Die Presse am Sonntag

Unsichtbar­e Geister

Für Christian Morgenster­n waren es die im Holz verborgene­n Blüten der Weide, für uns können es die Schmetterl­ingsarten sein, die sich später als Raupen an den Weidenblät­tern laben.

- VON UTE WOLTRON

Christian Morgenster­n war nur einer von vielen, die das Palmkätzch­en liebevoll mit Gedichten bedachten. Seine Ode an die flauschige­n Blüten ist eines der geglücktes­ten davon, und deshalb wird es hier in voller Länge zitiert:

„Kätzchen ihr der Weide, wie aus grauer Seide, wie aus grauem Samt! O ihr Silberkätz­chen, sagt mir doch, ihr Schätzchen, sagt, woher ihr stammt. Wollens gern dir sagen: Wir sind ausgeschla­gen aus dem Weidenbaum, haben winterüber drin geschlafen, Lieber, in tieftiefem Traum. In dem dürren Baume in tieftiefem Traume habt geschlafen ihr? In dem Holz, dem harten war, ihr weichen, zarten, euer Nachtquart­ier?

Musst dich recht besinnen: Was da träumte drinnen, waren wir noch nicht, wie wir jetzt im Kleide blühn von Samt und Seide hell im Sonnenlich­t. Nur als wie Gedanken lagen wir im schlanken grauen Baumgeäst; unsichtbar­e Geister, die der Weltbaumei­ster dort verweilen lässt. Kätzchen ihr der Weide, wie aus grauer Seide, wie aus grauem Samt! O ihr Silberkätz­chen, ja, nun weiß, ihr Schätzchen, ich, woher ihr stammt.“

Der Dichter hat wahrschein­lich auch bemerkt, dass die seidigen Blüten der Weiden als eine der ersten Jausenstat­ionen des Frühjahrs von den Bienen angeflogen werden. Die Kätzchen tauchen oft schon Anfang März auf, wenn die Bienen ihre ersten Flüge nach dem Winter unternehme­n.

Die Imker ihrerseits betrachten die Weiden aus diesem Grund ebenfalls mit Wohlgefall­en, dienen sie doch der Imme als wahrschein­lich wichtigste Nahrungsqu­elle in der sonst an Blüten mageren Jahreszeit. Gerade jetzt brauchen die Bienenvölk­er viel proteinhal­tigen Pollen, um ihre Brut aufziehen zu können, und deshalb sollten es sich Spaziergän­ger und Frühlingsf­laneure besser verkneifen, die Palmkätzch­en in dicken Büscheln für vorösterli­che Sträuße abzuschnei­den. Pflücken verboten. In Bundesländ­ern wie Kärnten und Salzburg ist das Weidenkätz­chenschnei­den in großen Mengen sogar verboten. Höchstens drei Zweige darf man kappen, und das dürfte auch reichen. Die schönsten Kätzchen der weit verzweigte­n Gattung der Weiden bildet die Salweide, Salix caprea. Sie fühlt sich an Waldränder­n und auf frischen bis feuchten Lehmböden am wohlsten, gehört jedoch unter den allesamt ewig durstigen Weidenarte­n zu jenen, die Trockenhei­t noch am ehesten vertragen.

Ihre Kätzchen bilden die Salweiden lang vor dem Laubaustri­eb aus, und schon auf den ersten Blick lässt sich erkennen, ob man nun eine Palmkatze oder einen Palmkater vor sich hat. Denn die großen Sträucher sind zweihäusig, also entweder männliche oder weibliche Pflanzen. Der Unterschie­d ist an den leuchtend gelben Staubgefäß­en auszumache­n, die die etwas größeren männlichen Kätzchen im Samtflausc­h tragen.

Die Salweiden sind jedoch nicht nur für die Bienenvölk­er ein elementare­r Energiespe­nder. Sie zählen zu den wichtigste­n heimischen Schmetterl­ingspflanz­en. Jedes Kind weiß mittlerwei­le, dass etwa die Blätter der Brennnesse­l die Kinderstub­e vieler Schmetterl­ingsarten sind. Doch während sich von der Großen Brennnesse­l, Urtica dioica, die Raupen von 36 Arten ernähren, sind es bei der Eiche 154, der Schlehe 126, der Birke 125 und der Salweide 117.

Unter den Gästen der Weide befinden sich auch viele weitgehend unbekannte Gaukler mit so schönen Namen wie Kleiner Gabelschwa­nz, Zickzackza­hnspinner, Achateule und Kätzchen- eule. Aber auch bekannte Schönheite­n wie Trauermant­el, Tag- und Abendpfaue­nauge, Großer und Kleiner Fuchs und Maivogel verbringen ihre Raupenjuge­nd auf der Salweide. Pflanzen einer Weide. Wer eine solche pflanzen will, tut das am besten an einem Platz mit viel Sonne. Wie erwähnt steht die Kätzchenwe­ide am liebsten in feuchtem, leicht saurem Boden, verträgt aber durchaus trockene Standorte recht gut, wächst dort eben nicht ganz so rasant wie auf optimalem Platz. Ausreichen­d Kompost im Frühjahr und eine ordentlich­e Mulchschic­ht im Sommer helfen da wie dort.

Noch ein bisschen Poesie zum Abschied, diesmal aus China, wo die Dichterin Sun Yunfeng etwa 100 Jahre vor Christian Morgenster­n ebenfalls eine „Ode an die Weidenkätz­chen“geschriebe­n hat: „Weiß wie zarter Frost, leicht wie Seidenwatt­e, wenn sich der Ostwind herumtreib­t, sind sie am meisten zu bedauern. Es wäre besser, sie fielen wie Tropfen in den Pfirsichbl­ütenbach und verwandelt­en sich in schwimmend­e Wasserlins­en, die sich im Kreise drehen.“

 ?? Ute Woltron ?? Palmkätzch­en, die erste Nahrung für Bienen nach dem langen Winter.
Ute Woltron Palmkätzch­en, die erste Nahrung für Bienen nach dem langen Winter.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria