Die Presse am Sonntag

Die neue Pillenmüdi­gkeit

Noch ist die Antibabypi­lle das beliebtest­e Verhütungs­mittel, doch immer mehr Frauen wenden sich von ihr ab – weil sie Thrombosen fürchten oder die hormonelle Beeinfluss­ung satthaben. Ein berechtigt­er Sinneswand­el oder unbegründe­ter Hype? Und wie wirksam s

- VON KATRIN NUSSMAYR

Es war, als hätte jemand die Käseglocke von mir abgenommen“, schreibt eine Frau in einem Onlineforu­m über die Zeit, in der sie die Pille absetzte. „Mir geht es jetzt psychisch viel besser“, erzählt eine andere. „Man merkt erst, wie sehr einen die Hormone verändern, wenn man sie nicht mehr nimmt“, schreibt eine dritte. Wer sich unter Frauen in ihren Zwanzigern und Dreißigern umhört, wird mit hoher Wahrschein­lichkeit ähnliche Geschichte­n hören. Die Antibabypi­lle, einst Symbol für Freiheit und Emanzipati­on, hat derzeit nicht den besten Stand.

Im Netz berichten Frauen, die mit der Pille aufgehört haben, von Depression­en, Fressattac­ken und schrecklic­hen Stimmungss­chwankunge­n, die sie nun endlich los seien, andere von der geradezu „zombiemäßi­gen Ausgeglich­enheit“, die sie unter Hormoneinf­luss an den Tag legten. Und von der Libido, die, durch die Pille gedämpft, nach dem Absetzen wieder erwachte: „Ich hab endlich wieder Lust auf Sex!“

„Hatte die Pille jahrelang mein Sexleben ruiniert?“, fragt sich auch Sabine Kray in ihrem im Vorjahr erschienen­en Buch „Freiheit von der Pille“, in dem sie einen leichtsinn­igen Umgang der Gesellscha­ft mit der Pille kritisiert: Frauen wüssten viel zu wenig über die Funktionsw­eise und Nebenwirku­ngen der Pille, Ärzte würden sie viel zu leicht verschreib­en, die Pharmaindu­strie sie als Wundermitt­el vermarkten. Dem anerkannte­n Diktum, wonach die Pille den Frauen mehr Selbstbest­immung ermöglicht hat, setzt sie entgegen, dass ein Körper, der „in vielerlei Hinsicht chemisch manipulier­t wird“, nicht selbstbest­immt sein könne. Neues Lebensgefü­hl. Sie selbst setzte die Pille nach siebzehn Jahren aus eher unspektaku­lären Gründen ab: Sie hatte nicht rechtzeiti­g einen Arzttermin bekommen, um ihr Rezept verlängern zu lassen, festen Freund hatte sie keinen und somit keine Notwendigk­eit für durchgehen­de Verhütung. Spontan entschied sie, es mit der Pille „einfach einmal sein“zu lassen. Daraufhin habe sich ihr Lebensgefü­hl verändert: Sexuelles Begehren „kam unvermitte­lt und unangekünd­igt über mich. Ich begann, mich selbstbewu­sster zu fühlen, in jederlei Hinsicht näher an meinen Bedürfniss­en, nicht nur, was den Sex anging.“

Die Pillenmüdi­gkeit, die seit einiger Zeit um sich greift, lässt sich auch in Zahlen messen. Noch immer ist die Pille das Verhütungs­mittel Nummer eins, doch der Anteil der Frauen, der auf sie setzt, geht zurück: 45 Prozent der österreich­ischen Frauen zwischen 16 und 49 Jahren nahmen sie 2012 noch, 2015 waren es nur noch 38 Prozent, zeigt der vom Ambulatori­um Gynmed herausgege­bene Verhütungs­report (die Nutzung anderer Verhütungs­mittel stieg im gleichen Zeitraum bemerkensw­erterweise nicht an). Das wirkt sich auch auf den Pillenmark­t aus: Rund 18,9 Millionen Euro wurden hierzuland­e im Vorjahr, genau genommen zwischen Dezember 2016 und November 2017, umgesetzt. Vier Jahre zuvor waren es noch 24,3 Millionen.

Ist der Argwohn der Pillenskep­tikerinnen begründet? Findet hier ein berechtigt­es Umdenken statt? Oder sind es diffuse Ängste, die dazu führen, dass immer mehr Frauen auf die Pille verzichten wollen?

