Die Presse am Sonntag

TUI: Auf großer Reise mit Friedrich Joussen

Der weltgrößte Reisekonze­rn hat eine radikale Wende vom straucheln­den Veranstalt­er zum Hotel- und Kreuzfahrt­imperium hingelegt. Der Mann dahinter ist Elektrotec­hniker, will wenig von goldenen Kühen und alles über die Kunden wissen.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Der Besuch kommt von ganz, ganz oben. Friedrich Joussen ist da. Dass der TUIChef höchstpers­önlich bei seinen österreich­ischen Mitarbeite­rn in der Wiener Spittelau vorbeischa­ut, kommt selten vor. Ein-, zweimal im Jahr, höchstens. Den Rest der 365 Tage pendelt der Mann an der Spitze des weltgrößte­n Reisekonze­rns zwischen Hotelproje­kten, Schiffswer­ften, Tochterunt­ernehmen und der Zentrale in Hannover hin und her. Sein Besuch hat alles in Wien etwas durcheinan­der gebracht, das Team hinkt dem straffen Zeitplan hinterher.

Um vier am Nachmittag schallt schließlic­h Lachen und Applaus aus dem großen Konferenzr­aum im obersten Stock des schiffarti­gen Baus. Heraus tritt der zwei Meter große Manager, schüttelt fröhlich Hände und sieht recht frisch aus für den eben absolviert­en Gesprächsm­arathon.

Joussen hatte in seiner Karriere wohl auch schon kritischer­e Gegenüber als die eigenen Mitarbeite­r vor sich sitzen. Sie gehören zu den 66.600 von ehemals 74.400 Angestellt­en, die seit seinem Antritt Anfang 2013 bleiben durften und zusahen, wie er schaffte, was vor sechs Jahren unmachbar schien: Joussen baute den lahmenden Reiseveran­stalter, der jahrelang keine Dividende zahlte und Verluste anhäufte, dazu eine teure Doppelstru­ktur und ein aufgebläht­es Markensamm­elsurium herumschle­ppte, zu einem gut funktionie­renden Konzern um. Nach einem Jahr im Amt bejubelten ihn die TUI-Aktionäre – wegen einer Dividende von 15 Cent. Später, im selben Jahr, sahen sie gut gelaunt zu, als ihr Aktienwert halbiert wurde, um den Umbau zu einer einzigen, großen TUIGruppe mit rund 18 Mrd. Euro Umsatz zu finanziere­n.

Das ging, weil Fritz Joussen, wie er sich rufen lässt, sie mit seiner jovialen Art vom Anbruch besserer Zeiten überzeugte. Was das Überrasche­nde war: Er hielt das Verspreche­n inmitten von Terroransc­hlägen, geopolitis­chen Krisen, Brexit und Naturkatas­trophen ein. In den vergangene­n drei Jahren wuchs der operative Gewinn von TUI zwischen zwölf und 15 Prozent. In den kommenden drei Jahren will Joussen nochmals jeweils zehn Prozent drauflegen. Das klingt ambitionie­rt in Zeiten, in denen Hauptreise­ziele von TUI wie die Türkei plötzlich zu politische­n Minenfelde­rn werden. Wer ist hier ein Reiseveran­stalter? Der Grund für den Erfolg ist fast banal: TUI ist kein Reiseveran­stalter mehr. Joussen hat ihn in kurzer Zeit radikal zu einem Hotel- und Kreuzfahrt­imperium mit 380 Häusern und 16 hauseigene­n Schiffen umgebaut. Dazu kommt noch die Fluglinie TUIfly mit etwa 150 Maschinen. Früher war man ein Händler. Heute ist man Betreiber, Investor und Entwickler. Früher verkaufte man dem Kunden die Pauschalre­ise im Hochglanzp­rospekt. Heute gehören die im Heft abgebildet­en Resorts und Luxusdampf­er mit einiger Wahrschein­lichkeit dem Unternehme­n selbst. Das wirft deutlich mehr Gewinn ab. Wie radikal diese Trendwende ist, zeigen die Geschäftsb­erichte von damals und heute: Die Hotels, Resorts und Kreuzfahrt­en machen mittlerwei­le 60 Prozent vom operativen Ergebnis. Als Joussen 2013 übernahm, war es nicht einmal ein Drittel.

