Der Millionär der Bücher
Ein junger Serbe sammelt Bücher, die andere nicht mehr brauchen, stapelt sie in Bananenschachteln – und hat bereits mehr als eine Million Werke aus der ganzen Welt zusammen.
Alles fängt immer in der Josipa Slavenskog 19 in Belgrad an. Dieses kleine Gässchen im Belgrader Außenbezirk Banjica stellt jedes Navi auf harte Proben (unseres etwa ist daran gescheitert). Dort, in einem hübschen weißen Zweifamilienhaus, empfängt Viktor Lazic´ (31) seine Gäste. Seine Besucher sollen zuerst einmal einen positiven Eindruck bekommen.
Doch später wird er uns staubige Bücherlager zeigen, die nicht für das breitere Publikum geeignet wären: Wir sind im Museum des Buches. Rotdunkles Holz der Bücherschränke, Glasvitrinen, Objekte, Masken, seltsame Pergamentrollen – und Bücher. Hier ein Buch aus dem Fötus eines Kalbs, da ein buddhistisches Gebetsbuch, nicht weit davon findet sich eine ganze Sammlung äthiopischer Bücher, die einer Kooperation mit der Nationalbibliothek in Addis Abeba, der Hauptstadt von Äthiopien, entstammt. Hübsch drapiert, ein Schmuckstück mit hundert Entstehungsgeschichten. Reisen in der ganzen Welt. Vieles im Museum, das sich mit einer Handvoll Themenräumen durch das ganze Haus zieht, hat Lazic´ von seinen Reisen mitgebracht. Drei bis vier Monate im Jahr zieht er durch die Welt und reist in Länder wie Tibet, Vietnam, Russland und Brasilien. Und immer geht es dort um Kultur, Menschen und natürlich Bücher. Er knüpft vorab Kontakte zu den dortigen Bibliotheken und findet für seine Anliegen immer ein offenes Ohr. Dann kann er seinen Schatzkisten wieder einige Stücke zufügen. Wovon leben Sie eigentlich, Herr Lazic?´ Er berichtet von ziemlich miesen Zeiten, als er mit 50 Euro durch den Monat kommen musste, was auch in Serbien nicht üppig ist. Heute sind es Forschungsgelder, Spenden, Mitgliedsbeiträge von seinem Verein Adligat, der Gesellschaft für Kultur, Kunst und internationaler Kooperation, und Ähnliches, das ihn über Wasser hält. Mittlerweile kann er sich ein Monatsgehalt von rund 350 Euro erwirtschaften, dazu erhalten drei bis vier ständige Mitarbeiter, die ihm beim Katalogisieren helfen, ähnlich viel.
Viktor Lazic´ will mit seiner Büchermanie kein großes Geld verdienen. Da-
Der Serbe
Viktor Lazi´c (31) ist Journalist und Büchersammler. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Belgrad und arbeitet an einer Dissertation über das Verhältnis des chinesischen Rechtssystems zum Konfuzianismus. Lazi´c bereiste mehrere Länder und schrieb Reiseberichte für serbische Verlage.
Weltreisender.
Lazi´c sammelt Bücher, um eine große öffentliche Bibliothek zu schaffen. Anfang 2017 hatte er eine Million Bände zusammen, vorwiegend mit Literatur aus den Balkanstaaten und Russland, aber auch aus allen Ländern der Welt. Drei bis vier Monate im Jahr reist er in Länder wie Tibet, Vietnam, Russland und Brasilien, knüpft Kontakte und nimmt wieder neue Bücher mit. Er lagert sie in Bananenschachteln bei sich daheim, bei Freunden und Bekannten.
Sammlerahnen.
Lazi´c wohnt in Kumodraˇz im Großraum Belgrad. Bereits sein Großvater, Aleksandar Lazi´c, war ein Büchersammler. für hätte er Rechtsanwalt bleiben müssen. Adligat ist eine Non-Profit-Organisation, also ein Verein ohne Gewinnabsicht. Das Wort Adligat bezieht sich auf Bücher, die inhaltlich zusammengehören.
