Generation Putin: Wie junge Russen ihr Land
Was erhoffen sich junge Russen von der Zukunft? Und wie denken sie über ihren Präsidenten, der heute für weitere sechs Jahre im Amt bestätigt wird?
Ich bin die Junge Armee“, dringen die Rufe durch die Halle. Die Burschen und Mädchen tragen sandfarbene Uniformen, Schnürstiefel und rote Barette. Am Rande Moskaus versammelten sich Ende Februar mehrere tausend Jugendliche, um den Tag des Vaterlandsverteidigers zu feiern. Sie stählten ihre Bauchmuskeln, schossen aus Gewehren und sangen Kriegslieder. Der Junarmia – Jungen Armee – haben sich laut offiziellen Zahlen mehr als 208.000 Burschen und Mädchen angeschlossen. Die Bewegung ist eine Wiedergeburt der Pioniere, nur unter russisch-patriotischen Vorzeichen.
Das ist das offizielle Bild der russischen Jugend – heimatliebend, stets bereit zum Kampf, der Gemeinschaft verpflichtet, versammelt hinter dem Präsidenten, dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Tatsächlich hat Wladimir Putin nach mehr als 18 Jahren im Amt eine gesamte Generation geprägt: Während sie ihre ersten Schritte taten, in der Schule das Alphabet lernten und sich zum ersten Mal verliebten, lenkte er stets die Geschicke von Russland. Und prägte damit ihr Erwachsenwerden, ihre Vorstellungen von Politik und Gesellschaft. Doch fühlen sich die russischen Millennials, die um die Jahrtausendwende Geborenen, von denen viele am Sonntag erstmals an einer Präsidentenwahl teilnehmen werden, von ihrem Präsidenten vertreten? Welche Werte sind ihnen wichtig? Und sind sie allesamt Putin-Fans, wie die Kreml-Medien es gern darstellen? „Putin, tritt ab.“An einem Tag Ende Jänner haben sich am Moskauer Puschkin-Platz ein paar tausend Menschen versammelt, darunter viele Jugendliche: unzufriedene städtische Jugendliche. Ein Mädchen erklimmt eine Straßenlaterne, die Menge feuert sie an. „Eins, zwei, drei – Putin, tritt ab“, rufen sie. Im Russischen reimt sich das und klingt gut: „Ras, dwa, tri – Putin uhodi.“
Der 19-jährige Jegor Tkatschew ist einer der Demonstranten. Der Oppositionelle Alexej Nawalny hat zum Boykott der Präsidentenwahl am 18. März aufgerufen. Tkatschew, in Schnürstiefeln, Winterparka und mit Pelzmütze, hält ein Plakat in der Hand, auf dem steht: „Ohne mich.“Er darf erstmals seine Stimme abgeben, wird jedoch an der Wahl nicht teilnehmen. „Ich liebe mein Land, aber nicht die Staatsmacht“, antwortet er. Die Wahl sei eine „Show“. Tkatschew arbeitet in der Werbebranche, er hängt viel im Internet herum und liest ständig Nachrichten. Er, der aus einer Militärfamilie stammt, hat gelernt, sich selbst umfassend zu informieren. Den russischen Staatsmedien glaubt er nicht. Was für andere Altersgenossen eine Quelle von Stolz ist, findet der 19-Jährige abschreckend: die Annexion der Krim, die Präsentation der neuen Atomwaffen bei Putins Jahresrede. „Von diesen Raketen habe ich einen Schrecken bekommen“, sagt Tkatschew, der weitere Spannungen zwischen Ost und West und ihre Folgen befürchtet. „Diese Politik hat Auswirkungen auf die Wirtschaft. Und die spüre ich dann persönlich.“
Die Generation Putin kennt das Defizit nicht. Ihr stehen alle Möglichkeiten offen.
Für den Chef des unabhängigen Umfrageinstituts Lewada-Zentrum, Lew Gudkow, wäre Tkatschew ein Paradebeispiel jener „dünnen Schicht der Stadtjugendlichen“, die verstünden, „dass ihre Möglichkeiten zur Selbstentwicklung sehr stark eingeschränkt sind“. Doch die Mehrheit der jungen Generation ticke anders, sagt der Soziologe. Daten untermauern dies.
Denn insbesondere die Jugend ist sehr Putin-freundlich eingestellt. Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums unterstützen 18- bis 24-Jährige den Kreml-Chef mit 86 Prozent. Das ist mehr als alle anderen Altersgruppen. Warum? Die Putin-Ära, in der die heutige Jugend sozialisiert wurde, war eine relative Epoche des Wohlstands. Seit der Unabhängigkeit habe das Land dank des hohen Ölpreises noch nie so gut gelebt, erklärt Gudkow. „Wenn man die Bürgerrechte einmal ausklammert, steht der Jugend alles offen: Konsum, sehr gute Arbeitsmarktchancen. Die Jugend kennt das Defizit der Sowjetzeit nicht, die Armut, die Langeweile. Ihr stehen alle Möglichkeiten offen, und sie ist mit allem einverstanden.“
Andrej Kolesnikow, Politik-Experte beim Moskauer Thinktank Carnegie, kommt in einer Untersuchung zu einem ähnlichen Ergebnis. Anders als gemeinhin angenommen, seien junge Russen für Wandel wenig empfänglich. Er bezeichnet die 18- bis 24-Jährigen als die „konservativste Gruppe“. Nur 34 Prozent wollten Veränderung, weniger