Walter, der vegane »Bulle aus Wien«
Ex-Fußballer Walter Hahn ist Europas einziger fest angestellter Wrestler, bestreitet 100 Kämpfe pro Jahr. Über Show, Kraft und Ruhrpott.
Die raue Ruhrpott-Stadt Oberhausen ist noch nie in den Listen lebenswertester Städte aufgeschienen. Und auch für Touristen ist sie, obwohl nur wenige Bahnminuten vom Flughafen Düsseldorf entfernt, selten einen Besuch wert. Für Wrestling-Fans hingegen ist Oberhausen seit Jahren ein wahrer Pilgerort. Verantwortlich dafür ist die professionellste Liga des EURaums, Westside Xtreme Wrestling (kurz wXw). Sie veranstaltet jährlich rund 70 Shows, darunter auch das größte Wrestlingfestival-Europas, das 16 Carat Gold. Es lockt Tausende Zuschauer aus ganz Europa an.
Eines der größten Aushängeschilder dieser Liga ist aber kein Deutscher, sondern ein gebürtiger Wiener: Walter Hahn. Der 30-Jährige ist als „Ringgeneral“oder „Bulle aus Wien“unterwegs, diese Beschreibungen sind wahrlich keine Übertreibung. Als „Die Presse“den Hünen in Oberhausen trifft, herrscht kurzes Staunen. Der Koloss ist 1,93 Meter groß und 130 Kilogramm schwer. Im Ring verpasst er Gegnern serienweise Handkantenschläge (im Fachjargon: Chops), fern der Seile ist er ruhig, höflich, regelrecht bodenständig. Das Zirkusleben eines Wrestlers ist ihm nicht zu Kopf gestiegen. Früher kamen die Strizzis. Begonnen hat für den „Ringgeneral“alles in Simmering, dort wuchs Hahn auf. Obwohl er mit seinen Eltern oft am Heumarkt war – dort veranstaltete der 2017 verstorbene Otto Wanz bis in die späten 1990er-Jahre im Sommer volksfestartige Catch-Turniere –, war auch Fußball für Hahn prägend. Als Sechsjähriger kickte er beim Simmeringer SC, später beim SC Himberg: „Ich war Tormann und gar nicht so schlecht“, sagt Hahn mit immer noch leicht erkennbarem Wiener Dialekt. Bis in die Regionalauswahl schaffte er es. Immerhin.
Mit sechzehn verlor er das Interesse am Fußball, wollte lieber mit seinen Haberern abhängen. Dafür wurde er auf eine Wrestling-Schule aufmerksam, jene von Michael Kovac in Favoriten. Anfangs waren seine Eltern eher nicht begeistert darüber, auch weil damals am Heumarkt „in der ersten Reihe die Strizzis saßen“. Doch dann, mit knapp 18 Jahren, flog er nach Japan, um die japanische, härtere Art des Wrestling zu erlernen. Es sollte nicht nur beim Training bleiben, er catchte in Fernost prompt als „Comicfigur mit grünen Haaren“.
Der Japan-Aufenthalt war prägend, noch wichtiger war es, als er vor rund zehn Jahren seine Freundin kennen lernte. Wie könnte es anders sein: beim Catchen. Rasch zog er nach Deutschland: „Beruflich und der Liebe wegen hat sich der Umzug doppelt gelohnt. Ich glaube nicht, dass ich weitergekommen wäre, wenn ich in Österreich geblieben wäre“, sagt Hahn. Catcher statt Spediteur. Diese Einsicht erlangen viele, die Sportart ist wahlweise austauschbar. Hahn sagt, es gebe in Österreich weniger Veranstaltungen. Und: Es fehle die Kontinuität. Das Geschäft habe sich in seiner neuen Heimat wesentlich weiterentwickelt. Auch das trifft für die meisten Sparten zu.
