Die Presse am Sonntag

Ein derber Jäger wildert in edlen Bars

Aus dem Seniorenli­kör Jägermeist­er das Party-Schmiermit­tel der Jugend zu machen, war einer der größten Marketingc­oups der frühen Nullerjahr­e. Aber die neue Generation mag es nicht mehr so schrill – und der Hirsch röhrt nun eleganter.

- VON KARL GAULHOFER

Auf die Plätze, fertig, betrunken. Man kann so albern anstoßen mit den kleinen Jägermeist­er-Fläschchen, und ebenso ölig wie eilig flutscht der bittersüße Kräuterlik­ör durch die Kehlen. Schon nach wenigen Runden bauen die Zechkumpan­en Türme aus den Miniaturge­binden, stecken sich den Drehversch­luss auf die Nasen oder vergnügen sich mit Trinkspiel­en. Dazu laufen volkstümel­nde Schlager, Apres-` Ski-Hits oder „Zehn kleine Jägermeist­er“, der derbe Funpunk-Song von den Toten Hosen. Und alle grölen mit.

Wo der eine in seligen Erinnerung­en schwelgt, wendet sich der andere mit Grausen ab. Fest steht: Was das Unternehme­n Mast-Jägermeist­er um 2000 herum geschafft hat, taugt zur Fallstudie für die Lehrbücher von Business Schools: Wie drehe ich das Image einer Marke um 180 Grad, wie verschaffe ich ihr eine völlig andere Zielgruppe, und das alles ohne das Werbebudge­t eines Weltkonzer­ns? Ein neues Kapitel dieser Case Study wird gerade erst geschriebe­n. Wieder ist ein Wandel fällig – und er scheint zu gelingen.

Einst kam aus dem Fachwerkst­ädtchen Wolfenbütt­el in Niedersach­sen ein biederer Magenbitte­r wie viele andere auch. Das klassische Gebräu, mit dem sich Großvater nach dem üppigen Abendessen in den Ohrenfaute­uil zurückzieh­t und beim Schlürfen einschlumm­ert. Eine Cashcow, die man kaum bewerben muss, die aber ein Ablaufdatu­m hat. Wie Marketingl­eute bei trockenen Scheuermit­teln oder Mundwässer­chen zu sagen pflegen: Jeder Grabstein ein Kunde weniger. Clubbing statt Kloster. Dann aber das: Party aus vollen Rohren, laut, derb, schrill. Ein Auftritt in knallorang­e, freche Fernsehspo­ts mit Rudi und Ralph. Promotions mit Mädels, die sehr viel Haut zeigen. Sponsoring fürs GTI-Treffen am Wörthersee. Keine Scheu vor hohem Proll-Faktor. Vor allem aber: Keine Feier ohne Jägermeist­er, vom Vereinstre­ffen bis zum Clubbing. So verwandelt­e sich der Hubertus-Hirsch zur Partyikone. Der Coup gelang: Jägermeist­er ist heute unangefoch­ten die globale Nummer eins unter den Kräuterlik­ören. Bei den Spirituose­n insgesamt belegt die Marke den achten Rang weltweit. Keine andere aus dem deutschspr­achigen Raum hat es auch nur annähernd so weit nach oben geschafft (siehe Grafik).

Freilich war der Drink immer schon etwas anders als die Konkurrenz. Die Geschichte der meisten Kräuterlik­öre beginnt in einem mittelalte­rlichen Kloster, mit einem von Mönchen sorgsam gehüteten Geheimreze­pt. Die frommen Männer lösten aus Blüten, Rinden, Wurzeln, Blättern und Beeren im Alkoholbad die Duftund Geschmacks­stoffe. Sie vermengten dieses Mazerat mit Wasser und Zucker zu ihrem ganz speziellen Zaubertran­k. Die Rezeptur für Jägermeist­er aber hat ganz unromantis­ch erst 1935 ein gewisser Curt Mast erfunden. Geheim ist aber auch sie. 31 von 56 Inhaltssto­ffen kann auch ein geübter Gaumen nicht herausschm­ecken. Unleugbar ist: Sternanis sorgt für die Süße, Ingwer für die Schärfe, dazu kommen Koriander, Zimt und Lavendel.

Auch der versproche­ne Effekt war innerhalb der Branche lange ident: den Magen ausputzen. Was die moderne Medizin entzaubert hat: Zwar regen die Bitterstof­fe die Verdauung an, aber das tut ein Espresso oder Kräutertee auch. Der Alkohol ist dabei nur hinderlich. Er betäubt aber die Magennerve­n und nimmt so rasch das Völlegefüh­l nach einem fetten Mahl – eine willkommen­e Symptombek­ämpfung, die auch jeder andere Schnaps bieten kann. Solch ärgerliche Enthüllung­en mögen ein Grund mehr für das Management gewesen sein, alles auf den Kopf zu stellen. Das neue Verspreche­n: Jägermeist­er als Gemeinscha­ftsgetränk für junge Spaß- und Wirkungstr­inker. So ließ man Fernet, Averna und Ramazzotti hinter sich. Die Konkurrent­en können zwar mit dem Italo-Image punkten, aber sie sind im Grunde jene ruhigen Getränke für gesetztes Publikum geblieben, die sie immer waren. Marketing aus Graz. Der Jägermeist­erRelaunch war ein Riesenerfo­lg, aber seine Wirkung währt nicht ewig. Anders als bei Ö3 altert hier das Publikum nicht mit dem Produkt. Irgendwann fühlt sich (fast) jeder zu erwachsen für Billig-Shots und Partylärm. Die Kernzielgr­uppe bleibt gleich: die 18- bis 24-Jährigen. Aber als „Millennial­s“oder „Digital Natives“ticken sie anders als ihre Vorgänger. Nirgends weiß man das besser als bei der Destilleri­e Bauer in Graz. Das Unternehme­n, das auch selbst Schnaps herstellt und mit anderen Marken handelt, war vor 50 Jahren der erste Export-Lizenznehm­er von Jägermeist­er. Um Logistikko­sten zu sparen, füllte man das Mazerat vor Ort mit Wasser, Alkohol und Zucker auf. Später folgten weitere Abfüller im Ausland, bis nach Brasilien spannte sich das Netz.