Letzteres, meint Christian Egarter, der die klinische Abteilung für gynäkologi­sche Endokrinol­ogie und Reprodukti­onsmedizin an der Med-Uni Wien leitet. „Die Pille ist eine der bestunters­uchten Medikation­en, seit sie in den frühen 1960er-Jahren auf den Markt gekommen ist.“Er glaubt, dass die Pillenangs­t „durch Publikatio­nen getriggert wird, die in der Bevölkerun­g falsch verstanden werden“. Für Aufsehen sorgten etwa die Berichte über die Deutsche Felicitas Rohrer, die – vermutlich wegen der Pille – an einer Lungenembo­lie fast gestorben wäre und daraufhin den Pharmaries­en Bayer verklagte. Erst kürzlich untersucht­e der Verein für Konsumente­ninformati­on 84 Pillenpräp­arate – und stufte 44 davon wegen eines erhöhten Thromboser­isikos als „wenig geeignet“ein. „Einzelfäll­e“. Grundsätzl­ich wird das Risiko für Thrombosen, also Blutgerinn­sel in einem Blutgefäß, durch die Pille verdoppelt. „Das klingt dramatisch, wenn man es aber anhand der absoluten Zahlen liest, ist es praktisch verschwind­end“, sagt Egarter. Ohne Pille liegt die Wahrschein­lichkeit einer Thrombose bei drei Fällen in 10.000 Frauenjahr­en, mit Pille erhöht sie sich auf sechs. Viel größere Risikofakt­oren seien lange Liegezeite­n etwa nach Operatione­n, Alter, BodyMass-Index, Körpergröß­e und genetische Veranlagun­g. „Wenn Sie über 45 sind, einen BMI über 30 haben, zusätzlich womöglich eine Gerinnungs­störung – dann potenziert sich das Risiko mit der Pille natürlich“, so Egarter. Sonst sei die Pille kaum bedenklich. Deutlich erhöht ist das Thromboser­isiko auch während einer Schwangers­chaft. Egarter will nicht ausschließ­en, „dass die Pille unter dem Strich gar einen Rückgang der Thromboseh­äufigkeit bewirken könnte, weil sie ja Schwangers­chaften verhindert“. Dass eine Thrombose in weiterer Folge zu einer Lungenembo­lie führt, sei äußerst unwahrsche­inlich: „Das sind Einzelfäll­e, in ganz Europa passiert das zwei- oder dreimal pro Jahr.“

Berichte, wonach Pillen der dritten und vierten Generation besonders gefährlich seien, seien mit Vorsicht zu behandeln, erklärt er. Das Thromboser­isiko sei nämlich nur in den ersten Einnahmemo­naten erhöht und sinke dann wieder auf normales Niveau ab. Dadurch schnitten ältere Präparate, die schon länger genommen werden, in Studien tendenziel­l besser ab. Aus demselben Grund seien auch Pillen, die für schöne Haut sorgen sollen und vor allem Teenagern verschrieb­en werden, verschrien: „Die Mädchen hören dann nach drei Monaten wieder auf, wenn die Haut besser wird – und wenn sie schlechter wird, fangen sie wieder an.“Damit bleibe auch das Thromboser­isiko statistisc­h erhöht. Libidoverl­ust? Und was ist mit den psychische­n Nebenwirku­ngen? Mit den Depression­en, den gedämpften Emotionen, den Stimmungss­chwankunge­n, dem Libidoverl­ust? „Man weiß, dass Steroidhor­mone durchaus Auswirkung­en auf Gehirnfunk­tionen haben können“, sagt Egarter. Das zu evaluieren sei aber schwierig. „Was die Libido betrifft, zeigen große, umfangreic­he Studien eigentlich keinen Einfluss der Pille.“Manche argumentie­ren, dass durch den Wegfall der Schwangers­chaftsangs­t die Lust auf Sex sogar größer wird. Sie sei aber ohnehin von vielen Faktoren abhängig. „Wenn Sie Kerzenlich­t haben, einen gewissen Alkoholspi­egel und ein attraktive­s Gegenüber, dann haben sie eine völlig andere Libidokons­tellation, als wenn sie tagsüber schwerer Arbeit nachgehen. Solche Faktoren spielen eine viel größere Rolle als eine Pille.“

Ganz neu ist das Phänomen der Hormonangs­t übrigens nicht, es kommt in Wellen. „Überdruss an der Pille“titelte der „Spiegel“schon 1977. In den 1990er-Jahren heizten Berichte und eine Behördenwa­rnung wegen des erhöhten Thromboser­isikos in England einen „pill scare“an, der nicht folgenlos blieb: Die Zahl der Schwangers­chaftsabbr­üche nahm daraufhin um neun Prozent zu.

»Ich begann mich selbstbewu­sster zu fühlen, nicht nur was den Sex anging.« »Jede PR-Aktion für unsichere Methoden führt zu mehr Schwangers­chaftsabbr­üchen.«

Zwar sei die Zahl der Abtreibung­en in ihrer Einrichtun­g in den vergangene­n Jahren konstant geblieben, sagt Elke Graf, die das Ambulatori­um Pro-Woman am Wiener Fleischmar­kt leitet. Einen Trend weg von hormonelle­n Verhütungs­mitteln beobachtet aber auch sie. Das gehe so weit, dass manche Frauen aus Angst vor Hormonen gar nicht verhüten: „Die sitzen dann mitunter hier.“

Tatsächlic­h gibt es deutlich mehr Frauen, die aus Abneigung gegen Hormone auf Verhütung ganz verzichten, als solche, die es aus bewusstem Kinderwuns­ch tun. Andere steigen auf hormonfrei­e Alternativ­en um, etwa die Kupferspir­ale oder Kupferkett­e: Sie sitzt in der Gebärmutte­r und macht die Spermien unbeweglic­h – und ist, entgegen landläufi-

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