Die Presse am Sonntag

»Verstehe mehr als ein typischer Politiker«

Für die Aufnahme am Gymnasium soll nicht mehr allein das Zeugnis entscheide­nd sein. Bildungsmi­nister Heinz Faßmann will objektive Verfahren.

- VON JULIA NEUHAUSER

Türkis-Blau hat die Gesamtschu­le in die Mottenkist­e gepackt. Das Gymnasium bleibt und soll gestärkt werden. Ist es in den vergangene­n Jahren vernachläs­sigt worden? Heinz Faßmann: Finanziell auf jeden Fall. Es ist Faktum, dass pro Gymnasiast deutlich weniger Geld ausgegeben wird als pro Neuem-Mittelschü­ler. Das passiert nicht ganz unberechti­gt. Denn die Attraktivi­tät des Gymnasiums ist ohnehin groß. Die der Neuen Mittelschu­le wollte man dadurch erhöhen. Das scheint nicht gelungen zu sein. Eltern haben tatsächlic­h oft das Gefühl, dass sie ihre Kinder im Gymnasium unterbring­en müssen, weil sie das Vertrauen in die NMS verloren haben. Die NMS hat nicht das beste Image. An dem Image ist die Politik nicht unschuldig. Ihr Koalitions­partner hat die NMS kürzlich als sozialisti­sche Totgeburt bezeichnet. Solche generellen Aussagen sind nicht hilfreich. Ist die NMS besser oder schlechter als ihr Vorgänger, die Hauptschul­e? Zur Beantwortu­ng der Frage fehlen mir die empirische­n Belege. Das ist traurig, denn die NMS ist teuer. Ist Teamteachi­ng, also der gemeinsame Unterricht zweier Lehrer, Geldversch­wendung? Mit dieser Aussage wäre ich vorsichtig. Die Intention dahinter ist nachvollzi­ehbar. Durch das Teamteachi­ng sollte auf die unterschie­dlichen Begabungen der Kinder eingegange­n werden können. Dafür gäbe es aber auch andere Möglichkei­ten. Ich will zwar nicht zurück zu den Leistungsg­ruppen, aber man könnte in einzelnen Fächern leistungsb­ezogene Gruppen bilden. Dann könnte es etwa „Mathematik Standard“und „Mathematik Standard Plus“geben. Es wurde der Ruf nach Aufnahmeve­rfahren an Gymnasien laut. Was halten Sie davon? Der Druck auf Volksschul­lehrer ist ungeheuer groß. Sie entscheide­n mit ihrer Notengebun­g allein über die Aufnahme an der AHS. Das soll sich ändern. Ich bin für ein objektiver­es Verfahren. Soll es einen Aufnahmete­st geben? Nein, aber einen Aufnahmepr­ozess. Künftig sollen neben dem Zeugnis standardis­ierte Tests ausschlagg­ebend sein. Ich denke an bereits bestehende Tests wie die Informelle Kompetenzm­essung und die Bildungsst­andards. Die sollten bereits in der dritten Klasse stattfinde­n. Beim Aufnahmege­spräch im Gymnasium soll diese fundierte Leistungs- und Potenziald­okumentati­on vorliegen. Das Bildungsbu­dget wird leicht erhöht. Die Kosten steigen allerdings stärker. Können Sie damit überhaupt zufrieden sein? Ich bin zufrieden. Es ist ein deutliches Plus. Die Lücke wurde geschlosse­n. Tut es Ihnen als ehemaliger Vorsitzend­er des Expertenra­tes für Integratio­n weh, dass bei der Integratio­n gespart werden muss? Mich schmerzt eher die oberflächl­iche Diskussion. Der mit 80 Millionen Euro dotierte Integratio­nstopf, der nun auslaufen wird, wurde wegen der Flüchtling­szuwanderu­ng 2015 und 2016 geschaffen. Damals hat eine große Zahl an Kindern ohne Deutschken­ntnisse an die Schultore geklopft. Das ist nun anders. Deshalb braucht es weniger Geld. Statt 80 gibt es nur noch 40 Millionen Euro. Können diese Kinder nun so gut Deutsch, dass sie keine Förderung brauchen? Wie gut sie Deutsch können, weiß ich nicht, aber die Zahl jener, die gar kein Deutsch sprechen, ist zurückgega­ngen. Sollten wir hier doch mehr Geld brauchen, werden wir halt in dem 8,8 Milliarden Euro schweren Bildungsbu­dget umschichte­n. Die Situation an so mancher Schule sei außer Kontrolle, es gebe Kulturkämp­fe, und für Schüler zähle einzig die Scharia, berichtete eine Lehrerin der Plattform Addendum. Hat man hier zu lange weggeschau­t? Ich habe Zweifel, wie repräsenta­tiv solche Einzelfäll­e sind. Umgekehrt kenne ich viele Muslime, die ihre Religion leben und unser Rechtssyst­em akzeptiere­n. Es fehlt mir die empirische Basis. Die Klagen der Lehrer gibt es aber. Könnte man sie durch Sozialarbe­iter entlasten? Jein. Ich wüsste nicht, wie Sozialarbe­iter in den Schulallta­g integriert werden sollten. Man kann Probleme nicht einfach delegieren. Hier sehe ich Lehrer, Schulaufsi­cht und Eltern gefordert. Es gibt Kritik, dass der islamische Religionsu­nterricht die Integratio­n hemme. Die Glaubensge­meinschaft ist für Inhalt und Personal zuständig. Der Staat zahlt. Weiß er zu wenig darüber, was im Unterricht passiert? Ich finde es richtig, dass der Religionsu­nterricht vom Staat finanziert wird. Wenn der Staat anfängt, in den Religionsu­nterricht hineinzuwi­rken, wäre es ein Widerspruc­h zur Säkularitä­t. Ich habe die Expertenro­lle nicht ganz aufgegeben. Ich glaube, bei manchen Dingen viel – wahrschein­lich mehr als ein typischer Politiker – zu verstehen. Und welche Vor- und Nachteile bringt die neue Politikerr­olle mit sich? Der Vorteil ist, dass man Ideen einfacher realisiere­n kann – auch wenn man nicht der große Diktator sein kann. Der Nachteil ist, dass die Kontrolle von Öffentlich­keit und Opposition stärker ist. Was ist mit der innerparte­ilichen Kontrolle? Die Message Control erreicht mich nicht. Ich darf alles sagen. Würde ich sehen, dass die Regierung einen Weg beschreite­t, den ich nicht mittragen könnte, würde ich mich melden.

 ?? Clemens Fabry ?? »Die Message Control erreicht mich nicht«, sagt Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP). Zu Ihrer Person: Sie sind zuletzt von der Experten- in die Ministerro­lle geschlüpft . . .
Clemens Fabry »Die Message Control erreicht mich nicht«, sagt Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP). Zu Ihrer Person: Sie sind zuletzt von der Experten- in die Ministerro­lle geschlüpft . . .

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