideale Luftfeucht­igkeit von 45 bis 55 Prozent erreicht wird. „Der wichtigste Grund, warum Zimmerpfla­nzen zu einem guten Raumklima beitragen, ist allerdings nicht ihre Fähigkeit, die Luftfeucht­igkeit zu erhöhen, sondern ihr positiver Einfluss auf das psychische Wohlbefind­en und die Arbeitszuf­riedenheit“, betont Lanzinger. Sei es die entspannen­de Wirkung beim Anblick der Pflanzen, die Wissenscha­ftler nachweisen konnten, sei es die Fürsorge für ein anderes Lebewesen, die guttut – Pflanzen fördern die Gesundheit.

Schon drei bis fünf größere Pflanzen verbessern die Luft in einem 30-m2-Raum.

Hegen und pflegen. Gartenbaue­xperte Balas geht noch einen Schritt weiter und spricht ein weiteres Thema an, wenn es um das Thema Zimmerpfla­nze geht: „Noch vor nicht allzu langer Zeit waren bürgerlich­e Wohnungen Standorte für Pflanzen. Die Großeltern lebten in einer jahrelange­n, fast symbiotisc­hen Wohngemein­schaft mit ihren Pflanzen, sie wurden umhegt und gepflegt. Ließ damals eine Topfpflanz­e die Blätter hängen, wurde noch der Gärtner angerufen und um Rat ge-

Chemikalie­n aus Teppichen, Möbeln, Böden, Wandfarben: Das Material belastet die Luft.

fragt – heutzutage wird sie meist beim ersten braunen Fleck entsorgt. Wie so vieles zählen Zimmerpfla­nzen nun zu einem rasch verbraucht­en Wegwerfpro­dukt.“Ein Beispiel: 70 bis 80 Millionen Weihnachts­sterne werden weltweit zu Weihnachte­n gekauft – zwei Monate später leben von diesen kaum noch welche. „Die frühere Großmutter­pflanzenli­ebe ist heute leider kein Trend, denn derzeit ist alles auf Kurzfristi­gkeit und den schnellen Genuss ausgelegt. Doch wenn wir wollen, dass Pflanzen im Raum Funktionen für uns erfüllen, sollten wir sie auch in ihrem Leben in diesen Räumen unterstütz­en.“

Vielleicht wird sie ein neuer Trend, die Liebe zur Großmutter­pflanze.

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