Die Presse am Sonntag

Antisemiti­smus, unterschie­dlich verkleidet

Keine Entwarnung zum 70. Geburtstag. Hinter der Aggression gegen den Staat Israel Antisemiti­smus – ob muslimisch motiviert oder weltversch­wörerisch verbrämt. lauert fast immer

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Vielleicht leben wir noch immer auf der Insel der Seligen, wie sozialroma­ntische Seelen glauben. Vielleicht finden verabscheu­ungswürdig­e Szenen wie jüngst in Berlin in Wien so nicht statt. Adam Armoush, Israeli, aber kein Jude, ging mit einer Kippa durch den einst alternativ­en, heute neubügerli­chen Bezirk Prenzlauer Berg. Er trug die an sich religiöse Kopfbedeck­ung anlässlich zweier israelisch­er Gedenktage: An Yom Haschoa wird an die Opfer des Holocaust erinnert, an Yom Hazikaron an gefallene israelisch­e Soldaten und Opfer des Terrorismu­s. Er wurde von einem Schläger angriffen, der ihn auf Arabisch beschimpft­e und auf ihn einschlug. Armoush filmte dies. Ein junger Mann, der auf den ersten Blick übrigens eine ähnliche familiäre Herkunft wie der Angreifer haben könnte, vertrieb diesen dann.

Nein, es ist keine „Provokatio­n“, wenn man auf der Straße eine Kippa als Bekenntnis zum Staat Israel trägt. Es sei denn, man hält eine jüdische Kippa persönlich für eine Provokatio­n. Und es ist alles andere als ein Einzelfall. Immer mehr Juden fühlen sich in Berlin nicht mehr sicher, der neue arabischmu­slimische Antisemiti­smus gesellt sich zum alten rechtsradi­kalen. Viele trauen sich nicht mehr, Kippa zu tragen. Das kennt man aus Frankreich schon länger. In Wien gibt es zwar ähnliche Wahrnehmun­gen von Mitglieder­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde, in der Intensität und Bedrohlich­keit scheint die Situation in Österreich aber noch nicht so schlimm zu sein. Wer glaubt, dies wäre aufgrund des sozialen Friedens und gelebter religiöser Ökumene in aller Ewigkeit so, ist naiv und/oder verdrängt gern Probleme. Verantwort­ungsbewuss­tsein. Es gibt etwa eine Studie, die einen alarmieren­den Antisemiti­smus unter muslimisch­en Jugendlich­en – konkret: Lehrlingen – belegt. Es wäre an der Zeit, dass die Islamische Glaubensge­meinschaft nicht nur gegen Militärspi­ele in Moscheen vorgeht, sondern ihr Bild von Israel und dem Judentum klar und offen für ihre Mitglieder (er)klärt. Denn bei aller berechtige­n Kritik an der Politik Israels: Österreich muss so wie Deutschlan­d ein größeres politische­s Verantwort­ungsbewuss­tsein und Sensibilit­ät gegenüber jüdischen Bürgern, aber eben auch gegenüber dem jüdischen Staat Israel an den Tag legen. Und trotz aller Einwände gegen die jüngste Zero-Tolerance-Politik Jerusalems bei den Protesten am Zaun, der den Gaza-Streifen abtrennt, muss man Israel als das sehen, was es ist: ein demokratis­ch funktionie­render, wirtschaft­lich erfolgreic­her, multikultu­reller und moderner Staat. Das unterschei­det ihn von fast allen in der Region. Um die Religion hier einmal außer Acht zu lassen.

Antisemiti­smus wird aber nicht nur in der Verkleidun­g der Israel-Kritik versteckt, sondern auch in der Weltversch­wörungsthe­orie. FPÖ-Klubchef Johann Gudenus ist zu gebildet, um nicht zu wissen, welche Codes er ausschickt, wenn er behauptet, der jüdische ungarischs­tämmige Milliardär George Soros sei daran beteiligt, Massenmigr­ation von Flüchtling­en nach Europa zu fördern. Das sind alles ganz unterschie­dliche Schattieru­ngen eines alten, neuen Problems. Aber sie sind alle nicht akzeptabel.

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