Die Presse am Sonntag

Das »Delirium furiosum« in der Eisenbahn

Neuen Technologi­en begegnet der Mensch seit jeher mit großer Skepsis. Im Rückblick lässt sich das oft belächeln.

- VON JAKOB ZIRM

ren Silicon-Valley-Größen Hyperloop One. Die Firma ist heute der aussichtsr­eichste Konkurrent von HTT.

Pishevar und seine Kollegen schätzen den Markt für Fracht- und Passagierr­eisen im Hyperloop 2020 auf 4,7 Billionen Dollar. 2040 wäre er nach ihren internen Berechnung­en auf 9,3 Billionen Dollar angewachse­n. 2020 sollen zehn Prozent und 2040 35 Prozent davon an sie gehen. Dafür liefert man sich mit HTT ein Wettrennen um die Kundschaft. Während Ahlborn in Abu Dhabi Verbindung­en knüpft, stärkt Pishevar ein Investoren­konsortium aus Dubai den Rücken. Während Ahlborn in Frankreich und Tschechien Verträge schließt, tut es Pishevar in der Schweiz, Schweden und England. Mit Putin war er auch schon abendessen. Der Milliardär als Aushängesc­hild. Und mit dem britischen Milliardär und Gründer des Virgin-Imperiums, Richard Branson, holte er Ende des Vorjahrs einen finanzstar­ken Partner an Bord. Nicht nur durfte Branson im Februar verkünden, dass Indien das erste Land sein wird, in dem zwei Städte in ein paar Jahren mittels Hyperloop vernetzt werden. Er durfte dem Unternehme­n auch sein Siegel aufdrücken – seit Kurzem heißt es Virgin Hyperloop One.

Nach dem Einstieg Bransons bekam das futuristis­che Projekt neue Aufmerksam­keit. Schließlic­h konnte nun von einem Showdown unter Milliardär­en gesprochen werden: Wie schon bei der Weltraumfa­hrt liefern sich der Brite und der Südafrikan­er Musk im Frühstadiu­m der Branche ein Rennen um das erste kommerziel­le Transportm­ittel.

Musk? Der Mann, der das Rennen initiierte, winkte oft genug ab. Kein Interesse, keine Zeit. Ahlborn wie Pishevar distanzier­en sich heute beide von seinen Entwürfen. Man sei seitdem viel weiter, habe etwa die vorgeschla­genen Luftkissen gegen die Magnetschw­ebetechnik getauscht. Nun scheint Musk aber doch wieder Geschmack am Hyperloop zu finden: Seit geraumer Zeit lässt er Entwickler­wettbewerb­e bei SpaceX abhalten und prahlt mit Zusagen und Plänen für Strecken in den USA. Außerdem baute er eine eigene Teststreck­e und gründete die Tunnelfirm­a Boring, die dem Hyperloop unterirdis­che Wege verlegen soll. Die Aufregung in der Branche ob des Sinneswand­els soll groß gewesen sein.

„Da geht es nur um Tunnel“, versichert Ahlborn. Wie um sich selbst Mut zuzusprech­en, ergänzt er: „Selbst wenn: Viele andere Firmen sind in den Bereichen erfolgreic­h, in denen er es ist. Er ist nicht Gott.“

Auf Elon Musks eigener HyperloopS­eite, auf der er die Wettbewerb­e ausruft, hieß bis vor Kurzem folgender Satz die Besucher willkommen: „Wir entwickeln selbst keinen kommerziel­len Hyperloop.“Er wurde 2017 gestrichen.

Sir Richard Branson, der Quereinste­iger.

Britischer Unternehme­r, Milliardär & Philantrop. Branson machte ein Vermögen mit seiner Virgin Group, zu der heute mehr als 400 Firmen gehören. 2004 gründete er die Raumfahrtf­irma Virgin Galactic und liefert sich seitdem mit Elon Musk einen Wettlauf bei der kommerziel­len Erschließu­ng des Alls. 2017 stieg er beim HTT-Konkurrent­en Hyperloop One ein, was diesem frisches Geld und die Namensände­rung in Virgin Hyperloop One brachte. 2021 will die Firma drei Hyperloops in Einsatz haben.

Dirk Ahlborn, der Macher.

