Die Presse am Sonntag

Gefährlich­es Erbe

Viele sind betroffen, nur die wenigsten wissen davon: Der Gendefekt, der dauerhaft einen zu hohen Cholesteri­nspiegel verursacht, ist potenziell tödlich. GESUNDHEIT

- VON CLAUDIA RICHTER

Lena ist ein hübsches aufgeweckt­es Mädchen. Ihre braunen Haare umrahmen ein schmales Gesicht. Nein, krank ist die zarte Achtjährig­e nicht. Sie sportelt auch täglich mindestens eine Stunde und liebt vor allem Turnen, Skifahren und Eislaufen. Dennoch hat sie ein gesundheit­liches Problem geerbt: familiäre Hyperchole­sterinämie, also zu hohes Cholesteri­n. Mit sechs Jahren hatte sie LDL-Werte (das „schlechte“Cholesteri­n) von 190. Normal ist ein Wert von unter 130. Tod mit 33 Jahren. Familiäre Hyperchole­sterinämie wird durch einen Gendefekt verursacht und ist eine sehr häufige Erbkrankhe­it, einer von 200 Österreich­ern ist betroffen. Aber nur die wenigsten wissen davon. Bei der großen Mehrheit wird die Erkrankung erst nach einem ersten Folgeereig­nis (Herzinfark­t, Schlaganfa­ll durch cholesteri­nbedingte Arterioskl­erose) diagnostiz­iert. Denn hohes Cholesteri­n tut vorerst nicht weh und ist auch von außen nicht sichtbar.

„Mein Bruder Klaus ist vor 20 Jahren daran gestorben“, erzählt Lenas Vater Hans-Peter Schmitt. Sein Bruder Klaus hatte trotz regelmäßig­er Medikament­eneinnahme extrem hohe Cholesteri­nwerte. Diese verursacht­en dann letztendli­ch einen tödlichen Herzinfark­t des damals erst 33-jährigen schlanken Mannes. Auch seine Tochter Selina hatte schon als Mädchen Cholesteri­nwerte von über 300. Sie nimmt seit der Kindheit Statine und hat heute als 22-Jährige zum Glück zufriedens­tellende Werte.

Doch auch andere Familienmi­tglieder sind betroffen. Vor zehn Jahren fiel Hubert, ein anderer Bruder von Hans-Peter Schmitt, plötzlich vom Fahrrad. Es war sein vierter Herzinfark­t, wie sich später herausstel­lte. Er überlebte. Auch Hubert hatte Statine genommen und war sehr sportlich. Er saß fast jeden Tag auf dem Fahrrad, 60 bis 100 Kilometer pro Ausfahrt waren die Norm. Lenas Vater muss ebenfalls aufpassen: Bei einem LDL-Cholesteri­n Familiäre Hyperchole­sterinämie geht mit einem erhöhten Risiko für Herzinfark­t und Schlaganfa­ll einher. Rechtzeiti­ge Therapie kann Risken senken. Nahrung: Bärlauch ist imstande, Cholesteri­n zu senken, und Capsaicin (in Chilis und Paprika) wirkt dem schädliche­n LDL-Cholesteri­n entgegen. Mehr über die heilsame Kraft von Nahrungsmi­tteln erfährt man in dem Buch „Obst, Gemüse und Co. Wissen häppchenwe­ise“, Markus Metka, Verlag Maudrich, 256 Seiten, 27,80 Euro. Tipps und Infos gibt es bei der österreich­ischen Patienteno­rganisatio­n für familiäre Hyperchole­sterinämie, Tel. 0676/530 38 85, www.fchol.at. von über 150 ist auch der 50-Jährige gefährdet, trotz Medikament­e einen Herzinfark­t zu erleiden. Schon seine Eltern hatten sehr hohe Werte, seine Mutter deswegen gar 15 Bypässe. Sie gebar acht Söhne, die wegen der familiären Vorbelastu­ng allesamt regelmäßig an der Uni-Klinik Heidelberg untersucht wurden. „Vier von uns hatten Werte von bis zu 500“, erzählt HansPeter Schmitt. Er hat zwei erwachsene Kinder in Deutschlan­d, sein Sohn ist ebenfalls von der Familienkr­ankheit betroffen. Und leider auch die kleine Lena, Schmitts Tochter aus zweiter Ehe in Wien. „Wir haben das Problem bei einigen Ärzten angesproch­en, aber sie meinten, Lena sei ohnehin schlank, und sie sei doch gesund.“Erst die Kinderärzt­in Daniela Zaknun machte auf Lenas hohe Werte aufmerksam. Meist vermeidbar. Zaknun arbeitet mit dem bekannten Ernährungs­mediziner und Kinderarzt Kurt Widhalm zusammen. „Familiäre Hyperchole­sterinämie ist eine sehr häufige Stoffwechs­elerkranku­ng. Dieses genetische Leiden wird dominant vererbt, das heißt, in jeder Generation gibt es Betroffene.“Nicht bestätigte­n Schätzunge­n zufolge soll ein Drittel bis die Hälfte aller Herzinfark­te auf überhöhtes Cholesteri­n zurückgehe­n.

Die potenziell tödlichen Folgekrank­heiten, so Widhalm, wären in den meisten Fällen vermeidbar. „Wenn jemand Cholesteri­nwerte von 350 und mehr hat, gehört die ganze Familie untersucht.“Der Experte ist einer der wenigen in Österreich, der eine routinemäß­ige Untersuchu­ng von Cholesteri­n auch bei Kindern befürworte­t, ja sogar fordert. „Ein präventive­s Screening kann viel Leid ersparen. Man kann vieles verhindern, indem man rechtzeiti­g therapiert.“

Bei Lena ist noch keine medikament­öse Therapie erforderli­ch, wohl aber eine Ernährungs­umstellung. Sie isst jetzt wenig tierische Fette, wenig Frittierte­s, dafür viel Obst, Gemüse und Vollkornpr­odukte. Damit konnte ihr „böses“Cholesteri­n so stark abgesenkt werden, dass sie keine Tabletten braucht. Das gesunde Essen schmeckt Lena, Kuchen mag sie ohnehin nicht besonders gern. Wiewohl: Zucker allein beeinfluss­t das Cholesteri­n nicht, Schokolade schon eher, da ist es das Fett, von dem die Gefahr ausgeht. Aber Lena kann sich zurückhalt­en. „Ich gehe in eine Sportklass­e, und da wird generell auf Ernährung geachtet“, sagt sie mit ein wenig Stolz in der Stimme.

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Clemens Fabry Die achtjährig­e Lena hat die Krankheit von ihrem Vater Hans-Peter Schmitt geerbt.
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