»Verstehe mehr als ein typischer Politiker«
Für die Aufnahme am Gymnasium soll nicht mehr allein das Zeugnis entscheidend sein. Bildungsminister Heinz Faßmann will objektive Verfahren.
Türkis-Blau hat die Gesamtschule in die Mottenkiste gepackt. Das Gymnasium bleibt und soll gestärkt werden. Ist es in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden? Heinz Faßmann: Finanziell auf jeden Fall. Es ist Faktum, dass pro Gymnasiast deutlich weniger Geld ausgegeben wird als pro Neuem-Mittelschüler. Das passiert nicht ganz unberechtigt. Denn die Attraktivität des Gymnasiums ist ohnehin groß. Die der Neuen Mittelschule wollte man dadurch erhöhen. Das scheint nicht gelungen zu sein. Eltern haben tatsächlich oft das Gefühl, dass sie ihre Kinder im Gymnasium unterbringen müssen, weil sie das Vertrauen in die NMS verloren haben. Die NMS hat nicht das beste Image. An dem Image ist die Politik nicht unschuldig. Ihr Koalitionspartner hat die NMS kürzlich als sozialistische Totgeburt bezeichnet. Solche generellen Aussagen sind nicht hilfreich. Ist die NMS besser oder schlechter als ihr Vorgänger, die Hauptschule? Zur Beantwortung der Frage fehlen mir die empirischen Belege. Das ist traurig, denn die NMS ist teuer. Ist Teamteaching, also der gemeinsame Unterricht zweier Lehrer, Geldverschwendung? Mit dieser Aussage wäre ich vorsichtig. Die Intention dahinter ist nachvollziehbar. Durch das Teamteaching sollte auf die unterschiedlichen Begabungen der Kinder eingegangen werden können. Dafür gäbe es aber auch andere Möglichkeiten. Ich will zwar nicht zurück zu den Leistungsgruppen, aber man könnte in einzelnen Fächern leistungsbezogene Gruppen bilden. Dann könnte es etwa „Mathematik Standard“und „Mathematik Standard Plus“geben. Es wurde der Ruf nach Aufnahmeverfahren an Gymnasien laut. Was halten Sie davon? Der Druck auf Volksschullehrer ist ungeheuer groß. Sie entscheiden mit ihrer Notengebung allein über die Aufnahme an der AHS. Das soll sich ändern. Ich bin für ein objektiveres Verfahren. Soll es einen Aufnahmetest geben? Nein, aber einen Aufnahmeprozess. Künftig sollen neben dem Zeugnis standardisierte Tests ausschlaggebend sein. Ich denke an bereits bestehende Tests wie die Informelle Kompetenzmessung und die Bildungsstandards. Die sollten bereits in der dritten Klasse stattfinden. Beim Aufnahmegespräch im Gymnasium soll diese fundierte Leistungs- und Potenzialdokumentation vorliegen. Das Bildungsbudget wird leicht erhöht. Die Kosten steigen allerdings stärker. Können Sie damit überhaupt zufrieden sein? Ich bin zufrieden. Es ist ein deutliches Plus. Die Lücke wurde geschlossen. Tut es Ihnen als ehemaliger Vorsitzender des Expertenrates für Integration weh, dass bei der Integration gespart werden muss? Mich schmerzt eher die oberflächliche Diskussion. Der mit 80 Millionen Euro dotierte Integrationstopf, der nun auslaufen wird, wurde wegen der Flüchtlingszuwanderung 2015 und 2016 geschaffen. Damals hat eine große Zahl an Kindern ohne Deutschkenntnisse an die Schultore geklopft. Das ist nun anders. Deshalb braucht es weniger Geld. Statt 80 gibt es nur noch 40 Millionen Euro. Können diese Kinder nun so gut Deutsch, dass sie keine Förderung brauchen? Wie gut sie Deutsch können, weiß ich nicht, aber die Zahl jener, die gar kein Deutsch sprechen, ist zurückgegangen. Sollten wir hier doch mehr Geld brauchen, werden wir halt in dem 8,8 Milliarden Euro schweren Bildungsbudget umschichten. Die Situation an so mancher Schule sei außer Kontrolle, es gebe Kulturkämpfe, und für Schüler zähle einzig die Scharia, berichtete eine Lehrerin der Plattform Addendum. Hat man hier zu lange weggeschaut? Ich habe Zweifel, wie repräsentativ solche Einzelfälle sind. Umgekehrt kenne ich viele Muslime, die ihre Religion leben und unser Rechtssystem akzeptieren. Es fehlt mir die empirische Basis. Die Klagen der Lehrer gibt es aber. Könnte man sie durch Sozialarbeiter entlasten? Jein. Ich wüsste nicht, wie Sozialarbeiter in den Schulalltag integriert werden sollten. Man kann Probleme nicht einfach delegieren. Hier sehe ich Lehrer, Schulaufsicht und Eltern gefordert. Es gibt Kritik, dass der islamische Religionsunterricht die Integration hemme. Die Glaubensgemeinschaft ist für Inhalt und Personal zuständig. Der Staat zahlt. Weiß er zu wenig darüber, was im Unterricht passiert? Ich finde es richtig, dass der Religionsunterricht vom Staat finanziert wird. Wenn der Staat anfängt, in den Religionsunterricht hineinzuwirken, wäre es ein Widerspruch zur Säkularität. Ich habe die Expertenrolle nicht ganz aufgegeben. Ich glaube, bei manchen Dingen viel – wahrscheinlich mehr als ein typischer Politiker – zu verstehen. Und welche Vor- und Nachteile bringt die neue Politikerrolle mit sich? Der Vorteil ist, dass man Ideen einfacher realisieren kann – auch wenn man nicht der große Diktator sein kann. Der Nachteil ist, dass die Kontrolle von Öffentlichkeit und Opposition stärker ist. Was ist mit der innerparteilichen Kontrolle? Die Message Control erreicht mich nicht. Ich darf alles sagen. Würde ich sehen, dass die Regierung einen Weg beschreitet, den ich nicht mittragen könnte, würde ich mich melden.