SHERMIN VOSHMGIR
Haben Sie selbst nach Ihrem Erweckungserlebnis auf der Party gleich Bitcoin gekauft? Nein. Ich habe ein Jahr lang nur gelesen und recherchiert. Für mich war das keine Spekulationsgeschichte. Ich hab sofort gemerkt, dass die Blockchain die ganze Gesellschaft verändern könnte. Dass das die Antwort auf viele Probleme sein könnte, die wir heute haben. Das ist spannend, aber nicht sehr konkret. Wenn wir es richtig machen, könnten Kryptoökonomie und Blockchain ein Tool sein, um Gesellschaft in einer globalisierten Welt, in der die Nationalstaaten immer weniger Handlungsfähigkeit haben, dezentral zu steuern. Wir haben ja heute ein großes Problem, sowohl gesellschaftlich als auch ökonomisch. Unsere Gesellschaft ist gesteuert durch fragmentierte Rechtssysteme. Wir haben 200 Jurisdiktionen auf der Welt. Aber unsere Wirtschaft kann einfach in ein anderes Land gehen, wo andere Gesetze oder Steuern herrschen. Dadurch wird die lokale Politik handlungsunfähig. Und das spürt auch der Wähler. Blockchain könnte hier helfen. Man kann sich Blockchain also vorstellen als eine Sammlung von Regeln, die nicht an Grenzen haltmacht und an die sich alle halten müssen – ohne Ausnahme. Genau. Ironischerweise ist Bitcoin in Verruf geraten, weil es am Anfang im Darknet als Zahlungsmittel verwendet wurde. Dabei ist Bitcoin relativ transparent. Die Kriminalbehörden mögen Bitcoin. Weil mit genug Big Data ist es nur pseudonym und nicht anonym. Und wenn du genug Korrelationsdaten hast, kannst du Menschen auch finden. Ist Bitcoin Fluch oder Segen? Bitcoin und Blockchain sind einfach nur Technologien. Es wird von uns abhängen, wie wir sie einsetzen. Ob es eine Befreiungsmaschine wird, die uns von zentralen Instanzen und unnötiger Bürokratie befreit. Oder ob es eine universelle Kontrollmaschine wird. Das kann passieren, wenn wir es falsch anwenden. Deswegen ist unser Institut auch stark interdisziplinär ausgerichtet. Damit wir die langfristigen Folgen der Technologie abschätzen können. Wir haben hier Softwareentwickler, die mit Ökonomen, Kryptografen und Juristen zusammenarbeiten. Viele vergleichen Blockchain mit dem Internet. Was ist da dran? Blockchain ist deswegen so schwer zu erklären, weil es so vielschichtig an bestehenden Systemen ansetzt und so viel von dem verändert, wie wir heute Dinge tun. Man kann sich Blockchain auch als die treibende Kraft für die nächste Generation des Internets vorstellen. Das Internet der ersten Generation hat in den 1990er-Jahren die Information revolutioniert. Dann kam das Web 2.0, das die Interaktion verändert hat. Das war eher Evolution als Revolution. Wir hatten plötzlich komplexe Anwendungen im Internet und haben diese Plattformen für Social Media oder E-Commerce gebaut. Da konnten wir direkt interagieren bei deutlich niedrigeren Kosten. Aber wir haben immer diese zentralen Plattformen gebraucht, etwa Facebook oder Amazon, die alle unsere Daten besitzen. Blockchain ist die treibende Technologe des Web 3.0. Es ist quasi ein Betriebssystem, das auf dem bestehenden Web aufbaut. Und uns erlaubt, echte direkte Transaktionen zu haben, ohne über Mittelsmänner zu gehen. Bitcoin ist die erste Anwendung davon. Geld ohne Banken oder Kreditkartenfirmen. Bitcoin ist wie E-Mail in den 1990er-Jahren. Das erste Beispiel für die neue Generation des Internets, das dezentrale Web. Die Revolution steht noch am Anfang? Auf Hardware-Ebene sind wir in den 1960er-Jahren, weil alles noch zu langsam ist. Auf Software-Ebene sind wir Anfang der 1990er-Jahre. Auf HypeEbene sind wir vielleicht schon am Ende der 1990er-Jahre. Wann sich Blockchain in der Masse durchsetzen wird, hängt von der Branche ab. Einer der nächsten großen Schritte wird wohl im Logistikbereich kommen, wo ich Ursprung und Weg eines Produkts mittels Blockchain transparent machen kann. Ist Bio drin, wo Bio draufsteht? Dafür bedarf es aber, dass alle Beteiligten schon auf der Blockchain sind. Es braucht Netzwerkeffekte. Manche meinen, Kryptoassets würden wieder verschwinden. Vieles wird scheitern. Aber komplett verschwinden? Das ist sehr unwahrscheinlich. Kryptoassets und Token bieten uns die Möglichkeit, Rohstoffe und andere Waren viel leichter handel- bar zu machen. Kombiniert mit den niedrigen Transaktionskosten können sie so die Rolle von Geld übernehmen. Bald kann ich jede Ware und jede Dienstleistung und sogar ein Fragment meines Anteils an einer Immobilie mit sehr niedrigen Kosten verbriefen und handelbar machen. Plötzlich wird ein Gut, das früher keine Liquidität hatte, wie ein Haus oder Kunst, unendlich handelbar gemacht. In Wahrheit ist es eine komplette Neudefinition von Geld. Aber diese neuen Assets sind natürlich nicht gleichzusetzen mit staatlichen Währungen. Sie sind hoch volatil, haben hohe Preisschwankungen. Das schränkt die Geldfunktion ein. Wie gehen die Banken damit um? Der Bankensektor scheint gespalten. Es gibt die einen, die es schon verstanden Direktorin des Instituts für Kryptoökonomie.