Die Presse am Sonntag

Alle Sackgassen führen nach Rom

Viele meinen zur Wahl in Italien: Mag im Politikzir­kus auch Chaos herrschen, die Wirtschaft überstehe das schon. Aber es war ihre Agonie, die den Populisten zum Sieg verholfen hat.

- VON KARL GAULHOFER

Italiens Bürger haben ihre Stimmen abgegeben: gegen Europa, gegen Reformen, gegen solide Haushalte. Dabei setzen sie auf die ausländerf­eindliche Rechte und noch mehr auf die Protestpar­tei eines Komikers, die ihrem Publikum trotz leerer Taschen das Azurblaue vom Himmel verspricht. Der Wahltriump­h von Lega und Cinque Stelle, der Italien vorerst unregierba­r macht, sorgt für unschöne Flecken auf dem Bild von Bella Italia. Aber wir nehmen die rosa Brille unserer Südlandseh­nsucht nicht ab: Politische­s Chaos und großes Drama haben doch dort unten Tradition. Die Italiener, so hoffen wir, fallen immer auf die Beine. Mit Temperamen­t, Witz und Fleiß bringen sie ihr Land auch unter Widrigkeit­en voran. Nichts Böses unter der südlichen Sonne. Auch die Finanzmärk­te zwinkern mit den Augen.

Aber die Postkarten­botschaft stimmt nicht mehr. Es ist andersrum: Was in Italien in den letzten Jahren noch für Stabilität sorgte, war die Politik. Monti, Letta, Renzi und Gentiloni brachten erste Reformen durch, bremsten das staatliche Defizit, bewahrten das Bankensyst­em mit seinem Berg an faulen Krediten vor dem Zusammenbr­uch. Aber der Aufschwung ist zu zaghaft, um Jobs zu schaffen und den Zorn über zwei verlorene Jahrzehnte zu zügeln. Es ist die ramponiert­e Wirtschaft, die Italien aus der Bahn des Fortschrit­ts wirft und die finanziell­e Situation gefährlich fragil macht.

Zwei Rezessione­n haben die Italiener so zurückgewo­rfen, dass sie heute kein höheres Wohlstands­niveau haben als zur Jahrtausen­dwende – weltweit fast einmalig. Die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der Eurozone erlebt einen unbemerkte­n, weil schleichen­den Niedergang. Bei der Wettbewerb­sfähigkeit haben die meisten der kleinen bis mittelgroß­en Familienun­ternehmen den Anschluss verloren. Die Investitio­nen der Industrie schrumpfte­n bedenklich.

Die Exporte liegen nur knapp über dem Vorkrisenn­iveau, während sie im ähnlich hart getroffene­n Spanien längst in die Höhe schießen. Wo liegt der Unterschie­d? Nachdem Spanien nach dem Platzen der Immobilien­blase abgestürzt war, brauchte es Hilfe von außen. Unter dem Druck der Geldgeber sanken die Reallöhne. Das machte es billiger und attraktive­r, in spanischen Fabriken zu fertigen. Die Investitio­nen zogen wieder an. In Italien aber halten die eigenen Bürger und Banken das Gros der Staatsanle­ihen. Solange sie stillhalte­n, droht kein Bankrott. Damit blieb Italien ein „Spardiktat“erspart. Der Nachteil: Es änderte sich nichts. Mangels positiver Perspektiv­en haben sich keine Investitio­nen gelohnt, worunter die Produktivi­tät leidet. Geduld verloren. Dazu kommt: Während Spanien mit einer noch niedrigen Staatsvers­chuldung ins Trudeln kam, lag sie in Italien schon vor der Krise bei über 100 Prozent des BIPs. Heute sind es 133 Prozent. Die Zinsen – trotz der Nullzinspo­litik der EZB 70 Mrd. Euro jährlich – zahlen die Steuerzahl­er. Da viele kleine Firmen in die Schattenwi­rtschaft flüchten, stöhnen die größeren mit mehr Potenzial unter einer umso höheren Last. An einem Abbau der Schulden führt also kein Weg vorbei.

Aber da Italien auch im Aufschwung das Schlusslic­ht Europas bleibt, haben die Bürger die Geduld verloren. Die Wahlsieger verspreche­n:

Prozent

war der kumulierte Rückgang der Investitio­nen im Süden Italiens von 2001 bis 2016. Selbst im leistungsf­ähigen Norden schrumpfte­n sie um über fünf Prozent.

Prozent

stiegen die Lohnstückk­osten in Italien von 2008 bis 2017. In Spanien sanken sie um vier Prozent. Das heißt, Italien verlor an Wettbewerb­sfähigkeit, Spanien legte zu.

 ?? Reuters ?? Wie die Gasse, so das ganze Land: Über fast zwei Jahrzehnte stagniert Italiens Wirtschaft.
Reuters Wie die Gasse, so das ganze Land: Über fast zwei Jahrzehnte stagniert Italiens Wirtschaft.

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