Eigenen Waffen entgehen
Viele Tiere arbeiten mit Strategien, die für sie selbst gefährlich werden können, Spinnen mit Klebstoff, Frösche mit Gift. Dagegen musste Selbstschutz her.
Wenn man einen Sprecht hämmern hört, und wenn man gar das Glück hat, zusehen zu können, mit welcher Wucht und Rasanz die Schläge fallen, dann wird einem ganz weh im Kopf. Wie kann ein Gehirn so etwas aushalten? Und wie können andere, die mit riskanten Techniken ums Leben kämpfen, sich vor den eigenen Erfindungen schützen: Warum bleiben Spinnen nicht in ihren Netzen kleben, und warum gehen Kröten, die sich mit tödlichen Giften verteidigen, nicht an ihnen zugrunde?
Bei den Spinnen ist die geläufige Antwort die, dass nicht alle Fäden im Netz klebrig sind, und dass die Erbauer schon wissen, wo sie hintreten dürfen und wo nicht. Aber Erinnerung und Konzentration können nachlassen, und, vor allem: Beim Platzieren des Leims werden die Fäden mit den Füßen fixiert, sie kommen unvermeidlich mit ihm in Berührung. Das Problem ging 1906 Jean-Henri Fabre an, er war der sorgsamste aller Entomologen, ein so begnadeter Beobachter wie einfallsreicher Experimentator (großartige Bücher hat er obendrein geschrieben): Ihm war aufgefallen, dass mit Netzen fangende Spinnen ab und zu ihre Füße belecken, er vermutete im Speichel irgendetwas, was dem Leim die Kraft nimmt. Deshalb wusch er Spinnen die Füße, sie klebten nun selbst ein wenig.
Ein ähnliches Experiment führte kurz darauf der Brite Richard Hingston aus. Dann kam hundert Jahre nichts, nur die sporadische Vermutung, für den Klebschutz sorgten Härchen an den Fußsohlen, Setae, diese haben extrem dünne Spitzen. Überprüft wurde das lange nicht, erst 2012 nahm William Eberhard (Smithsonian Tropical Research Institute, Costa Rica) das Erkunden wieder systematisch auf, er wusch Spinnenfüße und rasierte Spinnensohlen: Beides spielt mit, die Spinnen gehen auf den Setae wie wir auf Zehenspitzen, und sie überziehen die Setae mit einer öligen Schicht, die Leim abweist, zudem werden die Beine in einem Winkel aufgesetzt, der die Be- rührung minimiert (Naturwissenschaften 99:337). Das zusammen erklärt, warum die Spinnen nicht kleben – mit den Beinen. Mit dem restlichen Körper geraten sie beim Beutemachen aber unabwendbar auch an Leim. Wie sie das bzw. sich lösen, liegt im Dunkel.
Bei den Spechten hingegen schien alles im Licht: Wenn sie zuschlagen, tut das zwar jeder auf ganz individuelle Weise – Michał Budka (Pozn´an) hat es gerade im Detail dokumentiert und vermutet, dass das in der Finsternis des Waldes ein Erkennungssignal ist, Sexualpartner lockt und Territorien markiert (PLoS One 7. 2.) –, aber sie tun es alle in der Größenordnung von 25 Kilometer pro Sekunde. Mit denen fahren die Schnäbel in das Holz, dort werden sie und die ganzen Schädel mit dem 1200-Fachen der Erdbeschleunigung g gebremst – Menschen fallen bei fünf g in Ohnmacht –, und das um die 12.000-mal am Tag: „Eigentlich müssten die Waldböden voll sein mit betäubten und sterbenden Spechten.“ Stoßdämpfer. So formulierte es 1976 Philip May (UC Los Angeles), er war Psychologe und erkundete als Erster, wie Spechte das aushalten, im Gehirn, auch in den Augen, die würden aus dem Schädel hinausfliegen, würden die Lider nicht vor jedem Schlag geschlossen. Und das Gehirn? Das ist klein und hat wenig Flüssigkeit, da schwappt nichts. Zudem läuft die Schlagachse unter ihm hindurch, und Schädelknochen und Unterkiefer sind stoßdämpfend gebaut. Auch der Schnabel ist angepasst, er ist wie bei allen Vögeln mit Schuppen aus Keratin überzogen, aber bei Spechten können diese sich leichter verschieben, das leitet Belastungen ab, Materialforscherin Lakiesha Williams (Mississippi State University) hat es bemerkt ( Roy. Soc. Interface 2014.0274).
Das zusammen schützt prima vista so perfekt, dass man Konstruktionsprinzipien von Spechtschädeln für Schutzhelme von Menschen übernommen hat, die auch mit Wucht auf etwas prallen, auf Schädel: Footballspieler. Viele holen sich eine böse Berufskrankheit, chronische traumatische Enzephalopathie (CTE), sie ruiniert das Gehirn durch Ablagerungen von Tau-Proteinen. Tau-Proteine? Sind diese nicht zentrale Verdächtige bei Alzheimer?
Sie sind es. Aber Spechte haben sie auch. Auf die Idee, sich ihre Gehirne anzusehen, ist erst jetzt Peter Cummings (Boston) verfallen, er bat Naturhistorische Museen um Spechte (und zur Kontrolle um Vögel, die nicht hämmern): Die meisten Spechte hatten die Ablagerungen, und ihre Ahnen, die vor 25 Millionen Jahren kamen, werden sie auch gehabt haben (PLoS One 2. 2.). Entweder haben Spechte ein Gegenmittel gefunden, oder Tau ist auch zu etwas gut, das bleibt im Dunkel der bunt Gefiederten in unserem Wald.
Spinnen gehen auf Haaren mit dünnen Spitzen, die sie mit Leimabweisendem belecken. Spechte halten ihr Gehämmer aus, weil ihre Gehirne klein sind und wohl geborgen.
Ein anderes Dunkel haben die mit den grellen Häuten in tropischen Wäldern in sich: Pfeilgiftfrösche – und viele andere Tiere – schützen sich vor Räubern, indem sie mit der Nahrung aufgenommene Gifte einlagern (und das mit Schreckfarben signalisieren). Eine Familie tut das mit dem Alkaloid Epibatidin: Das blockiert Rezeptoren für den Neurotransmitter Acetylcholin (ACh), das unterbindet die Kommunikation von Nervenzellen. Und das bekommen Räuber zu spüren, Schlangen vor allem, die die Warnung der Hautfarben ignorieren.
Aber die Frösche haben den Neurotransmitter und die Rezeptoren schon auch, und sie brauchen sie, können sie nicht einfach abschalten. Also haben sie die Rezeptoren nur partiell stillgelegt, mit einer Punktmutation. Die kam bei drei Mitgliedern ihrer Familie zu anderen Zeiten – vor zehn, acht und fünf Millionen Jahren –, es war immer die gleiche, offenbar gibt es nur einen Weg. Der schwächt die Bindung des Gifts an den Rezeptor, aber den von ACh schon auch. Das wurde mit einer zweiten, späteren Mutation kompensiert (Science, 357, S. 1261).
Und was soll daran dunkel sein? Alle Frösche hatten das Gift einmal, viele haben es nicht mehr (aber den Selbstschutz doch). Das kann daran liegen, dass die Giftquelle sich ausgedünnt hat, man kennt sie nicht. Es kann aber auch sein, dass räuberische Schlangen den gleichen molekularen Trick entdeckten. Vielleicht haben die Frösche im Rüstungswettlauf darauf mit einem neuen Gift geantwortet, das man bisher übersehen hat.