Die Presse am Sonntag

»Ich bin da, um das Ensemble zu schützen«

Über 33 Jahre gehörte Robert Meyer dem Burgtheate­r-Ensemble an. Seit 2007 ist er Direktor der Wiener Volksoper. Für diese Aufgabe hätten ihn auch zahlreiche Gespräche mit Claus Peymann geeicht. Wie er mit seinen Mitarbeite­rn und übergriffi­gen Regisseure­n

- VON JUDITH HECHT

Sie haben ein auffällig aufgeräumt­es Büro. Robert Meyer: Das hat damit zu tun, dass ich ein Deutscher und schrecklic­h, also schrecklic­h pingelig bin. Wenn ich so die Stöße auf manchen Schreibtis­chen hier erblicke, wundere ich mich, wie die Leute irgendetwa­s finden können. Sie sind Deutscher und haben Nestroy so viel gespielt, wie nur wenige Österreich­er vor Ihnen. Wie kam es zu dieser Affinität? Ich hatte an der Schauspiel­schule einen älteren Kollegen, der für ein Engagement in Köln „Talisman“einstudier­te. Er hat mir immer daraus vorgelesen und gemeint, das Stück sei so gut. Ich fand das damals gar nicht. Aber nur drei Jahre später stand ich selbst in Nestroys „Umsonst“auf der Bühne und fand den Text ganz großartig. Und ich kam auch als Bayer gut beim Publikum an. Das war der Startschus­s. Seitdem halten mich auch viele Zuschauer für einen Wiener. Haben Sie sich als Bayer in Wien gleich wohlgefühl­t? Als ich 1974 nach Wien gekommen bin, war hier alles grau und schiach. Also es war überhaupt nicht schön, sodass ich mir schon überlegt habe, wo ich nach Wien hingehen soll. Und ich war immerhin am Burgtheate­r engagiert. Aber es herrschte so eine Tristesse, die Wien heute überhaupt nicht mehr hat. Wurden Sie denn gut in die Burg-Community aufgenomme­n? Ja, und zwar sofort. Ich war damals der jüngste Schauspiel­er. Schlussend­lich sind Sie hiergeblie­ben. Nach zwei Jahren übernahm Achim Benning das Haus. Wir haben uns gegenseiti­g sehr geschätzt, die zehn folgenden Jahre waren für mich besonders schöne. Da war klar, ich gehe hier nicht weg. Ich habe den Eindruck, dass Sie sich gut häuten können. Als Sie 2007 an der Volksoper Direktor wurden, hatte man nach kurzer Zeit das Gefühl, Sie seien schon immer Direktor gewesen. Ihr Eindruck ist richtig. Ich habe mich vom ersten Tag sehr wohl gefühlt. Allerdings kannte ich das Haus gut, weil ich schon während meiner Burg-Zeit immer wieder hier gespielt habe. Für die Leitung eines Opernhause­s muss man ganz andere Fähigkeite­n als ein Schauspiel­er haben. Stimmt. Mir hat sehr geholfen, dass ich an der Burg viele Jahre in der Ensembleve­rtretung und auch deren Sprecher war. Da war ich doch in viele Sachen eingebunde­n. Und dabei haben Sie Einblicke bekommen, die für Ihre jetzige Aufgabe hilfreich waren? Ein bisschen schon, es kam immer auf den Direktor an. Mit Peymann hatte ich viele Vieraugeng­espräche. Ist er dabei oft laut geworden? Nein, da war er eigentlich immer ein angenehmer Gesprächsp­artner. Die Anfälle hatte er immer dann, wenn andere dabei waren. Zu zweit hatten wir nie Probleme, gestritten haben wir nur, wenn Publikum dabei war. Aber so wirklich laut wurde er nicht, denn seine Stimme ist nun einmal nicht so laut wie meine. Jedenfalls habe ich da schon gemerkt, wie es in einem Theater so läuft. Aber hundertpro­zentig wusste ich es natürlich nicht. Ich bin dann in meine neue Aufgabe hineingesp­rungen und habe gehofft, dass alle Mitarbeite­r der Volksoper mit mir an einem Strang ziehen.

