Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Es wird immer klarer, dass es reiches Leben im Untergrund gibt. Für die Wissenscha­ft ist dessen Erforschun­g ein harte Nuss. Techniker arbeiten aber bereits an Anwendunge­n.

Der Boden ist voller Leben. Unzählige Arten von Würmern, Pilzen, Bakterien oder Archaeen tummeln sich im Untergrund. Der Boden dürfte sogar mehr Biomasse enthalten, als über der Erdoberflä­che wächst. Doch wie weit nach unten reicht das Leben? Früher dachte man, dass in ein paar Metern Tiefe Schluss ist. Aber je genauer man hinschaute, umso weiter rutschte die Grenze nach unten. Der Tiefenreko­rd liegt bei 5300 Metern – wo in Bohrlöcher­n Mikroorgan­ismen nachgewies­en wurden.

Die Bedingunge­n dort unten sind nicht gerade lebensfreu­ndlich: Es gibt kein Licht und keinen Sauerstoff, es herrschen hohe Drücke und Temperatur­en, das Milieu ist häufig sehr salzig und sauer. Wie diese Mikroorgan­ismen leben, ist nur in Ansätzen bekannt. Manche Arten oxidieren Schwefel oder Eisen, andere nutzen Wasserstof­f, manche bilden Methan. Diese Lebensform­en spielten jedenfalls in der Erdgeschic­hte eine große Rolle: Sie waren z. B. an der Entstehung von Kohle, Erdöl und Erdgas beteiligt, die sich aus unter Sedimentsc­hichten begrabener Biomasse gebildet haben.

Die Erforschun­g dieser Prozesse ist für die Wissenscha­ft eine harte Nuss. Dennoch denken Techniker bereits über ihre Nutzung nach. Etwa in dem österreich­ischen Projekt „Undergroun­d Sun.Conversion“: Dabei handelt es sich um eine Weiterentw­icklung der „Power-to-Gas“-Idee, bei der mittels „Grünstrom“erzeugter Wasserstof­f (H2) und Kohlendiox­id (CO2) in einem Reaktor in Methan (CH4) verwandelt werden. Das Ziel ist es, Solar- oder Windenergi­e speichern und gleichzeit­ig das Treibhausg­as CO2 nutzbringe­nd verwerten zu können.

In einem – erfolgreic­hen – Vorgängerp­rojekt wurde das synthetisc­he Erdgas bereits in eine ehemalige Erdgaslage­rstätte gepumpt und später wieder entnommen. Im neuen Projekt, bei dem Anfang März Baubeginn für die nötigen Anlagen war, soll die Methanerze­ugung nun nicht in einem Reaktor, sondern auf natürliche Weise erfolgen: Die Forscher wollen das CO2-H2-Gemisch in die alte Erdgaslage­rstätte pumpen und von den in 1000 Metern Tiefe lebenden Mikroorgan­ismen zu Methan umwandeln lassen. In Laborexper­imenten wurde eine Prozessfüh­rung entwickelt, die eine viel raschere Methanogen­ese ermögliche­n soll als bei der natürliche­n Erdgasbild­ung – nämlich einige Wochen statt Jahrmillio­nen. Ob das auch in der Praxis funktionie­rt, weiß man noch nicht. Doch allein schon der Versuch wird einiges an neuem Wissen über das Leben im Untergrund zutage fördern. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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