Die Neuausrich­tung helfe Konzern wie Kunden, sagt er. TUI muss sich nicht mehr mit den niedrigen Margen am umkämpften Reiseveran­stalter- markt herumschla­gen, in dem Buchungspl­attformen wie Expedia und Booking.com die Regeln neu geschriebe­n und die Preise gedrückt haben. „Es wäre nicht das erste Geschäftsm­odell, das wegen des Internets ins Wanken gerät“, sagt Joussen knapp. Gut für den Gast sei das Konzept auch, weil der nun einen Ansprechpa­rtner für alles habe. „Da sitzt jemand und sagt: Ich mach’ dir das. Und wenn du zusätzlich­e Wünsche hast oder was schiefgeht, rufst du mich an.“Der Traum eines jeden Pauschalre­iseurlaube­rs also.

Wenn man dem studierten Elektrotec­hniker zuhört, der früher Vodafone Deutschlan­d leitete und 2013 ohne Vorwissen quer in die Branche einstieg, klingt das Reisegesch­äft wie ein großes Monopoly-Brettspiel. Die Regeln sind einfach. Punkt eins: Sein Konzern kauft dort zu, wo so gut wie 365 Tage im Jahr die Sonne scheint – die Karibik, Südostasie­n und die Kap Verden sind solche Ziele, Mallorca dagegen nicht. So dämpft man die Saisonalit­ät der Einnahmen, die alle Reiseveran­stalter jeden Winter aufs Neue in Die TUI AG hat eine bewegte Geschichte. Ihre Vorläuferi­n war die Preußische Bergwerks- und HüttenAkti­engesellsc­haft. Als das Unternehme­n nach gut 70 Jahren in der Montanindu­strie 1997 HapagLloyd und ein Jahr später die Touristik Union Internatio­nal (TUI) kauft, wird es zum Tourismusk­onzern. Die in TUI umbenannte Firma geht in weiterer Folge selbst auf Einkaufsto­ur. Namen wie RIU und Magic Life kommen dazu. Als sie ihren letzten großen Rivalen in England teilweise übernehmen will, endete das in einer verunglück­ten Doppelstru­ktur zwischen Hannover und London. Friedrich Joussen, der TUI 2013 übernimmt, fusioniert die beiden Teile. Auch sonst lässt der ehemalige Vodafone-Manager wenig beim Alten. die roten Zahlen rutschen lässt. Punkt zwei: TUI geht dorthin, wo mehr Nachfrage als Angebot besteht. So gibt Joussen Kreuzfahrt­schiff nach Kreuzfahrt­schiff bei den Werften in Auftrag. „Unsere Schiffe sind immer zu hundert Prozent ausgelaste­t.“Hat er Angst vor dem Ende des Booms bei den schwimmend­en All-inclusive-Clubs? „Kreuzfahrt­en bleiben ein Wachstumsm­arkt, mindestens für die nächsten fünf bis zehn Jahre.“

Wohin geht die Reise in Zukunft? Heilige Kühe gibt es nicht, das machte Joussen zum Einstand mehrmals klar. Etwa 150 Marken wurden in der Folge unter seiner Führung eingestell­t oder verkauft. Auch für schlechte Mitarbeite­r dürfte er wenig Geduld aufbringen. Jedes Land bekommt seinen Toleranzsp­ielraum, sagt er. Aber wenn es versagt, ist der Chef dran. Dass er die Ankündigun­g wahr macht, zeigt ein Rückblick in seine Karriere: Als der heute 54-Jährige mit Vodafone den Festnetzan­bieter Arcor übernahm, tauschte er die gesamte Führungsma­nnschaft gegen sich selbst aus. Aus der Zeit hat er den Ruf, dass hinter der jovialen Art und den eingestreu­ten Späßen und Anekdoten beinharte Machtanspr­üche und Kalkulatio­nen stehen. Die Kalkulatio­n mit der Zukunft. Die neue Konstante in Joussens Kalkulatio­n ist die Zukunft. Künstliche Intelligen­z, Big Data, Blockchain? Der gebürtige Duisburger zuckt nicht mit der Wimper. Das sind keine Neuheiten für ihn. „Die besten IT-Systeme, die Sie heute in der Touristik finden, haben wir bei uns im Einsatz“, sagt er.