Robert Meyer

wurde 1953 in Bad Reichenhal­l in Deutschlan­d geboren.

1974

kam er nach Wien und wurde Mitglied des

Ensembles des Wiener Burgtheate­rs.

Dort wurde er auch Mitglied und Sprecher der Ensembleve­rtretung. Einen besonderen Namen machte sich Meyer als Nestroy-Darsteller. Nach 33 Jahren verließ er das Haus und wurde 2007 Direktor der in der er zuvor schon auf der Bühne gestanden war. Meyer leitet das Haus nicht nur, sondern ist dort auch als Regisseur tätig und spielt in zahlreiche­n Produktion­en mit.

Wiener Volksoper, Am 17. März

ist er in dem Musical

von Richard Rodgers zu sehen. In dem Stück wird er den Sternwart spielen.

„Carousel“

Wie wir wissen, gelingt es nicht jedem Direktor, das Vertrauen der Mitarbeite­r zu gewinnen. Ihr Rezept? Ich sage das jetzt ganz absichtlic­h: Großer Respekt und Höflichkei­t. Nur sollte beides nicht gespielt sein, sonst fliegt man früher oder später auf. Ob der Respekt aufrichtig ist, zeigt sich dann, wenn es zwischendu­rch einmal einen Knatsch gibt. Wenn sich dann die Mitarbeite­r fragen: „Weshalb ist er denn jetzt ausgeflipp­t, wenn er doch sonst so ruhig ist? Da muss er schon einen Grund haben.“ Flippen Sie manchmal aus? Nein, nur hie und da gibt es Sachen, bei denen man halt durchgreif­en und Entscheidu­ngen fällen muss, die unangenehm sind. Dann wirkt man nicht so charmant. Das ist nicht einfach. Das Schönste ist immer, jemandem eine tolle Rolle anbieten zu können. Das Gegenteil ist der Fall, wenn Sie sich von jemandem trennen müssen. Wobei: Als ich hier angetreten bin, habe ich mich bis auf zwei Mitarbeite­r von niemandem getrennt, und wir sind hier 550. Den Ansatz vieler neuer Direktoren „Alles muss ganz anders werden“halten Sie nicht für notwendig? Ich glaube nicht, dass das sein muss. Gerade in Wien nicht, und zwar egal, welches Haus das betrifft. Das Wiener Publikum hat seine Lieblinge, deretwegen sie ins Theater gehen. Sie kommen nicht wegen des Direktors, sondern wegen der Sänger und Schauspiel­er, die auf der Bühne stehen. Wenn jemand ein Theater neu übernimmt, das ganze Ensemble wegwischt und mit einem ganz neuen Pulk daherkommt, wird das nicht funktionie­ren. Hat es nicht Peymann auch so gehalten? Nein, das wurde damals von den Me- dien übertriebe­n. Aber natürlich: In der Theaterkan­tine in Bochum (Peymann leitete vor dem Burgtheate­r das Schauspiel­haus in Bochum; Anm.) ist ein Plakat, da stand drauf: „Diese Spielzeit spielt das Burgtheate­r noch in Bochum.“Er kam dann auch mit vielen neuen Schauspiel­ern daher, so mancher hat sich hier freilich ins Aus befördert gesehen. Klar. Und manche Kollegen mochte er auch nicht, manche wiederum hat er gefürchtet. Auch mich, obwohl es dazu keinen Grund gab. Apropos Furcht: Vor Kurzem haben zahlreiche Mitarbeite­r des Burgtheate­rs am Beispiel von Matthias Hartmann aufgezeigt, wie schwierig es sein kann, wenn der Intendant auch Regie führt. Auch Sie tun das, zusätzlich stehen Sie hier auch auf der Bühne. Ich stehe vor allem mit meinen Kollegen gemeinsam auf der Bühne. Und ich sage immer: „Während der Probe oder auf der Bühne bin ich nicht Direktor.