Die Presse am Sonntag

Das Ende eines Lebensgefü­hls

Das Lifestyle-Magazin »Neon« wird nach 15 Jahren eingestell­t. Mit ihm verschwind­et das gedruckte Wir-Gefühl einer ganzen Generation von heute über 35-Jährigen. Ein Nachruf.

- VON EVA WINROITHER

Es war wohl ihre Art von Humor. „Mach’s neu! Hinschmeiß­en, umsteigen oder nur mal durchatmen? Welche Veränderun­g dich wirklich glücklich macht“, steht auf dem Cover des aktuellen „Neon“-Magazins. „Unsere Titelgesch­ichte dreht sich um eine große Frage des Arbeitsleb­ens: Wie gelingt es, neu zu starten? Und wann ist es eine gute Idee, nicht nur den Job, sondern gleich den Beruf zu wechseln?“, schreibt Redakteur Johannes Mitterer im Editorial. Diese Frage können sich die 20 „Neon“-Mitarbeite­r jetzt selbst stellen. Das Mai-Heft ist das vorletzte, das erscheinen wird. Am 18. Juni erscheint das letzte. Nach 15 Jahren stellt der Hamburger Verlag Gruner + Jahr „Neon“ein. Das Lifestyle-Magazin zieht nicht mehr genug.

Dabei hat es so gut angefangen. 2003 erschien das erste Magazin mit Nora Tschirner (damals noch MTVModerat­orin) und dem Schauspiel­er Benno Fürmann auf dem Cover und einer Auflage von 27.000 Heften. „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“, lautete der Leitspruch des Hefts.

Und das „eigentlich“war auch immer Programm: Eigentlich sollten wir, aber eigentlich wollen wir. Auf den Satz lassen sich viele Geschichte­n im Heft herunterbr­echen. „Glück statt Karriere“, „Die Spielregel­n der Liebe“, „Ist Arbeit verlorene Zeit?“, „Wovon lebst du eigentlich?“„Leb’ los“lauteten die Titelgesch­ichten. So avancierte „Neon“schnell zu einem Lebensratg­eber der über 20-Jährigen, obwohl oder genau weil die gleichen Themen immer auf eine andere Art erzählt wurden („66 Fragen an die Liebe“, „Kannst du lieben?“, „Für immer verliebt“).

Langweilig war es trotzdem nie. Weil es ums Gefühl ging. Und darum, wie Menschen ab 20 die Welt sahen – oder jene über 30, die „Neon“noch immer lasen. Die meisten von ihnen allerdings mit dem Nachsatz: „Eigentlich bin ich schon zu alt dafür, aber . . .“Das Magazin brachte das Wir-Gefühl einer ganzen Generation auf gedrucktes Papier, meist in Ich-Form und leicht wie ein Sommertag im Freibad.

Lang bevor der krude „Vice“-Magazin-Journalism­us in wurde („10 Fragen an eine Pornodarst­ellerin, die du dich niemals trauen würdest zu stellen“) und bevor es Social Media gab, schauten die Leser Gleichaltr­igen beim lieben, trauern, gewinnen, Sex und scheitern zu. Ehrlich und immer ein bisschen hip, bevor es den Hipster in Massen gab. Und peinlich war es auch nie. Zumindest nicht für die Leser. Wie sich Delfine nennen. Berühmt ist das Heft auch für seine kleinen Rubriken geworden. Das unnütze Wissen („Delfine sprechen sich gegenseiti­g mit Namen an“), die Straßenbef­ragung, die es auch im aktuellen Mai-Heft noch gibt (Diese Woche: Wovon träumst du? Antwort von Alex, 28: „Ich träume nicht oft. Ich sollte vorm Schlafen mehr Käse essen – davon lernt man angeblich träumen“) und die „ehrlichen Kontaktanz­eigen“, die mehr die Schwächen der Singles hervorhobe­n als die Stärken („Das sagt der Ex: mörderstur, selbstbewe­ihräuchern­d, lebt vom Wäschestän­der“). Abgerundet wurde alles mit Reportagen, deren Maßstab die Reportagen des Mutterblat­ts „Stern“waren.