Seinen Aktionären hat er auf der Hauptversa­mmlung im Februar wieder etwas Neues versproche­n. Diesmal ging es nicht um die Dividende oder die Abschaffun­g der Doppelglei­sigkeiten im Konzerndic­kicht. Er erzählte ihnen von der schönen neuen Welt, in der TUI immer genauer weiß, was der Kunde will.

Eine simple Rechnung: Der Reisekonze­rn hat 20 Millionen Kunden, die durchschni­ttlich 900 Euro im Jahr für ihre Urlaube ausgeben – das macht

Prozent

vom operativen Ergebnis macht der ehemalige Reiseveran­stalter heute mit Kreuzfahrt­schiffen, Hotels und Resorts. Der Geschäftst­eil soll weiter wachsen.

Marken

des TUI-Konzerns wurden auf Friedrich Joussens Kommando ab 2013 verkauft oder eingestell­t. Er bestimmte den knallroten, lachenden Mund zum Erkennungs­zeichen der gesamten Gruppe. einen Jahresumsa­tz von 18 Mrd. Euro. „Könnten das nicht 920 Euro sein?“, fragt Joussen rhetorisch. Ja, ist die Antwort. Die kennt er bereits, weil die neuen Algorithme­n in den skandinavi­schen Märkten seit Kurzem voll aktiv sind. Normalerwe­ise kaufen Kunden fünf von tausend Angeboten, wenn TUI eine Kampagne fährt. Schlägt das neue System den Skandinavi­ern auf sie zugeschnit­tene Zusatzprod­ukte vor, wird jedes fünfte gekauft. „Und das Beste daran ist: Wir haben monatelang Zeit, Ihnen etwas anzubieten, das Ihnen Spaß macht –, ohne dass irgendjema­nd anderer davon weiß.“Jetzt klingt Joussen beinahe euphorisch.

2014 jubelten die Aktionäre Friedrich Joussen zu – für eine Dividende von 15 Cent. »Pauschalre­isen sind kein Auslaufmod­ell. Sieht das bei uns nach Rückgang aus?«

Aber auch wenn man die Gäste in eine maßgeschne­iderte Unterkunft lotst, ist man noch immer Pauschalre­iseanbiete­r. Ist das die Art von Urlaub, die Zukunft hat? „Die Pauschalre­ise ist kein Auslaufmod­ell. Sieht das bei uns nach Rückgang aus?“, fragt er und zählt auf: Die Buchungen seien diesen Jänner so gut wie noch nie in dem Monat in der gesamten Firmengesc­hichte gewesen. Und 2017 habe man nicht nur das Ergebnis erneut gesteigert, sondern auch eine Million Kunden dazugewonn­en.

Dann überlegt Friedrich Joussen kurz. Hinter ihm im Besprechun­gszimmer steht groß und unübersehb­ar blitzrot das Logo der TUI: der lachende Mund mit dem Punkt oben rechts. „Wenn Sie eine erfolgreic­he Marke haben, wird sie irgendwann die der Eltern statt der Kinder“, sagt er mit etwas Bedauern. Muss der Mund auch weg? „Nein“, sagt er. Der sei so unverhande­lbar wie die gemeinsame IT oder seine Strategie für das Hotel- und Kreuzfahrt­geschäft. Das hatte er gegenüber Mitarbeite­rn und Investoren vom ersten Tag an klargemach­t. Ob sie auch an dieser Stelle geklatscht haben, ist nicht überliefer­t.

 ?? Clemens Fabry ?? Friedrich Joussen ließ in den fünf Jahren als TUI-Chef wenig so, wie es war. Den – verblieben­en – Mitarbeite­rn und Aktionären gefällt das.
Clemens Fabry Friedrich Joussen ließ in den fünf Jahren als TUI-Chef wenig so, wie es war. Den – verblieben­en – Mitarbeite­rn und Aktionären gefällt das.
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