2016 markierte einen Meilenstein: Hahn ging den nächsten Schritt. Er wurde von wXw fest angestellt, als Head Coach und Wrestler. Seitdem ist der Wiener europaweit der erste Catcher mit regulärem Arbeitsvertrag bei einem Wrestlingunternehmen. Er spricht von einem „Privileg“. Dafür gab er sogar seine Position als Logistikmanager bei einem großen Speditionsunternehmen auf. Solch ein Schritt ist durchaus mit einem Risiko verbunden, reich wird man als Catcher auch in Deutschland nicht.
Nur eine Handvoll kann davon leben. Die Honorare liegen manchmal unter 100 Euro. Wer auf Social Media Tausende Follower hat und konstant international gebucht wird, steigert seinen Marktwert. Auch die Anzahl und Regelmäßigkeit neuer Fanartikel ist wichtig, das beherrscht Hahn, der unter dem Label „Ringkampf“mit drei Mitstreitern erfolgreich T-Shirts und Kapuzenpullover verkauft. Ob in Oberhausen, London oder New York: Er verkauft bei jedem Auftritt seine Waren selbst. Sicher ist sicher, es macht auch mehr Eindruck ob seiner Statur.
Die Auftritte werden jährlich mehr. 2017 waren es 90, heuer werden es 100 Matches sein. Allein am weltweit größten Wrestling-Wochenende, das heuer Anfang April in New Orleans stattfand, bestritt Hahn sechs Ringkämpfe – an zwei Tagen wohlgemerkt. Show, Akrobatik – Kraft. Der „Bulle aus Wien“trampelt heuer auf so vielen internationalen Pfaden wie noch nie. Dennoch kenne ihn in Oberhausen niemand, so der Wrestler, wenn er ein Fußballmatch besucht. Anders als beim „Bambikiller“(so nennt sich der Steirer Chris Raaber) aus Leoben, ergänzt Hahn. Der habe es geschafft mit seinem US-Gastspiel. Ob er nach Otto Wanz der bekannteste Catcher des Landes sei, könne Hahn nicht beantworten. Auch weil der Vergleich hinkt. Wanz „war Veranstalter, hat sich selbst vermarktet. Ich bin nur der Wrestler.“
Ein in dieser Szene aber sehr bekannter, um genau zu sein. In Fachkreisen gilt er als einer der Besten, das schmeichle ihm. Jedoch seien Bewertungen eben immer subjektiv. Er sehe sich nicht als Star. „In dieser kleinen Welt ist man für manche ein Star“, aber im Vergleich mit Fußballern eben nicht. Über den Fußball, und der ist im Pott allgegenwärtig, spricht Hahn gern. Er sei Teil seines Lebens geblieben. Früher war er Rapid-Anhänger, „wie meine ganze Familie“. Mittlerweile geht er am liebsten zu Rot-Weiß Oberhausen mit seiner Freundin. Sie war es auch, die ihm einen veganen Lebensstil vorschlug. Mittlerweile ist er davon vollends überzeugt – wie auch viele seiner Kollegen. Das überrasche ihn nicht, denn im Wrestling gebe es viele weltoffene Menschen – ganz anders als im Fußball. Und Homophobie? „Die haben wir beim Wrestling nicht.“
Dass Wrestling oft belächelt werde als Fake-Sport, tangiere ihn wenig: „Jene, die das sagen, bekommen nach zehn Treppen keine Luft, weil sie Sport nur aus dem Fernsehen kennen.“Wrestling ist eine Mischung aus Improvisation, höchst geschulter Akrobatik, Kraft und Sport. „Und der sportliche Teil ist anspruchsvoller als bei jeder Breitensportart“, beteuert Hahn.
Er blickt dabei etwas grimmiger drein, seine Stimme wird tiefer. Wer wird denn schon an den Worten des „Ringgenerals“zweifeln . . .
»Der sportliche Teil ist beim Wrestling anspruchsvoller als bei jeder Breitensportart.«