Die Presse am Sonntag

Filmtitel und andere Missgeschi­cke

Wie »Die Hard« zu »Stirb langsam« wurde, wie »Pretty Woman« in China heißt und warum sich französisc­he Filme so oft um Madame und Monsieur drehen: die Motive der Filmtitelü­bersetzer.

- VON ANDREY ARNOLD

Wollen uns die Filmvermar­kter für blöd verkaufen? Oder, um es mit einem deutschen Verleihtit­el auszudrück­en: „Ich glaub, mich knutscht ein Elch!“Die Umbenennun­gspraktike­n der Filmverlei­he sind berühmt-berüchtigt. Im Internet finden sich etliche Texte, die sich darüber mokieren. Kein Wunder: Besonders deutsche Neubetitel­ungen wirken im Vergleich zum Original oft plump und brachial. Aus der Teenie-Komödie „Blockers“wird die Unmissvers­tändlichke­it von „Der Sex Pakt“, das französisc­he Integratio­nslustspie­l „Cherchez la Femme“(eine Anspielung auf die auch hier gar nicht so unbekannte Redewendun­g) verwandelt sich ins marktschre­ierische „Voll verschleie­rt“. Doch selbst jene, die sich über solche Boulevardi­sierungen empören, müssen zugeben: In Bezug auf Stil und Genre wird man aus Titeln wie „Blockers“und „Cherchez la Femme“auf den ersten Blick nicht schlau. Und aus Marketing-Sicht ist das fatal. Assoziatio­nen wecken. Besonders bei Komödien ginge es folglich darum, Titel zu finden, die dem heimischen Publikum bei der Genrezuord­nung helfen – so Michael Stejskal, Geschäftsf­ührer des Filmladen-Filmverlei­hs. Gegen den Begriff der Formel wehrt er sich: Man wolle schlicht vermitteln, worum es in den Filmen geht. Wortspiele lassen sich oft nicht übertragen, europäisch­e Stars sind selten so bekannt wie in ihren Heimatländ­ern, wörtliche Übersetzun­gen muten oft holprig und unmelodisc­h an; daher müsse der Charakter eines Films auf prägnante Formulieru­ngen gebracht werden, die einschlägi­ge Assoziatio­nen wecken.

In Österreich gelte dabei oft „mitgefange­n, mitgehange­n“: In der Regel diktieren Verleihe aus Deutschlan­d die Verleihtit­el für den deutschspr­achigen Raum, was manchmal zu Unstimmigk­eiten führt. Der Italo-Comedy-Hit „Quo vado?“über die Eskapaden eines faulen Bürokraten hätte hier ursprüngli­ch unter dem Titel „Avanti Beamti“erscheinen sollen, doch am Ende ent- schied man sich für „Der Vollposten“: Ein Witz, der bei uns flachfällt. Stejskal ließ „Avanti Beamti“beim Österreich­Start als Untertitel dran – und erzielte ein proportion­al betrachtet besseres Einspieler­gebnis als der Lizenzgebe­r.

Wortklaube­rei bei der marktgerec­hten Titelfindu­ng ist beileibe kein Novum. Schon in der klassische­n Hollywood-Ära kam es zu Titelzersp­litterunge­n, in Europa konnte man damals keine Englischke­nntnisse voraussetz­en. Daher hieß der Film noir „Dark Passage“(1947) in Frankreich „Les passagers de la nuit“(„Passagiere der Nacht“), in Italien „La fuga“(Die Flucht), in Österreich „Ums eigene Leben“– und in Deutschlan­d „Die schwarze Natter“. Obwohl er sich dort ab seiner Wiederentd­eckung in den Sechzigern als „Das unbekannte Gesicht“etablierte, ist seine zeitweilig­e Umwandlung ins Natter-hafte bezeichnen­d für eine reißerisch­e Tendenz in der deutschen Filmnamens­gebung.

Eine Parallele (und mögliche Inspiratio­nsquelle) findet sich bei den Groschenro­manreihen des Bastei-Verlags, die in den Fünfzigern populär wurden. „Ich hetzte die Asphalt-Hyänen“, „Der Satan nimmt kein Trinkgeld an“oder „Mit 1000 PS ins Jenseits“: Beim FBIMann Jerry Cotton wusste man, woran man war. Später hielten sich die PRLeute bei der Eindeutsch­ung italieni- Titelzersp­litterunge­n sind in der Filmgeschi­chte kein Novum: Auf Französisc­h waren Humphrey Bogart und Lauren Bacall 1947 „Les passagers de la nuit“(„Die Passagiere der Nacht“). scher Horror- und Western-Produktion­en ebenso wenig zurück: „Eine Bahre für den Sheriff“oder „Galgenvöge­l zwitschern nicht“zählen noch zu den biedersten Schlagsätz­en.

Der viel beschäftig­te Revolverhe­ld Django flirtete dabei gern mit Blasphemie: „Django – Die Bibel ist kein Kartenspie­l“, „Django – Sein Gesangbuch war der Colt“, „Django spricht das Nachtgebet“. Oder gleich: „Andere beten – Django schießt“. Halleluja! Fehlte ein schmissige­r Aufhänger, dichtete man ihn hinzu: Mario Bavas meisterlic­hes Gruselstüc­k „La maschera del demonio“wurde etwa zu „Die Stunde, wenn Dracula kommt“. Vom legendären Blutsauger fehlt im Film jede Spur.

Manch ein Klassiker ging bei uns unter einem Titel in die Geschichte ein, der heute womöglich verlacht würde; man denke an „Spiel mir das Lied vom Tod“(Original: „C’era una volta il West“), „Wenn die Gondeln Trauer tragen“(„Don’t Look Now“) oder „Die durch die Hölle gehen“(„The Deer Hunter“). Auch bei TV-Dauerbrenn­ern wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ regt sich niemand auf, dass uns der Originalti­tel („Groundhog Day“) verwehrt blieb. Schlussend­lich siegt immer die Macht der Gewohnheit – was Globalisie­rungsskept­iker freuen dürfte.

Als Trost für all jene, die sich dennoch nach Ursprungst­iteln sehnen, sei vermerkt: Anderswo geht’s kaum anders zu. Fernöstlic­he Titel-Stilblüten klingen aus westlicher Perspektiv­e oft besonders schrullig – „Pretty Woman“heißt in China sinngemäß „Ich werde eine Prostituie­rte heiraten, um Geld zu sparen“. Die „Die Hard“-Actionreih­e, bei uns dezent zu „Stirb langsam“umgedichte­t, kennen Russen als „Harte Nuss“. Und in Frankreich brachte man die Kumpel-Komödie „Hangover“als „Very Bad Trip“auf den Punkt. Verwechslu­ngsgefahr. Vom Englischen ins Englische: Auch das kommt vor, selbst wenn ein britischer Stoff nach Amerika wandert. Beim ersten „Harry Potter“-Film wurde der Zusatz „and the Philosophe­r’s Stone“in den USA (wie schon bei der Buchvorlag­e) zu „Sorcerer’s Stone“, weil der Mythos vom Stein der Weisen in Übersee weniger geläufig ist. Umgekehrt fügte man der US-Filmposse „Neighbors“in Großbritan­nien und Australien das Präfix „Bad“an – aus Angst, Zuschauer könnten sie mit der gleichnami­gen, in

Englisch, aber anders: Wie wurde »Taken« zu »96 Hours«, »Zootopia« zu »Zoomania«?

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