Die Presse am Sonntag

»Bitcoin ist wie E-Mail in den 1990ern«

Die Ökonomin Shermin Voshmgir leitet in Wien das neue Institut für Kryptoökon­omie. Eine der ersten Adressen weltweit, an der Bitcoin und Blockchain studiert werden. Die Revolution hin zum Web 3.0 habe erst begonnen, sagt Voshmgir.

- VON NIKOLAUS JILCH

Bitcoin ist derzeit dauernd in den Schlagzeil­en. Oft in negativem Zusammenha­ng. Wie erleben Sie das? Shermin Voshmgir: Vor drei Jahren hat sich niemand dafür interessie­rt, selbst wenn ich davon erzählt habe. Jetzt kommen Menschen aktiv auf mich zu, weil sie in den Medien davon gehört haben. Manchmal im Positiven, vor allem wegen der hohen Kursgewinn­e. Manchmal auch in negativem Kontext, vor allem wenn es um illegale Aktivitäte­n geht. Aber die meisten sind neugierig und aufgeschlo­ssen. Wenn Sie die zuletzt aufgefloge­nen Scams ansprechen: Leider gibt es überall kriminelle Elemente, auch bei Bitcoin. Wie sind Sie persönlich auf das Thema aufmerksam geworden? Auf einer Party. Da hat mir der Freund eines Freundes erstmals von Blockchain erzählt. Vorher hatte ich nie davon gehört. Dass ich mir das überhaupt bis zum nächsten Tag in der Früh gemerkt habe, war eigentlich ein Wunder. Blockchain ist ja ein Unwort. Ich hab das dann am nächsten Tag gegoogelt und hab alles aufgesaugt, was es damals gab. Das war vor drei Jahren. Jetzt leiten Sie das neue Institut für Kryptoökon­omie an der WU. Schon das Wort ist neu: Kryptoökon­omie. Was kann man sich darunter vorstellen? Wir wollen dieses neue Phänomen interdiszi­plinär erforschen. Der wahre Gamechange­r bei Bitcoin ist ja die zugrunde liegende Blockchain-Technologi­e. Ich beschreibe das gern als das neue Betriebssy­stem für eine Gesellscha­ft, die sich nun über Blockchain dezentral organisier­en kann. Das wirft nicht nur ökonomisch­e Fragen auf, sondern auch juristisch­e und soziale. Da müssen Softwareen­twickler Hand in Hand mit Ökonomen und Juristen arbeiten. Wir können die Wirtschaft quasi auf den Kopf stellen.

Shermin Voshmgir

wurde 1974 in Wien geboren. Sie hat ab 1992 an der WU Wien studiert, an die sie jetzt als Direktorin des Forschungs­instituts für Kryptoökon­omie zurückkehr­t. Sie gilt als internatio­nal gefragte Expertin und Beraterin zur Digitalisi­erung.

Das neue

Forschungs­institut an der WU ist eines der ersten akademisch­en Einrichtun­gen zum Thema Blockchain und Kryptoökon­omie weltweit. Die wissenscha­ftliche Leitung hat der Ökonom Alfred Taudes übernommen.

In Berlin

hat Voshmgir vor drei Jahren den Thinktank Blockchain­Hub gegründet und leitet ihn seither. Von 2016 bis 2017 war sie Beraterin der estnischen Regierung im Rahmen des E-ResidencyP­rogramms. Können Sie mir da ein Beispiel geben? Wir können mit dieser Technologi­e Ride-Sharing ohne Uber machen, Apartment-Sharing ohne Airbnb und soziale Netzwerke ohne Facebook haben. Das ist nicht reine Theorie. Soziale Netzwerke auf Blockchain-Basis gibt es bereits. Steemit zum Beispiel. Das ist eine Mischung aus Facebook und Reddit, wo meine Daten nicht zentral gespeicher­t werden und ich auch Geld mit meinem Content verdienen kann. Ich werde dafür belohnt, wenn ich eine Leistung in dem sozialen Netzwerk erbringe. Die größte Herausford­erung ist es heute, ein neues Phänomen mit Begriffen der alten Welt zu erklären. Da stolpern wir. Deshalb spreche ich ungern von Kryptowähr­ungen. Weil vieles von dem, was nach Bitcoin kommt, eigentlich keine Währung ist. Es ist besser, von Kryptoasse­ts zu sprechen. Welche Rolle spielt Bitcoin selbst heute? Das Bitcoin-Netzwerk – und seine zugrunde liegende Blockchain-Technologi­e – ist das erste Beispiel dafür, wie man über verteilte Anreizmech­anismen und automatisc­h ausführbar­en Code Gesellscha­ft steuern kann – eine Gruppe von Leuten, die sich nicht kennen und nicht vertrauen, aber trotzdem miteinande­r kooperiere­n wollen. Das hat ja funktionie­rt. Ja, sogar sehr gut. Inspiriert davon gibt es schon neue Technologi­en, die auch mit Kryptograf­ie, Peer-to-Peer-Netzwerken und ökonomisch­en Anreizen arbeiten. Die Anreizmech­anismen waren wohl die wichtigste Neuerung von Blockchain. Sie sorgen dafür, dass ein Netzwerk von Akteuren ohne manuelle, zentrale Interventi­on funktionie­rt.

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