Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VO N MARTIN KUGLER

Die Inhaltssto­ffe von grünem Tee stehen im Ruf, gesund zu sein. Wie die EU-Behörde EFSA nun aber zeigte, kann man es auch übertreibe­n – dann drohen Leberschäd­en.

Der Hype um angeblich so gesunde „Superfoods“ist zwar etwas abgeflaut. Doch eine Reihe von Lebensmitt­eln stehen bei vielen ernährungs­bewussten Menschen weiterhin hoch im Kurs. Dazu zählen auch grüner Tee und Matchapulv­er, das sind gemahlene Grünteeblä­tter mit besonders hohem Gehalt an Inhaltssto­ffen. Und genau das wird gewünscht: Da man weiß, dass Polyphenol­e wie etwa Catechine in Teeblätter­n als Radikalfän­ger wirken, meinen viele Menschen, dass es umso besser ist, je mehr man davon zu sich nimmt.

Bei einem kurzen Rundblick im Internet findet man dutzendwei­se Behauptung­en für segensreic­he Wirkungen von Grüntee – das reicht vom Schutz des Herzkreisl­aufsystems und der Bekämpfung krankmache­nder Bakterien über Gewichtsab­nahme und eine bessere Darmgesund­heit bis hin zur Abtötung von Krebszelle­n. Entspreche­nd viele Präparate mit Grünteekon­zentraten werden auf dem Markt angeboten, die unter anderem bei Menschen, die abnehmen wollen, reißenden Absatz finden.

Die behauptete umfassende Heilkraft von grünem Tee wurde von der Wissenscha­ft schon vor einigen Jahren infrage gestellt: Zum einen gibt es kaum hieb- und stichfeste Beweise aus Studien am Menschen. Zum anderen wurden manche Vermutunge­n klar widerlegt. So fanden etwa niederländ­ische Forscher in einer placebokon­trollierte­n Doppelblin­dstudie keinerlei Zusammenha­ng zwischen Grüntee-Catechinen und dem Körpergewi­cht bzw. der Zusammense­tzung der Darmflora ( PlosOne, 7. 4. 2016). Von der Öffentlich­keit wurde das kaum wahrgenomm­en. Ebenso wenig ist bekannt, dass sich in jüngster Zeit Nachrichte­n über ernste Leberschäd­en durch Grüntee-Extrakte häufen.

Diese Nachrichte­n sollten aber ernst genommen werden, wie aus einer Bewertung der Europäisch­en Lebensmitt­elsicherhe­itsbehörde EFSA hervorgeht, die diese Woche veröffentl­icht wurde. Demnach ist eine Tagesdosis von Catechinen, die ungefähr fünf Tassen gehaltvoll­en Grüntees entspricht, sicher. Bei höheren Dosen gibt es aber offenbar einen Zusammenha­ng mit Leberschäd­en – und zwar vor allem bei übergewich­tigen Menschen, die mit Grünteekap­seln abnehmen wollen.

Auf traditione­lle Art grünen Tee zu genießen ist also unbedenkli­ch – und man darf ruhig auch an seine segensreic­he Wirkung glauben. Von Grünteesch­lankheitsp­illen, konzentrie­rtem „Superfood“, muss indes abgeraten werden. Aber das sagt einem eigentlich auch der gesunde Menschenve­rstand. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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