Von Bienen und Blüten
Wenn Apfelbäume, Kirschen und andere Obstsorten zwar reichlich blühen, jedoch trotzdem keine Früchte ausbilden, so liegt das meistens daran, dass sie ganz einfach einsam sind.
Es ist ein alter Hut, dass sich vermeintlich simple Zusammenhänge bei näherer Betrachtung als komplizierter und jedenfalls faszinierender herausstellen, als man annehmen sollte. Apropos Hut: Sie haben ihre Obstbäume hoffentlich längst geschnitten? Und zwar so, dass die Kronen so luftig sind, dass man einer alten Baumschneiderregel zufolge einen Hut durchwerfen kann? Sehr gut, dann steht einer opulenten Ernte nichts mehr im Weg.
Es sei denn, Spätfröste vergehen sich in den kommenden Wochen noch an den Obsthainen, oder manches Bäumchen verweigert aus ihnen derzeit noch unbekannten Gründen trotz idealer Bedingungen den Ertrag. In diesem Fall werden wir Aufklärung leisten, denn, wie gesagt, die Dinge sind fast immer komplizierter, als man denkt.
Ein Beispiel: Vor Jahren pflanzten die Nachbarn einen kleinen Kirschbaum. Es handelte sich um ein strammes Exemplar einer frühen Knorpelkirsche. Von diesen gibt es zahllose Sorten, wie die bekannte Große Schwarze Knorpelkirsche oder die Rote, die Gelbe, die Späte und dergleichen mehr. Das Bäumchen wuchs und gedieh und blühte auch gleich im nächsten Frühling an seinen wenigen zarten Ästen.
Dass es in den ersten Jahren trotzdem keine Früchte trug, sahen ihm die Nachbarn vorerst großherzig nach. Es sei ja noch klein und jugendlich, das Kirschenbäumchen, und da müsse es sich wahrlich noch nicht um Erwachsenenkram wie Befruchtung kümmern. Als das niedliche Gewächs jedoch zum Baum wurde und mit einer sechs Meter hohen Krone bereits die weitere Umgebung beschattete, begann die nachbarliche Großherzigkeit Erosionserscheinungen zu zeigen. Kirschenfreie Äste. Die Kirsche blühte reichlich, doch niemals bildeten sich aus den Blüten Kirschen. Wenn der nichtsnutzige Baum nicht bald Früchte spendiere, raunzte der Nachbar eines Frühsommers angesichts ausladender, doch wieder einmal völlig kirschenfreier Äste, würde er ihn umschneiden. Ein Jahr gebe er ihm noch, dann werde das Urteil ohne weitere Debatte vollstreckt.
Und siehe da, ein Jahr darauf geschah eine Art Wunder. Der Baum blühte wie gewohnt, was, wie die Erfahrung gezeigt hatte, noch kein Garant für irgendetwas war und demzufolge auch noch keine Hoffnung aufkommen ließ. Doch diesmal begannen sich in den weiß umkränzten Blütensternen Früchte zu bilden, verheißungsvolle grüne Miniaturkirschen. Die Ernte Ende Juni war eine Orgie, das Erstaunen groß. Die Lösung des Rätsels befand sich derweilen auf der anderen Seite des nachbarlichen Gartenzauns, und zwar auf meiner Streuobstwiese.
Dort waren im Herbst zwei neue Bäume gepflanzt worden: eine Große Schwarze Knorpelkirsche sowie eine Große Prinzessinkirsche, die übrigens, wenn auch nicht die schönste, so die möglicherweise säuerlich-aromatischste aller Kirschsorten ist. Bienen hatten an ihren Blüten genascht und waren zu der Nachbarn Baum weitergeflogen, hatten sich auch dort an den Kirschblüten gütlich getan und den Blütenstaub meiner Kirschen reichlich verstreut und endlich, nach Jahren, für Befruchtung gesorgt.
Denn Kirschen zählen zu jenen Obstsorten, die nur im seltensten Fall selbstbestäubend sind. Sie brauchen eine sogenannte Bestäubersorte in der Nachbarschaft, sonst wird das nichts mit dem Kirschstrudel und dem köstlichen Kirschgelee. Die Große Prinzessinkirsche beispielsweise benötigt, um zu fruchten, den Pollen von Gelben Knorpelkirschen, Herzkirschen und noch einigen weiteren ausgewählten Sorten. Die nachbarliche Knorpelkir- Die Blüten der Großen Prinzessinkirsche.