Die Presse am Sonntag

»Weib, was weinest du?« Maria Magdalena,

Bis heute lebt der Mythos der Frau, der Jesus sieben Geister ausgetrieb­en hat – in der Literatur, in der Popmusik und nun wieder im Film.

- VON THOMAS KRAMAR

Himmel oder Hölle, wo du herkommst, ist mir gleich“: Nur Hardcore-Kenner des Song Contests werden diese theologisc­h prekären Zeilen auf Anhieb erkennen. Sie stammen aus dem Lied „Maria Magdalena“, mit dem Tony Wegas 1993 in Irland für Österreich antrat und immerhin auf Platz 14 kam. Es war nicht das erste Song-Contest-Lied dieses Namens: 1999 trat die Kroatin Doris Dragovic´ mit „Marija Magdalena“an, in dem sie sang, dass „deine Liebe“sie „gekreuzigt“habe.

Textlich ähnlich verwirrend – aber nicht bei der Eurovision, dafür in den Hitparaden – war 1985 „(„I’ll Never Be) Maria Magdalena“von der Saarbrückn­erin Sandra: Zum ärmlichen elektrisch­en Schlagzeug sang der Chor, dass sie (also die Person, die nicht Maria Magdalena sein will) eine „creature of the night“sei, aber Liebe brauche.

Das liebesbedü­rftige Geschöpf der Nacht, die Sünderin, die zur Heiligen wird: Die Figur der Maria aus Magdala hat einen Nerv der christlich fundierten Kultur so getroffen, dass sie noch zwei Jahrtausen­de später sogar in der trivialste­n Popmusik lebt. Komplexer war etwa die religiöse Konstrukti­on, die Stefani Germanotta vulgo Lady Gaga im Song „Judas“(2011) baute: Sie gab die heilige Närrin, die Judas anhimmelt, den „king without a crown“: „I’ll wash his feet with my hair if he needs.“ Mit Salbe. Das anmutige bis abgründige Motiv der Schönen, die dem Messias – oder in Lady Gagas kühner Variante dessen Verräter – die Füße wäscht, mit ihrem langem Haar trocknet und sie salbt, wurde erst unlängst von der österreich­ischen Sängerin Teresa Rotschopf im Song „Messiah“zitiert. Es ist auch der Grund dafür, dass Maria Magdalena in der Ikonografi­e – neben einer Geißel und einem Schädel – einen Salbentieg­el als Attribut hat und meist mit langem, offenem Haar dargestell­t wird.

Dabei wird in den beiden Bibelstell­en, die eine solche Szene beschreibe­n, der Name Maria Magdalena gar nicht genannt. In Lukas 7 wird die Frau, die Jesu Füße mit Tränen benetzt und mit ihrem Haar trocknet, nur knapp als „Sünderin“bezeichnet. Eine „obszöne Demonstrat­ion“nannte das der USTheologe Jack Miles: Die Haare herunterzu­lassen sei im damaligen Israel einer Entkleidun­g gleichgeko­mmen. Jesus habe dieses „beschämend­e Verhalten“jedenfalls gebilligt.

Als im Lukasevang­elium ein Pharisäer kritisiert, dass Jesus sich das gefallen lässt, antwortet dieser mit einer Gegenübers­tellung: „Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.“

Schon Maria, aber ohne den Beinamen Magdalena, heißt die Frau, die im Johannesev­angelium die Füße Jesu salbt, und zwar mit kostbarer Narde. Hier ist es Judas, der protestier­t: Wäre es nicht besser, die teure Salbe zu verkaufen und den Erlös den Armen zu geben? Jesus antwortet, nicht wirklich karitativ: „Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit.“

Dass die Frauen in diesen Bibelstell­en mit Maria Magdalena gleichgese­tzt werden, geht auf Papst Gregor I. (540–604) zurück, der sie als Beispiel der Heilserlan­gung durch Demut, Reue, Buße und Umkehr sah. Die „Sünderin“wurde später in der katholisch­en Überliefer­ung als Prostituie­rte gedeutet, in diesem Sinn widmete sich der 1224 gegründete Orden der Magdalener­innen der Rettung der Seelen reuiger Huren; „Magdalenen­heime“, wo diese betreut wurden, gab es bis tief ins 20. Jahrhunder­t. Das Bild der Verführeri­n Jesu spielt etwa in Gottfried von Einems Oper „Jesu Hochzeit“(in der Jesus nicht sie, sondern die „Tödin“heiratet) hinein: Maria Magdalena tobt, schimpft, will Jesus verführen, doch plötzlich ist sie ruhig und fragt: „Wo ist Leben? Wo ist Wahrheit? Wo ist der Weg?“

Tatsächlic­h mit Namen vorgestell­t wird Maria Magdalena in Markus 16 und Lukas 8: Dort hat Jesus ihr jeweils sieben (böse) Geister ausgetrieb­en. Sie und andere Frauen, „die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheite­n“, begleiten ihn, so heißt es bei Lukas, wie die zwölf Jünger auf der Reise durch Städte und Dörfer. Bei Markus erfährt man das erst im Rück-

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Erich Lessing/picturedes­k.com Hier mit Schleier, aber mit offenem Haar: Arnold Böcklin, „Trauer der Maria Magdalena an der Leiche Christi“, 1867.
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