Die Presse am Sonntag

»Der kleine, graue Tschekist Putin«

Hörspiel des Aufbegehre­ns: Mascha Alechina von Pussy Riot trug in der Arena Wien zu dramatisch­er Musik aus ihrem Buch »Riot Days« vor. Resümee des Abends: Der aufsässige Gestus des Punk passt auch im Ernstfall.

- VON THOMAS KRAMAR

Der Sommer war vorbei. Es wurde immer früher dunkel. Putin gab bekannt, er wolle zum dritten Mal kandidiere­n.“So, im Winter 2012, beginnt „Riot Days“, das Buch von Mascha Alechina, einem Mitglied von Pussy Riot. Am 21. 2. 2012 war sie beim „Punk-Gebet“gegen Putin in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau dabei, sie wurde am 17. 8. 2012 wegen „Rowdytums aus religiösem Hass“verurteilt, verbrachte zwei Jahre im Lager, teils in Einzelhaft. „Es war richtig, dass das Gericht dieses Urteil gefällt hat“, sagte Putin: „Moralische Grundlagen darf man nicht untergrabe­n und damit das Land zerstören.“

In diesen Tagen – der Winter ist fast vorbei, es wird immer früher hell, Putin kandidiert zum vierten Mal – ist Mascha Alechina auf Tournee, am Freitag war sie in der Arena. Zart, ein Kreuz um den Hals, im schwarzen Kleid, trug sie im rhythmisch­en Sprechgesa­ng aus ihrem Buch vor, ein Schauspiel­er mit nacktem Oberkörper ergänzte die Sätze bald, formte sie bald als Parolen („Gottesmutt­er, werde Feministin!“, „Die Gitarre – ein unorthodox­es Instrument“, „Regel eins: Einen Anwalt finden!“), skandierte, schrie. Mit den heftigen Beats und dem unheilvoll dramatisch­en Saxofon des Duos Awott entstand so ein fesselndes, bisweilen quasi-liturgisch anmutendes Hörspiel des Aufbegehre­ns gegen ein autoritäre­s, mit der Kirche verbündete­s Regime: die kraft- und kunstvolle Erzählung über einen Versuch, die Geschichte zumindest ein klein wenig umzuschrei­ben. Teils offensiv („der kleine, graue Tschekist Putin“), teils thesenhaft („Wir haben das Recht, Nein zu sagen“), teils humorvoll („Wir aßen, was Gott uns gab, meistens gab er Nudeln“). Dazu Videos von den Pussy-Riot-Aktionen, von den Lagern: kahler Beton im kalten Winter. Nein, dachte man sich, das ist keine Punk-Ästhetik, das ist real, diese Frau war wirklich hinter diesen Mauern. Natürlich setzte sie einmal die berühmte Wollmütze mit Augenlöche­rn auf. Auffallend war, wie wichtig im AntiSermon von Pussy Riot die christlich­e Religion ist: Nicht nur die Madonna wird immer wieder angerufen, auch ihre schillernd­e Namensvett­erin (siehe Seiten 42/43): „Die Feministin Magdalena geht demonstrie­ren!“

Auf Putin-Versteher hatte man keine Lust nach diesem Auftritt. Und man grübelte: War das Punk? Passt es zum – bitte um Verzeihung für das böse Wort – herzigen Punk der österreich­ischen Vorband namens Schapka (Russisch für Mütze), die ihr Album „Wir sind Propaganda“nennt und, rhythmisch nicht immer ganz sicher, aber mit dem edlen Pathos des Antivirtuo­sentums gegen die Mühsal der Fahrschule und für Anerkennun­g von Sexarbeit singt?

Ja, es passt. Der aufsässige Gestus des Punk funktionie­rt mehr als vier Jahrzehnte nach seiner Erfindung offenbar genauso gegen ein unterdrück­erisches System wie gegen Unbehagen in einer im Großen und Ganzen liberalen, toleranten Kultur. Dass seine Ästhetik so flexibel ist, spricht nicht gegen, sondern für sie. Die rebellisch­e Pose hat nicht nur unter unerträgli­chen Bedingunge­n, sondern auch im ambivalent­en Alltag ihre Berechtigu­ng. Freiheit! Im Grunde war das ja schon von Anfang des Punk an so: Oder glaubt jemand wirklich, dass der „White Riot“, zu dem The Clash 1977 aufriefen, ein so akutes, so ernstes gesellscha­ftspolitis­ches Anliegen war wie der Aufstand, den Pussy Riot forderten? In diesem Sinn ist der Satz auf den am Merchandis­e-Stand verkauften T-Shirts – „Everybody Can Be Pussy Riot“– nicht anmaßend, sondern empathisch. Und, pathetisch gesagt, ein Aufruf zur Wachsamkei­t. „Es gibt keine Freiheit, wenn man nicht täglich für sie kämpft“, sagte Mascha Alechina zum Schluss. Das ist sozusagen die Antithese zur Hippie-Definition: Freiheit ist, wenn man noch etwas zu verlieren hat.

Musik gab es an diesem Abend übrigens auch im kleineren „Dreiraum“der Arena: The Garden traten auf. Frage an die dort anwesende FM4-Kollegin: Was hat denn diese Band gespielt? Antwort: „Hipster-Punk.“Abschließe­nder Besuch im Arenabeise­l: Dort ist es laut und verraucht wie eh und je, es sitzen dieselben Menschen herum wie vor 40 Jahren. Oder ihre Kinder. Punk rules, okay. So und so.

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APA/EXPA/Michael Gruber Sie war zwei Jahren im Lager, nun ist sie auf Tour: Mascha Alechina vom russischen Punkkollek­tiv Pussy Riot in der Arena.

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