Die neue Pillenmüdigkeit
Noch ist die Antibabypille das beliebteste Verhütungsmittel, doch immer mehr Frauen wenden sich von ihr ab – weil sie Thrombosen fürchten oder die hormonelle Beeinflussung satthaben. Ein berechtigter Sinneswandel oder unbegründeter Hype? Und wie wirksam s
Es war, als hätte jemand die Käseglocke von mir abgenommen“, schreibt eine Frau in einem Onlineforum über die Zeit, in der sie die Pille absetzte. „Mir geht es jetzt psychisch viel besser“, erzählt eine andere. „Man merkt erst, wie sehr einen die Hormone verändern, wenn man sie nicht mehr nimmt“, schreibt eine dritte. Wer sich unter Frauen in ihren Zwanzigern und Dreißigern umhört, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ähnliche Geschichten hören. Die Antibabypille, einst Symbol für Freiheit und Emanzipation, hat derzeit nicht den besten Stand.
Im Netz berichten Frauen, die mit der Pille aufgehört haben, von Depressionen, Fressattacken und schrecklichen Stimmungsschwankungen, die sie nun endlich los seien, andere von der geradezu „zombiemäßigen Ausgeglichenheit“, die sie unter Hormoneinfluss an den Tag legten. Und von der Libido, die, durch die Pille gedämpft, nach dem Absetzen wieder erwachte: „Ich hab endlich wieder Lust auf Sex!“
„Hatte die Pille jahrelang mein Sexleben ruiniert?“, fragt sich auch Sabine Kray in ihrem im Vorjahr erschienenen Buch „Freiheit von der Pille“, in dem sie einen leichtsinnigen Umgang der Gesellschaft mit der Pille kritisiert: Frauen wüssten viel zu wenig über die Funktionsweise und Nebenwirkungen der Pille, Ärzte würden sie viel zu leicht verschreiben, die Pharmaindustrie sie als Wundermittel vermarkten. Dem anerkannten Diktum, wonach die Pille den Frauen mehr Selbstbestimmung ermöglicht hat, setzt sie entgegen, dass ein Körper, der „in vielerlei Hinsicht chemisch manipuliert wird“, nicht selbstbestimmt sein könne. Neues Lebensgefühl. Sie selbst setzte die Pille nach siebzehn Jahren aus eher unspektakulären Gründen ab: Sie hatte nicht rechtzeitig einen Arzttermin bekommen, um ihr Rezept verlängern zu lassen, festen Freund hatte sie keinen und somit keine Notwendigkeit für durchgehende Verhütung. Spontan entschied sie, es mit der Pille „einfach einmal sein“zu lassen. Daraufhin habe sich ihr Lebensgefühl verändert: Sexuelles Begehren „kam unvermittelt und unangekündigt über mich. Ich begann, mich selbstbewusster zu fühlen, in jederlei Hinsicht näher an meinen Bedürfnissen, nicht nur, was den Sex anging.“
Die Pillenmüdigkeit, die seit einiger Zeit um sich greift, lässt sich auch in Zahlen messen. Noch immer ist die Pille das Verhütungsmittel Nummer eins, doch der Anteil der Frauen, der auf sie setzt, geht zurück: 45 Prozent der österreichischen Frauen zwischen 16 und 49 Jahren nahmen sie 2012 noch, 2015 waren es nur noch 38 Prozent, zeigt der vom Ambulatorium Gynmed herausgegebene Verhütungsreport (die Nutzung anderer Verhütungsmittel stieg im gleichen Zeitraum bemerkenswerterweise nicht an). Das wirkt sich auch auf den Pillenmarkt aus: Rund 18,9 Millionen Euro wurden hierzulande im Vorjahr, genau genommen zwischen Dezember 2016 und November 2017, umgesetzt. Vier Jahre zuvor waren es noch 24,3 Millionen.
Ist der Argwohn der Pillenskeptikerinnen begründet? Findet hier ein berechtigtes Umdenken statt? Oder sind es diffuse Ängste, die dazu führen, dass immer mehr Frauen auf die Pille verzichten wollen?
