»Bitcoin ist wie E-Mail in den 1990ern«
Die Ökonomin Shermin Voshmgir leitet in Wien das neue Institut für Kryptoökonomie. Eine der ersten Adressen weltweit, an der Bitcoin und Blockchain studiert werden. Die Revolution hin zum Web 3.0 habe erst begonnen, sagt Voshmgir.
Bitcoin ist derzeit dauernd in den Schlagzeilen. Oft in negativem Zusammenhang. Wie erleben Sie das? Shermin Voshmgir: Vor drei Jahren hat sich niemand dafür interessiert, selbst wenn ich davon erzählt habe. Jetzt kommen Menschen aktiv auf mich zu, weil sie in den Medien davon gehört haben. Manchmal im Positiven, vor allem wegen der hohen Kursgewinne. Manchmal auch in negativem Kontext, vor allem wenn es um illegale Aktivitäten geht. Aber die meisten sind neugierig und aufgeschlossen. Wenn Sie die zuletzt aufgeflogenen Scams ansprechen: Leider gibt es überall kriminelle Elemente, auch bei Bitcoin. Wie sind Sie persönlich auf das Thema aufmerksam geworden? Auf einer Party. Da hat mir der Freund eines Freundes erstmals von Blockchain erzählt. Vorher hatte ich nie davon gehört. Dass ich mir das überhaupt bis zum nächsten Tag in der Früh gemerkt habe, war eigentlich ein Wunder. Blockchain ist ja ein Unwort. Ich hab das dann am nächsten Tag gegoogelt und hab alles aufgesaugt, was es damals gab. Das war vor drei Jahren. Jetzt leiten Sie das neue Institut für Kryptoökonomie an der WU. Schon das Wort ist neu: Kryptoökonomie. Was kann man sich darunter vorstellen? Wir wollen dieses neue Phänomen interdisziplinär erforschen. Der wahre Gamechanger bei Bitcoin ist ja die zugrunde liegende Blockchain-Technologie. Ich beschreibe das gern als das neue Betriebssystem für eine Gesellschaft, die sich nun über Blockchain dezentral organisieren kann. Das wirft nicht nur ökonomische Fragen auf, sondern auch juristische und soziale. Da müssen Softwareentwickler Hand in Hand mit Ökonomen und Juristen arbeiten. Wir können die Wirtschaft quasi auf den Kopf stellen.
Shermin Voshmgir
wurde 1974 in Wien geboren. Sie hat ab 1992 an der WU Wien studiert, an die sie jetzt als Direktorin des Forschungsinstituts für Kryptoökonomie zurückkehrt. Sie gilt als international gefragte Expertin und Beraterin zur Digitalisierung.
Das neue
Forschungsinstitut an der WU ist eines der ersten akademischen Einrichtungen zum Thema Blockchain und Kryptoökonomie weltweit. Die wissenschaftliche Leitung hat der Ökonom Alfred Taudes übernommen.
In Berlin
hat Voshmgir vor drei Jahren den Thinktank BlockchainHub gegründet und leitet ihn seither. Von 2016 bis 2017 war sie Beraterin der estnischen Regierung im Rahmen des E-ResidencyProgramms. Können Sie mir da ein Beispiel geben? Wir können mit dieser Technologie Ride-Sharing ohne Uber machen, Apartment-Sharing ohne Airbnb und soziale Netzwerke ohne Facebook haben. Das ist nicht reine Theorie. Soziale Netzwerke auf Blockchain-Basis gibt es bereits. Steemit zum Beispiel. Das ist eine Mischung aus Facebook und Reddit, wo meine Daten nicht zentral gespeichert werden und ich auch Geld mit meinem Content verdienen kann. Ich werde dafür belohnt, wenn ich eine Leistung in dem sozialen Netzwerk erbringe. Die größte Herausforderung ist es heute, ein neues Phänomen mit Begriffen der alten Welt zu erklären. Da stolpern wir. Deshalb spreche ich ungern von Kryptowährungen. Weil vieles von dem, was nach Bitcoin kommt, eigentlich keine Währung ist. Es ist besser, von Kryptoassets zu sprechen. Welche Rolle spielt Bitcoin selbst heute? Das Bitcoin-Netzwerk – und seine zugrunde liegende Blockchain-Technologie – ist das erste Beispiel dafür, wie man über verteilte Anreizmechanismen und automatisch ausführbaren Code Gesellschaft steuern kann – eine Gruppe von Leuten, die sich nicht kennen und nicht vertrauen, aber trotzdem miteinander kooperieren wollen. Das hat ja funktioniert. Ja, sogar sehr gut. Inspiriert davon gibt es schon neue Technologien, die auch mit Kryptografie, Peer-to-Peer-Netzwerken und ökonomischen Anreizen arbeiten. Die Anreizmechanismen waren wohl die wichtigste Neuerung von Blockchain. Sie sorgen dafür, dass ein Netzwerk von Akteuren ohne manuelle, zentrale Intervention funktioniert.