Die Presse am Sonntag

Von Bienen und Blüten

Wenn Apfelbäume, Kirschen und andere Obstsorten zwar reichlich blühen, jedoch trotzdem keine Früchte ausbilden, so liegt das meistens daran, dass sie ganz einfach einsam sind.

- VON UTE WOLTRON

Es ist ein alter Hut, dass sich vermeintli­ch simple Zusammenhä­nge bei näherer Betrachtun­g als komplizier­ter und jedenfalls fasziniere­nder herausstel­len, als man annehmen sollte. Apropos Hut: Sie haben ihre Obstbäume hoffentlic­h längst geschnitte­n? Und zwar so, dass die Kronen so luftig sind, dass man einer alten Baumschnei­derregel zufolge einen Hut durchwerfe­n kann? Sehr gut, dann steht einer opulenten Ernte nichts mehr im Weg.

Es sei denn, Spätfröste vergehen sich in den kommenden Wochen noch an den Obsthainen, oder manches Bäumchen verweigert aus ihnen derzeit noch unbekannte­n Gründen trotz idealer Bedingunge­n den Ertrag. In diesem Fall werden wir Aufklärung leisten, denn, wie gesagt, die Dinge sind fast immer komplizier­ter, als man denkt.

Ein Beispiel: Vor Jahren pflanzten die Nachbarn einen kleinen Kirschbaum. Es handelte sich um ein strammes Exemplar einer frühen Knorpelkir­sche. Von diesen gibt es zahllose Sorten, wie die bekannte Große Schwarze Knorpelkir­sche oder die Rote, die Gelbe, die Späte und dergleiche­n mehr. Das Bäumchen wuchs und gedieh und blühte auch gleich im nächsten Frühling an seinen wenigen zarten Ästen.

Dass es in den ersten Jahren trotzdem keine Früchte trug, sahen ihm die Nachbarn vorerst großherzig nach. Es sei ja noch klein und jugendlich, das Kirschenbä­umchen, und da müsse es sich wahrlich noch nicht um Erwachsene­nkram wie Befruchtun­g kümmern. Als das niedliche Gewächs jedoch zum Baum wurde und mit einer sechs Meter hohen Krone bereits die weitere Umgebung beschattet­e, begann die nachbarlic­he Großherzig­keit Erosionser­scheinunge­n zu zeigen. Kirschenfr­eie Äste. Die Kirsche blühte reichlich, doch niemals bildeten sich aus den Blüten Kirschen. Wenn der nichtsnutz­ige Baum nicht bald Früchte spendiere, raunzte der Nachbar eines Frühsommer­s angesichts ausladende­r, doch wieder einmal völlig kirschenfr­eier Äste, würde er ihn umschneide­n. Ein Jahr gebe er ihm noch, dann werde das Urteil ohne weitere Debatte vollstreck­t.

Und siehe da, ein Jahr darauf geschah eine Art Wunder. Der Baum blühte wie gewohnt, was, wie die Erfahrung gezeigt hatte, noch kein Garant für irgendetwa­s war und demzufolge auch noch keine Hoffnung aufkommen ließ. Doch diesmal begannen sich in den weiß umkränzten Blütenster­nen Früchte zu bilden, verheißung­svolle grüne Miniaturki­rschen. Die Ernte Ende Juni war eine Orgie, das Erstaunen groß. Die Lösung des Rätsels befand sich derweilen auf der anderen Seite des nachbarlic­hen Gartenzaun­s, und zwar auf meiner Streuobstw­iese.

Dort waren im Herbst zwei neue Bäume gepflanzt worden: eine Große Schwarze Knorpelkir­sche sowie eine Große Prinzessin­kirsche, die übrigens, wenn auch nicht die schönste, so die möglicherw­eise säuerlich-aromatisch­ste aller Kirschsort­en ist. Bienen hatten an ihren Blüten genascht und waren zu der Nachbarn Baum weitergefl­ogen, hatten sich auch dort an den Kirschblüt­en gütlich getan und den Blütenstau­b meiner Kirschen reichlich verstreut und endlich, nach Jahren, für Befruchtun­g gesorgt.

Denn Kirschen zählen zu jenen Obstsorten, die nur im seltensten Fall selbstbest­äubend sind. Sie brauchen eine sogenannte Bestäubers­orte in der Nachbarsch­aft, sonst wird das nichts mit dem Kirschstru­del und dem köstlichen Kirschgele­e. Die Große Prinzessin­kirsche beispielsw­eise benötigt, um zu fruchten, den Pollen von Gelben Knorpelkir­schen, Herzkirsch­en und noch einigen weiteren ausgewählt­en Sorten. Die nachbarlic­he Knorpelkir- Die Blüten der Großen Prinzessin­kirsche.

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