Letzteres, meint Christian Egarter, der die klinische Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Med-Uni Wien leitet. „Die Pille ist eine der bestuntersuchten Medikationen, seit sie in den frühen 1960er-Jahren auf den Markt gekommen ist.“Er glaubt, dass die Pillenangst „durch Publikationen getriggert wird, die in der Bevölkerung falsch verstanden werden“. Für Aufsehen sorgten etwa die Berichte über die Deutsche Felicitas Rohrer, die – vermutlich wegen der Pille – an einer Lungenembolie fast gestorben wäre und daraufhin den Pharmariesen Bayer verklagte. Erst kürzlich untersuchte der Verein für Konsumenteninformation 84 Pillenpräparate – und stufte 44 davon wegen eines erhöhten Thromboserisikos als „wenig geeignet“ein. „Einzelfälle“. Grundsätzlich wird das Risiko für Thrombosen, also Blutgerinnsel in einem Blutgefäß, durch die Pille verdoppelt. „Das klingt dramatisch, wenn man es aber anhand der absoluten Zahlen liest, ist es praktisch verschwindend“, sagt Egarter. Ohne Pille liegt die Wahrscheinlichkeit einer Thrombose bei drei Fällen in 10.000 Frauenjahren, mit Pille erhöht sie sich auf sechs. Viel größere Risikofaktoren seien lange Liegezeiten etwa nach Operationen, Alter, BodyMass-Index, Körpergröße und genetische Veranlagung. „Wenn Sie über 45 sind, einen BMI über 30 haben, zusätzlich womöglich eine Gerinnungsstörung – dann potenziert sich das Risiko mit der Pille natürlich“, so Egarter. Sonst sei die Pille kaum bedenklich. Deutlich erhöht ist das Thromboserisiko auch während einer Schwangerschaft. Egarter will nicht ausschließen, „dass die Pille unter dem Strich gar einen Rückgang der Thrombosehäufigkeit bewirken könnte, weil sie ja Schwangerschaften verhindert“. Dass eine Thrombose in weiterer Folge zu einer Lungenembolie führt, sei äußerst unwahrscheinlich: „Das sind Einzelfälle, in ganz Europa passiert das zwei- oder dreimal pro Jahr.“
Berichte, wonach Pillen der dritten und vierten Generation besonders gefährlich seien, seien mit Vorsicht zu behandeln, erklärt er. Das Thromboserisiko sei nämlich nur in den ersten Einnahmemonaten erhöht und sinke dann wieder auf normales Niveau ab. Dadurch schnitten ältere Präparate, die schon länger genommen werden, in Studien tendenziell besser ab. Aus demselben Grund seien auch Pillen, die für schöne Haut sorgen sollen und vor allem Teenagern verschrieben werden, verschrien: „Die Mädchen hören dann nach drei Monaten wieder auf, wenn die Haut besser wird – und wenn sie schlechter wird, fangen sie wieder an.“Damit bleibe auch das Thromboserisiko statistisch erhöht. Libidoverlust? Und was ist mit den psychischen Nebenwirkungen? Mit den Depressionen, den gedämpften Emotionen, den Stimmungsschwankungen, dem Libidoverlust? „Man weiß, dass Steroidhormone durchaus Auswirkungen auf Gehirnfunktionen haben können“, sagt Egarter. Das zu evaluieren sei aber schwierig. „Was die Libido betrifft, zeigen große, umfangreiche Studien eigentlich keinen Einfluss der Pille.“Manche argumentieren, dass durch den Wegfall der Schwangerschaftsangst die Lust auf Sex sogar größer wird. Sie sei aber ohnehin von vielen Faktoren abhängig. „Wenn Sie Kerzenlicht haben, einen gewissen Alkoholspiegel und ein attraktives Gegenüber, dann haben sie eine völlig andere Libidokonstellation, als wenn sie tagsüber schwerer Arbeit nachgehen. Solche Faktoren spielen eine viel größere Rolle als eine Pille.“
Ganz neu ist das Phänomen der Hormonangst übrigens nicht, es kommt in Wellen. „Überdruss an der Pille“titelte der „Spiegel“schon 1977. In den 1990er-Jahren heizten Berichte und eine Behördenwarnung wegen des erhöhten Thromboserisikos in England einen „pill scare“an, der nicht folgenlos blieb: Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nahm daraufhin um neun Prozent zu.
»Ich begann mich selbstbewusster zu fühlen, nicht nur was den Sex anging.« »Jede PR-Aktion für unsichere Methoden führt zu mehr Schwangerschaftsabbrüchen.«
Zwar sei die Zahl der Abtreibungen in ihrer Einrichtung in den vergangenen Jahren konstant geblieben, sagt Elke Graf, die das Ambulatorium Pro-Woman am Wiener Fleischmarkt leitet. Einen Trend weg von hormonellen Verhütungsmitteln beobachtet aber auch sie. Das gehe so weit, dass manche Frauen aus Angst vor Hormonen gar nicht verhüten: „Die sitzen dann mitunter hier.“
Tatsächlich gibt es deutlich mehr Frauen, die aus Abneigung gegen Hormone auf Verhütung ganz verzichten, als solche, die es aus bewusstem Kinderwunsch tun. Andere steigen auf hormonfreie Alternativen um, etwa die Kupferspirale oder Kupferkette: Sie sitzt in der Gebärmutter und macht die Spermien unbeweglich – und ist, entgegen landläufi-