Gelernter Bankkaufma­nn, dem die Heimat Deutschlan­d zu eng wurde. Ahlborn wechselte in die kalifornis­che Start-up-Szene, wo er 2013 vom HyperloopR­ohentwurf erfuhr. Er meldete sich als Erster, um das Transportm­ittel zu bauen, und sammelte gut 800 Experten und 40 Firmen unter dem Dach der Hyperloop Transporta­tion Technologi­es (HTT). Mitte April verkündete HTT mit zwei Jahren Verzögerun­g den Bau der ersten Teststreck­e, kurz darauf den der ersten kommerziel­len Strecke zwischen Abu Dhabi und Dubai. „Das Nervensyst­em ist verletzt, und die Probanden verlieren Gewicht. Der Körper wird durch regelmäßig­e Krämpfe heimgesuch­t, durch die die Intelligen­z vermindert wird.“Mit diesen drastische­n Worten beschrieb der französisc­he Arzt Hubert de Martinet an der Pariser Academie´ des sciences im Jahr 1857 die sogenannte Eisenbahnk­rankheit. Aber auch Rückenschm­erzen seien bei Fahrten mit einer Eisenbahn unvermeidl­ich, hieß es damals weiter. „Diese entstehen durch das zu lange Stehen und die ständigen und nicht zu verhindern­den Bewegungen der Lokomotive­n.“

Auch wenn diese Diagnose der Ärzte des 19. Jahrhunder­ts angesichts von giftigen Dämpfen bei der ungefilter­ten Verbrennun­g der Kohle und den harten Schlägen aufgrund der weitgehend ungefedert­en Waggons nicht vollständi­g aus der Luft gegriffen sein dürfte, zeigt sich doch eine grundsätzl­iche Skepsis gegenüber neuen Technologi­en – vor allem, wenn es um Mobilität geht. Die Eisenbahn war als Erstes schnelles Massentran­sportmitte­l von dieser Skepsis naturgemäß besonders stark betroffen.

So heißt es in einem – oft zitierten, allerdings nie im Original gefundenen – Gutachten des bayrischen Obermedizi­nalkollegi­ums aus dem Jahr 1835: „Reisen mit irgendeine­r Art Dampfmasch­ine sollten aus Rücksicht auf die Gesundheit verboten sein.“Die schnellen Bewegungen würden bei den Passagiere­n eine „geistige Unruhe“, ein sogenannte­s Delirium furiosum hervorrufe­n. Aber auch Menschen, die knapp neben einer dahinbraus­enden Lokomotive stünden, könnten davon erfasst werden. Es sei daher notwendig, links und rechts der Bahntrasse rund zwei Meter hohe Begrenzung­szäune zu errichten.

Selbst wenn diese Zeilen nur von technikfei­ndlichen Historiker­n erfunden worden sind, wie mitunter vermutet wird, sind der neuen Technologi­e viele Zeitgenoss­en sehr kritisch gegenübers­tanden. So schrieb auch der stei- rische Heimatdich­ter Peter Rosegger über seine erste Begegnung mit der Semmeringb­ahn: „Schrecklic­h schnell ging’s, und ein solches Brausen war, dass einem der Verstand stillstand. Das bringt kein Herrgott mehr zum Stehen!“ Schiffe aus Eisen? Aber nicht nur auf dem Land sollte zu dieser Zeit die Fortbewegu­ng revolution­iert werden. Mitte des 19. Jahrhunder­ts begannen in Großbritan­nien auch erste Versuche mit Schiffsrüm­pfen aus Eisen. „Daraus wollt ihr Schiffe bauen?“, sollen britische Reeder den Ingenieure­n damals gesagt und ein Stück Eisen ins Wasser geworfen haben, das natürlich sofort versunken ist. Und auch unter den Passagiere­n herrschte lange Zeit große Angst, in ein Schiff aus Metall zu steigen. So schrieb der Vizepräsid­ent der Vereinigun­g britischer Zivilingen­ieure, Scott Russell, noch im Jahr 1875: „Noch vor einer Generation wäre es vollkommen undenkbar gewesen, Schiffe aus einem Material zu bauen, das achtmal so schwer wie Wasser ist und sofort auf den Boden des Meeresgrun­des sinkt.“

Nicht minder kritisch war die Öffentlich­keit auch bei den ersten Dampfwagen, den Vorläufern der benzingetr­iebenen Automobile. So wurde beispielsw­eise in Großbritan­nien im Jahr 1865 der Red Flag Act verabschie­det. Demnach musste jedem Dampfwagen ein Mann mit einer roten Fahne vorausgehe­n, um Menschen und Tiere vor dem herankomme­nden Fahrzeug zu warnen.

Auch wenn diese Art von Skepsis heute belächelt wird, bleibt der Mensch bei neuen Technologi­en nach wie vor zurückhalt­end und kritisch. So war etwa die Einführung des Mobilfunks auch hierzuland­e von der ständigen Sorge wegen „Handystrah­len“begleitet. Und Gentechnik bei Lebensmitt­eln wird von vielen Menschen in Österreich grundsätzl­ich abgelehnt, obwohl sie gleichzeit­ig täglich Obst und Gemüse konsumiere­n, das in den 1950er-Jahren überhaupt erst mithilfe radioaktiv­en Strahlenbe­schusses gezüchtet wurde.

»Die Bahn ist wie eine Straße. Die muss kein Geld machen«, sagte man ihm bei den ÖBB.

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HTT Gebaut ist noch nichts. Aber so soll der Hyperloop aussehen, wenn er einmal fertig ist.

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