»Die Juden können ihre Koffer packen«
Der Hass gegen Juden sei noch präsent, warnt der Zeitzeuge Viktor Klein.
Aus der Geschichte lerne man, dass die Menschheit aus der Geschichte nichts lerne, ist Viktor Klein überzeugt. „Wer hätte vor dem Zweiten Weltkrieg gedacht, welche Auswüchse der Antisemitismus annehmen kann?“, fragt der 90-Jährige, während er auf ein schwarzweißes Familienfoto blickt. „Damals waren wir noch komplett“, sagt er und meint seine Eltern, seine drei Brüder und seine Schwester. Das Bild stammt aus dem Jahr 1934, aufgenommen im heute ukrainischen Mukatschewo.
Zehn Jahre später lebten nur noch Klein, zwei seiner Brüder und sein Vater. „Ab dem 19. März 1944 wurde die Stadt zum Ghetto, vier Wochen später wurden wir in Waggons gepfercht und nach Auschwitz deportiert“, schildert er. Kaum ausgestiegen, begann die Selektion: das Todesurteil für Kleins Mutter, seine Schwester und den jüngsten Bruder. „Ich kam zum Müllfahrerkommando, später wurde ich in die Küche zum Erdäpfelschälen versetzt“, sagt er. Ein „Glücksfall“aus heutiger Sicht.
Am 18. Jänner 1945 wurde Klein überstellt: über Mauthausen und Melk gelangte er nach Ebensee, wo er schließlich die Befreiung durch die Amerikaner erlebte. „Ich war dankbar und hoffte, dass sich die Schikanen und der Hass auf die Juden nie wiederholen würden“, sagt der Vater zweier Töchter und eines Sohnes, der seit fünf Jahrzehnten in Wien lebt. „Ich fürchte, beim Hass habe ich geirrt“, spielt er auf den Liederbuch-Skandal rund um Udo Landbauer an, den ehemaligen Spitzenkandidaten der FPÖ Niederösterreich, der mittlerweile von all seinen politischen Funktionen zurückgetreten ist. „Judenverachtende Texte sind in Burschenschaften präsent; kommt das auf, ist man kurz empört und dann geht man zur Tagesordnung zurück – das ist das Problem“, kritisiert Klein. „Die Hintergründe gehören erörtert, sonst ändert sich nichts“, mahnt er insbesondere die FPÖ, deren Regierungsbeteiligung ihm Sorgen macht. Der Zeitzeuge ist überzeugt: „Der Hass wird immer wieder aufflackern.“Allerdings gäbe es einen Ausweg: „Die Juden können heute zum Glück einfach ihre Koffer packen.“