Die Presse am Sonntag

Mode als Chefsache

Bei der Semaine du prˆet-`a-porter erreichten die internatio­nalen Modewochen in Paris ihren Schlussund Gipfelpunk­t. Und dies gar „sub auspiciis praesident­is“bei den Macrons.

- VON DANIEL KALT

In Frankreich ist die Mode (wieder) im Zentrum der Macht angekommen: Vor Ende der Pariser Defilees lud das stilsicher­e „Couple presi-´ dentiel“, Emmanuel und Brigitte Macron, eine Schar von Granden der Branche in den Elysee-´Palast und knüpfte so an die Gauche-Caviar-Gepflogenh­eiten von Francois¸ Mitterrand an.

Macron pries bei der Gelegenhei­t Paris als dezidiert internatio­nale Modemetrop­ole; seine Gattin Brigitte, eine enge Freundin (sprich: gute Kundin) des Hauses Louis Vuitton, trug bei dem Dˆıner eine Abendjacke der Luxusmarke, entworfen von Nicolas Ghesqui`ere für die Sommerkoll­ektion.

Dass die Louis-XVI-Referenz des Designers ob dessen kopflosen Endes für Häme sorgen könnte, kam Madame Macron dabei nicht in den Sinn. Am letzten Tag der Semaine du pret-ˆa-`porter zeigte Ghesqui`ere seine Kollektion für den kommenden Herbst (wäre dies für eine Politikeri­nnengattin ziemlich, hätte man Madame Macron tags zuvor wohl mit einem Preview-Look ausgestatt­et): In einem Innenhof des Louvre ließ Ghesqui`ere auf einer etwas deplatzier­t wirkenden Raumschiff-Kulisse seine halb historisie­renden, halb futuristis­chen Entwürfe paradieren. Man mochte an eine Bruchlandu­ng von Raumschiff Enterprise im Spätbarock denken.

Zu blendender schöpferis­cher Form läuft Karl Lagerfeld indessen als unangefoch­tener Doyen der Pariser Mode auf: War bereits seine in der Elbphilhar­monie gezeigte Paris-Hamburg-Kollektion für Chanel ein echtes Highlight gewesen, überzeugte seine umfangreic­he Herbstmode, in einem herbstlich feuchten Waldszenar­io im Grand Palais vorgeführt, umso mehr. Die kalte Jahreszeit ist ohnedies eine ausgezeich­nete Saison für die Luxusmarke, die raffiniert­e Tweedkreat­ionen als ihre große Stärke verstehen darf. Nach dreieinhal­b Jahrzehnte­n als Kreativdir­ektor spielt Lagerfeld auf allen verfügbare­n Registern virtuoser denn je. Revolution­smodus. Ein zumindest modehistor­isch interessan­ter Vorstoß ist die Revitalisi­erung des Modehauses von Paul Poiret: Der Visionär der Pariser Mode Anfang des 20. Jahrhunder­ts und Verfechter der Reformmode schloss Ende der Zwanzigerj­ahre sein Maison. Nun wird es mit südkoreani­schem Kapital und unter der kreativen Leitung von Yiqing Yin, die sich zuvor als HauteCoutu­ri`ere einen Namen machte, wiederbele­bt. Die Neuerfindu­ng solcher „Sleeping Beauties“, wie man sie in der Branche nennt, ist eine interessan­te Initiative. Zugleich zeigen die vergleichb­aren Fälle von Vionnet und Schiaparel­li, wie schwierig es für historisch­e Marken ist, im Jetzt wieder Fuß zu fassen.

Einen Verweis auf die – ungleich nähere – Vergangenh­eit leistete sich auch Maria Grazia Chiuri bei Christian Dior. Sie ließ sich von der revolution­ären Energie der Studentenr­evolten im Mai 1968 inspiriere­n: „Female Empowermen­t“ist ihr ohnehin ein wichtiges Thema, und sie referenzie­rte das Youthquake der späten Sechzigerj­ahre ebenso wie die parallele Lancierung der (nicht mehr existieren­den) „Miss Dior“-Zweitlinie unter Diors damaligem Kreativdir­ektor Marc Bohan, übrigens lange Professor an der Wiener „Angewandte­n“.

Die Kollektion mit einer – selbst für Chiuris Dior-Vorstellun­gen – untypische­n Ästhetik kommt freilich zu einem Zeitpunkt in den Handel, da das Mai-1968-Jubiläum wieder Schnee von gestern sein wird. Es ist charakteri­stisch für die verzweifel­te Suche der Mode nach dem richtigen Zeitpunkt für derlei Referenzie­rungen, dass nicht gewiss ist, ob eine Anfang März gezeigte Herbstkoll­ektion unter Umständen für ein im Mai aktuelles Thema nicht doch etwas zu spät kommt.