Dies macht Viktor Lazic´ in seinen Themenräumen greifbar. Hier gibt es etwa das Pavlovic-´Zimmer (Miodrag Pavlovic´ war einer der wichtigsten Nachkriegsschriftsteller Serbiens), dort sind es historische Bücher, da das Reisezimmer. Das Museum ist donnerstags und freitags geöffnet. 100 bis 150 Personen sehen sich jeden Monat die Sammlungen an. Die anderen Tage sind Forschern überlassen. Für sie soll auf der Terrasse bald ein neuer Leseraum dazukommen. Lazic´ sammelt aber nicht nur serbische Literatur und Bücher in slawischer Sprache. Er sammelt alle Bücher und alle Sprachen. Alte und neue Bücher, bekritzelte und unversehrte, doppelt und dreifach (die Kopien tauscht er dann mit anderen Bibliotheken). Stark vertreten sind auch Werke in deutscher Sprache, und zwar sowohl im Reisezimmer als auch in anderen Themenräumen. Denn viele Spenden, die Lazic´ bekommt, stammen von Übersetzern und Literaten, die sich durch Transkriptionen ein Zubrot verdienen. Großes Netzwerk. Lazic´ hat gute Beziehungen zu vielen Leuten in der Nachbarschaft, die ihm weitere Räume für Bücher zur Verfügung stellen. In Nebenräumen, Kellern und Dachböden lagern die Bände also in mittlerweile 7000 Bananenkisten, diese sind bereits markiert für die spätere Registrierung. Der Sammler hat nämlich das Prinzip der Bibliotheken umgekehrt: Nicht zuerst Platz schaffen und dann Bücher kaufen, sondern zuerst die Bücher sichern: sichern vor dem Verfall, vor dem Weggeworfenwerden, vor dem Schredder, der Mülldeponie. „Sind sie einmal weggeworfen, so sind sie unrettbar verloren“, sagt er. Also zuerst hamstern, dann archivieren.
Jeder Spender bekommt ein dreibuchstabiges Akronym, das samt Datum ins Buch vorn eingetragen wird. Das muss vorerst zur Kennzeichnung reichen. Mit den Jahren wuchs das Zutrauen zu dem Projekt, und namhaften Spenden folgten größere Schenkun- gen, nicht nur von Büchern, sondern sogar von Immobilien. Die Bücher, in Kisten und Regalen verwahrt, zwischengelagert und allmählich auch katalogisiert, befinden sich mittlerweile sogar in der Volksschule, die Viktor Lazic´ einst besucht hat. Die Schuldirektorin dort hat im Keller für Tausende Bücher Platz gemacht. In den meterhohen Räumen stapeln sich Chiquita-Bananenboxen mit Büchern.
Es ist ein „Netzwerk des guten Willens“, das der verhinderte Jurist also in den vergangenen Jahren geknüpft hat. 300 Institutionen seien es bereits, verstreut über das ehemalige Jugoslawien, mit denen er kooperiere – vorwiegend Bibliotheken, die er dank einer Vereinbarung zur Zusammenarbeit motiviert hat: Da die meisten Bibliotheken zu wenig Geld haben, um neue Bücher zu kaufen, können sie nun dank des Lazic-´Netzwerkes Bücher tauschen und somit ihre Bestände leicht ergänzen. „Des einen Doubletten sind des anderen Unikat“, lautet das Motto der Kooperation.
Hier ein Buch aus dem Fötus eines Kalbs, da ein buddhistisches Gebetsbuch. Lazi´c sammelt Bücher in allen Sprachen, alte und neue, bekritzelte und unversehrte.
Keine zentrale Bibliothek. Vorbehalte gegen das Projekt gibt es natürlich, zumal Lazic´ aus zwei Dingen kein Hehl macht: Er ist stolzer Serbe und überzeugter Antikommunist. Er sammle Bücher „seit ich acht Jahre alt war“, sagt er und lächelt selig. Das Ganze liegt tatsächlich im Blut, denn auch Viktors Großvater, Aleksandar Lazic,´ war Büchersammler erster Ordnung.
Lazi´c will keine zentrale Bibliothek für seine Bücher: Das sei zu gefährlich, sagt er.
Heute, nachdem die erste Million Bücher erreicht ist, plant Viktor Lazic´ eine permanente Ausstellung in der Belgrader Innenstadt. Was der Büchersammler allerdings nicht will, ist „die eine“, große, zentrale Bibliothek zu werden.
„Das ist mir zu gefährlich“, sagt er. „Ein zerstörerischer Großbrand, wie ihn die Bibliothek in Sarajewo 1992 während des Krieges heimgesucht und dabei rund zwei Millionen Bücher vernichtet hat, kann bei dezentraler Anlage einer Sammlung nicht mehr so einen großen Schaden anrichten“, ist er überzeugt.
Dann klemmt er sich wieder das Telefon ans Ohr – gerade ist eine neue Bücherlieferung eingetroffen, für die es gilt, in einem der Lager Platz zu schaffen.