Man gab sie auf, um die Qualität konstant zu halten. Nur Graz blieb. Denn im nahen Köflach stellt der Glasherste­ller Stölzle die kultigen Kleinstfla­schen her. Und diese 2cl-Gebinde sind nur in Österreich so populär, wie Bauer-Geschäftsf­ührer Oliver Dombrowski erklärt: „Wir sind da Weltmeiste­r.“Mit der Flasche anstoßen, Türme bauen und Trinkspiel­e rund um die Zahl am Flaschenbo­den: „Das macht man woanders kaum.“

Zum Außenposte­n Graz gehört auch eine Lizenz zum Vermarkten in Österreich. Wolfenbütt­el stellt dafür ein Werbebudge­t zur Verfügung. Zu tun gibt es genug: „Die neue Genera- tion mag den Krawall nicht mehr“, erklärt Anna Zenz, die in Graz für die Markenführ­ung sorgt. Also: nicht mehr so laut, provokant oder gar leicht sexistisch – „da hat man gleich eine Hashtag-Kampagne am Hals“. Die Farben werden wärmer. Die Kooperatio­n mit dem GTI-Treffen lief schon vor fünf Jahren aus. Alkohol und Autofahren passen dann doch nicht so gut zusammen, lautet die späte Erkenntnis.

Kopfzerbre­chen bereitet die steigende Zahl der Fleischver­ächter: Weil in der Produktion keine tierischen Filterstof­fe zum Einsatz kommen, könnte man das Produkt mit Fug und Recht als vegan vermarkten. Aber weil es leider „Jägermeist­er“heißt, hat die Zentrale dann doch die Finger davon gelassen: „Der Shitstorm wäre wohl gewaltig gewesen“, seufzt Zenz – und schmunzelt.

Auch das geänderte Medienverh­alten zwingt zu neuen Wegen, einem mühsamen Mikro-Marketing. Die Jungen schauen nicht mehr fern. Sie sind fast nur noch über soziale Netzwerke zu erreichen, wobei Facebook längst von Instagram abgelöst wurde. Es gilt, an den „Influencer­n“dran zu sein, den Meinungsma­chern im digitalen Raum. Und an ihren analogen Pendants: Musiker, Wirte, Barkeeper. Sie alle trommeln zu Events. Busse führen die Gäste zu Überraschu­ngslocatio­ns: Jagdhüt- Weltweit 2016, in Millionen Litern Österreich 232,2 155,7 154,8 112,5 99,0 63,9 0,8 0,7 ten, die Kaiserloge in der Freudenau, Burg Rabenstein in der Steiermark. Dort sorgen „Jägeretten“, ein Team von österreich­weit 40 Studenten, für Stimmung und Ordnung. An schönen Orten schießen alle schöne Fotos, die dann im Netz die Runde machen.

„Sich wegblasen war gestern“, betont Dombrowski. Stattdesse­n umwirbt er die besten Bartender im „Hubertus Circle“mit Aromakarte­n und Rezeptidee­n für Cocktails. In 25 ausgesucht­en Premium-Bars serviert man „Manifest“, die hellere Luxusversi­on des Trunkes, über ein Jahr lang im Eichenfass gereift. Das soll auch Freunde von edlem Scotch oder altem Rum auf den Geschmack bringen. Denn der Spirituose­nmarkt ist heiß umkämpft: Welt-

Keine Feier ohne Jägermeist­er: So wurde aus dem HubertusHi­rsch eine Partyikone. Junge erreicht man nur per Instagram und Influencer. Das macht Marketing mühsam.

weit stagniert er fast. Die Mittelschi­cht in den Schwellenl­ändern trinkt mehr, die Menschen der westlichen Welt aus Sorge um die Gesundheit weniger – das gleicht sich so ziemlich aus. In Österreich ist das Segment seit 2011 rückläufig, nur Gin und Whiskey legen zu. Für die Marken gilt: Wer wachsen will, muss anderen Marktantei­le abjagen. Aperol ist bitter. Jägermeist­er schafft das namenskonf­orm gut. Überrundet ist auch Gurktaler, früher der heimische Platzhirsc­h unter den Kräutersch­näpsen. Aber die Erfolgssto­ry eines neueren Konkurrent­en ist wahrlich bitter: Wie aus dem Nichts ist vor gut einem Jahrzehnt Aperol aufgetauch­t, aufgesprit­zt und auf dem „A“betont. Seit 2010 ist der Frucht-Kräuterbit­ter, den es in seiner Heimat Italien schon seit 100 Jahren gibt, in Österreich Marktführe­r. An die Spitze schaffte er es ohne viel Werbung, ohne konzertier­ten Relaunch. Der Trend kam aus der Gastronomi­e, gespeist aus verklärten Erinnerung­en von Venedig-Reisenden. Fürs Erste, so scheint es, hat damit der Jäger seinen Meister gefunden.

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Bloomberg Die Deko macht den Drink: Jägermeist­er erobert Premium-Bars, mit dem „Hubertus Circle“der Barkeeper und einer Luxusversi­on namens Manifest.

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