Alle Sackgassen führen nach Rom
Viele meinen zur Wahl in Italien: Mag im Politikzirkus auch Chaos herrschen, die Wirtschaft überstehe das schon. Aber es war ihre Agonie, die den Populisten zum Sieg verholfen hat.
Italiens Bürger haben ihre Stimmen abgegeben: gegen Europa, gegen Reformen, gegen solide Haushalte. Dabei setzen sie auf die ausländerfeindliche Rechte und noch mehr auf die Protestpartei eines Komikers, die ihrem Publikum trotz leerer Taschen das Azurblaue vom Himmel verspricht. Der Wahltriumph von Lega und Cinque Stelle, der Italien vorerst unregierbar macht, sorgt für unschöne Flecken auf dem Bild von Bella Italia. Aber wir nehmen die rosa Brille unserer Südlandsehnsucht nicht ab: Politisches Chaos und großes Drama haben doch dort unten Tradition. Die Italiener, so hoffen wir, fallen immer auf die Beine. Mit Temperament, Witz und Fleiß bringen sie ihr Land auch unter Widrigkeiten voran. Nichts Böses unter der südlichen Sonne. Auch die Finanzmärkte zwinkern mit den Augen.
Aber die Postkartenbotschaft stimmt nicht mehr. Es ist andersrum: Was in Italien in den letzten Jahren noch für Stabilität sorgte, war die Politik. Monti, Letta, Renzi und Gentiloni brachten erste Reformen durch, bremsten das staatliche Defizit, bewahrten das Bankensystem mit seinem Berg an faulen Krediten vor dem Zusammenbruch. Aber der Aufschwung ist zu zaghaft, um Jobs zu schaffen und den Zorn über zwei verlorene Jahrzehnte zu zügeln. Es ist die ramponierte Wirtschaft, die Italien aus der Bahn des Fortschritts wirft und die finanzielle Situation gefährlich fragil macht.
Zwei Rezessionen haben die Italiener so zurückgeworfen, dass sie heute kein höheres Wohlstandsniveau haben als zur Jahrtausendwende – weltweit fast einmalig. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone erlebt einen unbemerkten, weil schleichenden Niedergang. Bei der Wettbewerbsfähigkeit haben die meisten der kleinen bis mittelgroßen Familienunternehmen den Anschluss verloren. Die Investitionen der Industrie schrumpften bedenklich.
Die Exporte liegen nur knapp über dem Vorkrisenniveau, während sie im ähnlich hart getroffenen Spanien längst in die Höhe schießen. Wo liegt der Unterschied? Nachdem Spanien nach dem Platzen der Immobilienblase abgestürzt war, brauchte es Hilfe von außen. Unter dem Druck der Geldgeber sanken die Reallöhne. Das machte es billiger und attraktiver, in spanischen Fabriken zu fertigen. Die Investitionen zogen wieder an. In Italien aber halten die eigenen Bürger und Banken das Gros der Staatsanleihen. Solange sie stillhalten, droht kein Bankrott. Damit blieb Italien ein „Spardiktat“erspart. Der Nachteil: Es änderte sich nichts. Mangels positiver Perspektiven haben sich keine Investitionen gelohnt, worunter die Produktivität leidet. Geduld verloren. Dazu kommt: Während Spanien mit einer noch niedrigen Staatsverschuldung ins Trudeln kam, lag sie in Italien schon vor der Krise bei über 100 Prozent des BIPs. Heute sind es 133 Prozent. Die Zinsen – trotz der Nullzinspolitik der EZB 70 Mrd. Euro jährlich – zahlen die Steuerzahler. Da viele kleine Firmen in die Schattenwirtschaft flüchten, stöhnen die größeren mit mehr Potenzial unter einer umso höheren Last. An einem Abbau der Schulden führt also kein Weg vorbei.
Aber da Italien auch im Aufschwung das Schlusslicht Europas bleibt, haben die Bürger die Geduld verloren. Die Wahlsieger versprechen:
Prozent
war der kumulierte Rückgang der Investitionen im Süden Italiens von 2001 bis 2016. Selbst im leistungsfähigen Norden schrumpften sie um über fünf Prozent.
Prozent
stiegen die Lohnstückkosten in Italien von 2008 bis 2017. In Spanien sanken sie um vier Prozent. Das heißt, Italien verlor an Wettbewerbsfähigkeit, Spanien legte zu.