Die engagierte Haltung von Chiuri bei Dior mochte diesmal noch mehr als sonst an die Verve ihrer Geistesver­wandten, der Feministin (und einst Kommunisti­n!) Miuccia Prada, erinnern. Hatte diese in Mailand noch die Frau als selbstbest­immte und kämpferisc­he Kreatur der Nacht zelebriert, schickte sie mit ihrer Zweitlinie Miu Miu eine deutlich leichtlebi­gere (man könnte sich fast versucht fühlen zu schreiben: „lässigere“) Kollektion, die ebenfalls einen Mai-68-Esprit erahnen lassen könnte, über den Laufsteg. Abschied von Philo. Anderswo mussten sich in zitternder Vorahnung alles Kommenden die eingefleis­chten Fans des Modehauses Celine´ nach dem Abschied von Chefdesign­erin Phoebe Philo und in Erwartung von Hedi Slimane mit einer vom Designteam verantwort­eten Übergangsk­ollektion bescheiden. Dass Philo, die man nach ihrem Weggang etwa bei Burberry sehen hätte können (wo nun Riccardo Tisci als Kreativdir­ektor übernehmen wird), für ein anderes großes Pariser Maison als künftige Designerin aufgebaut werden könnte, hörte man hinter den Kulissen munkeln.

Übergangsw­eise könnten sich verlorene Adeptinnen der „Philomania“– den Neologismu­s prägte die digitale Branchenpl­attform Business of Fashion – etwa bei Herm`es gut aufgehoben fühlen: Nad`ege Vanhee-Cybulski entwirft für das Haus an der Rue Saint-Honore´ geschmacks­sichere Kollektion­en, die einer weltweit gültigen Vorstellun­g von gehobenem Pariser Chic entspreche­n.

Spuren der Arbeit eines anderen Designers, der weiland für Herm`es am Werk war, sind derzeit vielerorts zu finden: Eine Retrospekt­ive, die das Musee´ Galliera derzeit Martin Margiela widmet, rufen Facetten seines einflussre­ichen Schaffens in Erinnerung. John Galliano, mit den Kollektion­en der Marke Margiela betraut, muss, was paradox anmutet, derzeit Anschluss finden an einen engagierte­ren Erben Margielas. Demna Gvasalia knüpft an dessen Vorstellun­gen von Mode an, und zwar mit seiner eigenen Marke Vetements und als Kreativdir­ektor von Balenciaga. Das Überblende­n von konstruier­ten Silhouette­n und einer betonten Streetwear­Anmutung mag sich auf Margiela zurückführ­en lassen, ist aber in seiner aktuellen Ausprägung das Ergebnis der kreativen Vision von Gvasalia. Wiener Veteranen. Die Gunst der Stunde, wenn man so will, nutzte in Paris wieder das Wiener Modegespan­n Wendy Jim: Helga Ruthner und Hermann Fankhauser starteten mit ihrem Label, damals noch „Wendy & Jim“, in den späten Neunzigerj­ahren durch. Sie galten als „die ersten Österreich­er in Paris nach Helmut Lang“und sind seit damals Mitglieder der einflussre­ichen Fe-´ deration´ francaise¸ de la mode, was ihnen einen Startplatz auf dem offizielle­n Schauenkal­ender sicherte – und eine Einladung zum Abendessen „chez Macron“. Die Herbstkoll­ektion von Ruthner und Fankhauser wurde in Kellerräum­lichkeiten des Palais de Tokyo gezeigt: In dieser kühlen Nachtclub-Atmosphäre fand die Präsentati­on eine natürlich anmutende Verortung.

Neonfarben­e Outfits, die an Workwear oder Technoklam­otten auf Raves erinnerten, oder ein Look mit prominente­m Slogan-Print „Chaos Making a New Chaos“entspreche­n ganz dem hippen Zeitgeist in Paris. Dass Wendy Jim mit ihrer vor beinah zwanzig Jahren entwickelt­en Ästhetik durchaus als Vorläufer von Gvasalia gesehen werden können, ist eigentlich Nebensache. Was zählt, ist in der Mode – siehe auch den anders gelagerten Fall von Paul Poiret – einzig die Relevanz in der Gegenwart.

LOUIS VUITTON.

Ein Defilee im Louvre.

WENDY JIM.

Revival des Wiener Labels.

Lagerfeld in Hochform, Dior im Geist von 1968 und eine revitalisi­erte Mode-Legende.

BALENCIAGA.

Demna Gvasalias Handschrif­t.

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AFP Einen Wald ließ Karl Lagerfeld für Chanel im Grand Palais in Paris wachsen.
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