Das Magazin gefiel rasch und vielen. Zu seiner besten Zeit – 2011 – hatte sich die Auflage auf 237.000 Ausgaben verzehnfac­ht. Mit „Neon“wuchs eine neue Generation an Journalist­en heran. Einige der Autoren sind heute beim mehrfach ausgezeich­neten „Süddeutsch­en Magazin“. Allen voran die „Neon“-Gründer Timm Klotzek und Michael Ebert, die nun dort die Chefredakt­eure sind. Zwei Jahre vor dem Wechsel hat Klotzek noch die Zeitschrif­t „Nido“für junge Eltern gegründet.

„Aber ihr seid zu wenige geworden. Denjenigen, die sich verabschie­det haben, sind nicht genügend Jüngere ge-

2003

erschien die erste Ausgabe des „Neon“-Magazins. Damals noch mit dem für das Heft später eher untypische­n Titel „Die 100 wichtigste­n jungen Deutschen“und Nora Tschirner und Benno Fürmann auf der Titelseite. Später sollten für das Cover gewöhnlich­e Menschen (ästhetisch) abfotograf­iert werden, passend zur (Lifestyle-)Titelgesch­ichte.

2018

verkaufte das Magazin zuletzt nur mehr 58.000 Stück. Nachdem es zu Spitzenzei­ten über 230.000 Exemplare verkaufte hatte. „Neon“wird mit der kommenden JuniAusgab­e eingestell­t. Das Magazin soll online weitergefü­hrt werden. folgt“, schrieb die aktuelle „Neon“Chefredakt­eurin Ruth Fend in ihren Abschiedsw­orten. Mit dem Magazin war es ebenso stark bergab gegangen, wie es anfangs bergauf ging. „Neon“verkaufte zuletzt wieder nur 58.000 Stück.

»Neon« avancierte schnell zu einem Lebensratg­eber der über 20-Jährigen. Die alten Leser haben sich verabschie­det, und jüngere kamen nicht genügend nach.

Und das lässt sich nicht nur mit den generell harten Zeiten für Printprodu­kte erklären. So schafft es das Heft nicht, die gut funktionie­rende Online-Community in Geld umzuwandel­n. Dabei sind gerade dort Perlen zu finden gewesen. Hunderte Texte von Lesern, die – manchmal gar nicht mal so schlecht – verklärt romantisch, kitschig, aber in jedem Fall sehr ehrlich über gestohlene Küsse, viel zu spät erkannte Liebe, vom Wind zerzauste Haare, Eisschleck­er und durchgewei­nte Nächte schrieben: „Wir wollten nicht am harten Leben abprallen, wir wollten uns verstecken.“Aber die zündende Online-Strategie gab es nicht, obwohl das Magazin nun online weitergefü­hrt wird. Hinzu kamen personelle Schwierigk­eiten. 2013 entschied Gruner + Jahr, den MagazinSit­z von München nach Hamburg zu verlegen, eine strategisc­he Entscheidu­ng, die die Mannschaft zerschlug. Viele der Journalist­en, die den „Neon“Sound über Jahre inhaliert hatten, kamen nicht mehr mit.

Am Ende hat das Heft in seiner Aufmachung nicht mehr gezogen. Das Lebensgefü­hl der heute über 20-Jährigen ist im „Neon“nicht mehr zu finden. Oder wird woanders vielleicht einfach besser ausgelebt: die Tränen auf YouTube, die Gesichter der Gleichaltr­igen auf Instagram, die Informatio­nen auf Buzzfeed. Und jene, die „Neon“früher lasen? Die haben irgendwann begriffen, dass Liebe zwar wehtun kann, aber der Schmerz auch irgendwann vorbeigeht. Und dass jedes erste Mal beim zweiten Mal nicht mehr so wehtut. Sie sind dann doch erwachsen geworden.

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