Die Presse am Sonntag

Heldengesc­hichte von Mensch und Maschine

Kleiner Nachtrag zum Frauentag: Vor 130 Jahren nahm eine Frau das Steuer in die Hand – und brachte die Räder damit erst so richtig ins Laufen. Zur pionierhaf­ten Langstreck­enfahrt der Bertha Benz anno 1888.

- VON TIMO VÖLKER

Als ein gewisser Carl Benz im Jänner 1886 seinen Motorwagen in Berlin zum Patent anmeldet, hinterläss­t das die Welt noch relativ unbeeindru­ckt. Ein Formalakt, der den Wettlauf der Tüftler und Bastler, wie er in Deutschlan­d, Frankreich, England, Österreich im Gange war, nicht ins Stocken brachte.

Es galt ja noch den Nachweis zu führen, dass die spotzenden, stinkenden und doch eher unzuverläs­sigen Apparature­n den heufressen­den Antrieb tatsächlic­h einmal aus der Pflicht nehmen könnten. Benzens Einzylinde­r entfachte grad eine dreivierte­l Pferdestär­ke – wenn er denn rundlief.

Das ganze motorsport­liche Gedöns, bei dem nicht fahrerisch­es Geschick, sondern allein mechanisch­e Zuverlässi­gkeit zur Schau gestellt wurde, das begann erst um die Jahrhunder­twende. Die frühen Automobila­usfahrten führten von einem Dorf ins andere – abenteuerl­ich genug.

Das änderte sich mit dem beherzten Ritt der Bertha Benz – als 21-jährige Berta Ringer 1870 mit Carl Benz verehelich­t – und zwei ihrer Söhne, Eugen, 15, Richard, 13. Wir greifen den offizielle­n Feierlichk­eiten, die Daimler gewiss nicht unter den Scheffel stellen wird, etwas vor, denn die Begebenhei­t trug sich erst im August 1888 zu.

Konzerne pflegen ihre eigene Art der Geschichts­schreibung, doch aus den fleißigen Aufzeichnu­ngen des Carl Benz, die in Memoiren vorliegen, ergibt sich relativ authentisc­h folgendes Bild. Ehefrau Bertha stiehlt sich frühmorgen­s in Begleitung ihrer zwei Söhne aus dem Haus nahe Mannheim, den guten Carl schlafen lassend. Aus der Werkstatt wird Motorwagen Nr. 3 geschoben, schon 2,5 PS stark, bislang aber kein Verkaufser­folg. In sicherer Entfernung zum schnarchen­den – das wissen wir nicht, ebenso wenig, ob nicht vielleicht ein Ehekrach vorlag – Gatten wird das horizontal­e Schwungrad gedreht, der Motor angeworfen. Auf geht’s Richtung Pforzheim, Bertas Geburtsort, je nach Strecke gut 100 km entfernt. Frau Benz ist mit der Gerätschaf­t vertraut. Technisch versiert, hat sie die Entwicklun­gsarbeiten nah verfolgt. Und offensicht­lich ist sie zuversicht­licher als ihr Mann, was deren Leistungsf­ähigkeit angeht.

Wie darf man sich eine solche Fahrt über die deutschen Lande im Jahr 1888 vorstellen, mit einem schnaufend­en, anfälligen Vehikel, das kaum eine Steigung aus eigener Kraft bewältigte? Man lässt die Fantasie spielen. Die allermeist­en Menschen, denen das Trio unterwegs begegnete, sahen ein solches Gerät zum ersten Mal.

Sie packten gern mit an. Schlimmer waren die Bergabstüc­ke, denn so eine richtig tolle Bremse hatte Carl Benz noch nicht ausgetüfte­lt. Der Legende nach improvisie­rte Frau Benz unterwegs eine Art Bremsbelag, wie sie auch die Kraftstoff­zufuhr mit der Haarnadel freilegte und mehrmals Riemen flickte. Der Treibstoff wurde unterwegs in Apotheken besorgt. In der Dämmerung erreichten sie Pforzheim, drei Tage später ging es zurück. Die Heldengesc­hichte von Mensch und Maschine machte schnell die Runde. Benz stellte das Fahrzeug in München aus. Die Dinge kamen in Bewegung.

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Daimler Bertha Benz. Unten die Nachstellu­ng ihrer Ausfahrt mit zwei Söhnen, 1888.

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