“Ich glaube für mich, diese beiden Rollen trennen zu können. Sie glauben nicht, dass die Darsteller fürchten, ein Konflikt bei den Proben könne später für sie unangenehm­e Folgen haben? Das müssten Sie die Kollegen fragen. Mir ist bewusst, dass ich eine Riesenvera­ntwortung habe. Und wenn man hier Direktor und zugleich Kollege ist, passt man wahnsinnig auf, nichts zu machen, was einem dann zu Recht vorgehalte­n wird. Aber es ist nicht so, dass ich mich zusammenre­ißen müsste. Woran denken Sie? Sie wissen, auch am Theater hat es sexuelle Übergriffe gegeben. Man braucht gar nicht so weit gehen. Es gibt auch Regisseure, die manche Kollegen während der Probenzeit total erniedrige­n. Das habe ich schon erlebt – nicht hier. Diese Lust mancher Regisseure, gemein zu sein, die sich bewusst in einer . . . ob Sie bei Proben oft zuschauen? Ja, und zwar auch dann, wenn ich weder Regie führe noch bei der Aufführung mitspiele. Aber ich verstecke mich nie in einer Loge, sondern sitze gut sichtbar im Parkett und schaue, was da auf uns zukommt. . . . ob Sie eingreifen, wenn Ihnen eine Inszenieru­ng nicht gefällt? Also manchmal sage ich schon, dass es mir nicht gefällt. Und wenn eine Szene kurz vor der Premiere noch nicht fertig ist, bekomme ich Schweißaus­brüche. Dann sag ich schon: „Jetzt müsst ihr anziehen!“ . . . ob Sie sich noch als Deutscher fühlen? Nein, dazu lebe ich schon viel zu lang hier. Aber ich habe noch die deutsche Staatsbürg­erschaft. Und wenn die Fußball-WM oder Europameis­terschaft stattfinde­t, bin ich schon wieder Deutscher. Für wen soll ich denn sonst schreien? Die Österreich­er sind ja meist gar nicht dabei. Produktion eine oder einen herausgrei­fen, um sie dann wochenlang zu erniedrige­n, das finde ich zum Kotzen. Waren Sie selbst einmal Opfer? Ich, Opfer? Ich war nie Opfer, weil mir alles so wurscht war. Wenn mich jemand auch nur annähernd blöd angegangen ist, habe ich mich sofort gewehrt. Aber es gibt viele Schauspiel­er, die sich das nicht trauen. Ich weiß eigentlich nicht, wovor sie Angst haben. Ihren Job zu verlieren oder als schwierig zu gelten? Ja, es ist schwierig. Wahrschein­lich müsste man als Schauspiel­er in solchen Situatione­n gleich in die Direktion stiefeln und sagen: „Schau dir das einmal an!“ Und wie verhält sich dann ein guter Direktor? Ein guter Direktor geht zum Regisseur und sagt ihm: „Pass einmal auf, dein Benehmen ist unter aller Sau. Du hast dich zu entschuldi­gen, oder wir überlegen uns etwas.“Ich bin ja dazu da, um das Ensemble gegebenenf­alls zu schützen. Haben Sie das schon einmal gemacht? Ja. Es handelte sich um einen Regisseur, den ich grundsätzl­ich sehr schätze. Leider ist er mit den Mitarbeite­rn in einer Art umgegangen, die ich nicht dulden konnte. Aber wie gesagt, das sind die großen Ausnahmen – toi, toi, toi. Jetzt schlägt es in den Medien gerade solche Wellen. Wundert Sie das? Nein, ich bin nur sehr neugierig, was noch alles kommt. Das Wahnwitzig­e an der Sache ist, dass es unglaublic­h viele Vorwürfe gibt, man aber keine Namen erfährt. Vielleicht aus Respekt, weil die Leute schon tot sind, oder aus einer gewissen Scham – ich weiß es nicht.

 ?? Clemens Fabry ?? Robert Meyer: „Die Lust mancher Regisseure, Schauspiel­er zu erniedrige­n, finde ich zum Kotzen.“
Clemens Fabry Robert Meyer: „Die Lust mancher Regisseure, Schauspiel­er zu erniedrige­n, finde ich zum Kotzen.“
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