New Yorks kaputte U-Bahn
Unfälle, eingesperrte Fahrgäste, endlose Verspätungen und Stationen, in denen es regnet. Eines der bekanntesten Transitsysteme der Welt ist dem Kollaps nahe. Die Politik reagiert zäh.
Und dann kam das Wasser aus allen Richtungen: Hunderttausende Pendler, die wie jeden Montag auf dem Weg in die Arbeit in Midtown Manhattan waren, trauten ihren Augen nicht. Mehrere U-Bahn-Stationen standen unter Wasser, von den Decken troff es wie aus Kübeln, und die Treppen Richtung Straße verwandelten sich in gefährliche Wasserfälle. „Willkommen in der Hölle“, schrieb ein Pendler auf Twitter, und das nächste Kapitel im langen Buch über New Yorks kaputte U-Bahn war aufgeschlagen.
Überraschend kam das Regendrama diese Woche keineswegs. Wer das riesige Transitsystem der Millionenmetropole mit seinen rund 450 Stationen regelmäßig benützt, ist längst abgestumpft und hat sich an alle möglichen Zwischenfälle gewöhnt. Horrende Verspätungen, Züge, die zwischen den Stationen oftmals bis zu einer halben Stunde stehen bleiben, und Stromausfälle, die die Waggons während der Reise stockfinster werden lassen, zählen noch zu den harmloseren Beispielen. Herabfallende Betonklötze, nicht funktionierende Klimaanlagen bei Temperaturen jenseits von 40 Grad Celsius und Entgleisungen mit Dutzenden Verletzten zu den weniger harmlosen. Jahrelang hat die Politik das Problem ignoriert und Investitionen in die mehr als 100 Jahre alte unterirdische Parallelwelt verabsäumt. Wie so oft spießt es sich am Geld. Die Stadtverwaltung New Yorks verlangt mehr Unterstützung vom Bundesstaat New York, an dessen Südzipfel die bevölkerungsreichste Stadt der USA liegt. Der Gouverneur des schwer defizitären Bundesstaats wiederum muss sparen. Zudem versucht er, auch andere Städte außerhalb von New York City, etwa die Hauptstadt Albany, als Wirtschaftszentren aufzubauen, und greift ihnen mit Investitionen unter die Arme.
So bedurfte es dann auch zweier schwerer Zwischenfälle im Sommer des Vorjahres, ehe sich Bundesstaatsgouverneur Andrew Cuomo und Bürgermeister Bill de Blasio an einen Tisch setzten und der maroden U-Bahn ihre volle Aufmerksamkeit schenkten. Zunächst gingen Videos eines feststeckenden Zuges mit ausgefallener Klimaanlage um die Welt. Die Temperatur in den Waggons stieg auf mehr als 50 Grad an. Geschäftsleute zogen ihre Anzüge und Hemden aus, mehrere ältere Fahrgäste standen kurz vor dem Kreislaufkollaps und mussten schließlich medizinisch behandelt werden. Nebenschauplatz Regen. Als dann Ende Juni ein Zug in Harlem entgleiste und es 34 Verletzte gab, rief Cuomo den Ausnahmezustand aus und versprach, gemeinsam mit de Blasio das System wieder auf Vordermann zu bringen. Eine Milliarde Dollar sollte unmittelbar investiert werden, um die schlimmsten Mängel auszubessern.
Als Beispiel für den dramatischen Zustand des Transitsystems wird oft auch eine Entgleisung in Brooklyn anno 2015 genannt. Damals gab es drei Verletzte, als sich Betonklötze von der Decke gelöst hatten und einem durchfahrenden Zug im Weg lagen.
Die geplanten Verbesserungen laufen seit Erklärung des Ausnahmezustands indes nur langsam an. Erst zu Beginn dieses Jahres verständigten sich die Streithähne Cuomo und de Blasio auf eine Finanzierung, als der Bürgermeister einlenkte und zusagte, die Hälfte der unmittelbar nötigen Ausgaben in sein Budget zu übernehmen. Nun haben die Arbeiten begonnen, wobei erst die schlimmsten Sicherheitsmängel ausgebessert werden sollen. Regendurchlässige Decken und überflutete Stationen sind da nur Nebenschauplätze.
Dabei ist es keineswegs so, dass die New Yorker die U-Bahn mit allen Mitteln zu vermeiden versuchen, vielmehr handelt es sich um eine Hassliebe. Natürlich echauffiert man sich mit Hingabe über die ständigen Verspätungen und Zwischenfälle. Gleichzeitig ist man aber Stolz darauf, im Gegensatz zu vielen anderen US-Großstädten über- haupt eine gut ausgebaute Metro zu haben und nicht, wie etwa in Los Angeles, ständig im Verkehr stecken zu müssen. Nirgendwo sonst treffen so viele Kulturen aufeinander wie in den U-BahnWaggons der weltweit möglicherweise internationalsten Stadt. Und wenn auch die aktuellste Fahrpreiserhöhung für eine Welle der Empörung gesorgt hat: Mit 2,75 Dollar pro Fahrt ist der Tarif immer noch relativ günstig.
Bei aller Kritik an der Politik sind vereinzelt durchaus Verbesserungen zu beobachten, beispielsweise der Ausbau der Linie Q entlang der zweiten Avenue an der Upper East Side. Die Anfang 2017 in Betrieb genommenen Stationen sind modern und behindertengerecht, ebenso wie jene Haltestellen entlang der Linie R in Bay Ridge in Brooklyn, die im vergangenen Jahr renoviert worden sind. Auch werden immer mehr Stationen mit Anzeigen zur Wartezeit auf den nächsten Zug ausgestattet – ein Service, der in den meisten europäischen Großstädten freilich seit Langem üblich ist.
Jahrelang hat die Politik das Problem ignoriert und Investitionen verabsäumt. Die New Yorker sind trotz aller Schwierigkeiten stolz auf ihre U-Bahn.
Und selbst, wenn zunächst nur Renovierungen von bedrohlichen lockeren Deckenstützen im Vordergrund stehen, wird gleichzeitig versucht, das Regenproblem zumindest teilweise unter Kontrolle zu bringen. 2007 war nach einem Sturm der Großteil des Systems für viele Stunden außer Gefecht. Dieses Mal musste die Metropolitan Transportation Authority (MTA), die die U-Bahn betreibt, nur wenige Stationen für kurze Zeit sperren. „Verbesserungen der Infrastruktur haben dazu geführt, dass die Auswirkungen dieses Mal relativ minimal waren“, sagte der MTA-Chef.
Die komplette Reparatur des kaputten U-Bahn-Systems wird jedenfalls viele Jahre dauern. Mit dem Regen können sich die zähen New Yorker schon irgendwie abfinden. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest Entgleisungen und schwere Unfälle ausbleiben.