Heute in der Matinee: Tjeknavorians Coup
Der Wiener Junggeiger ersetzt Medienstar David Garrett. Schon in der Voraufführung triumphierte er.
der bewährt. Manchmal fragt sich Stejskal zwar, ob sich die Masche nicht totgelaufen hat – aber der Erfolg von Filmen wie jüngst „Monsieur Pierre geht online“spricht dagegen. Das „Madame“-Schema. Was davon zeugt, dass die Zielgruppen auch im Arthausbereich längst ausdifferenziert sind. Französische Komödien über Damen in den besten Jahren, die ihre Lebenslust wiederfinden, sind zu einem eigenen Genre geronnen, markiert per „Madame“-Betitelung. So wie einst fast jeder Film mit Bud Spencer und Terence Hill die „Zwei“im Namen trug („Zwei bärenstarke Typen“, „Zwei Asse trumpfen auf“), garantiert ein „französelnder“Vorbau locker-flockige Zerstreuung nach Schema F. Oder nicht: So wie die Spencer-/Hill-Filme qualitative Schwankungen aufwiesen, lässt sich auch im Madame-Gewand abseits ausgetretener Klischees unterhalten, wie der am Freitag anlaufende „Madame Aurora und der Duft von Frühling“(im Original „Aurore“) beweist.
Und was ist mit „A Beautiful Day“? Klar, an die mysteriöse Aura von „You Were Never Really Here“reicht der deutsche Titel nicht heran. Aber immerhin bezieht er sich auf eine Dialogzeile aus dem Film. Und wenn man bedenkt, dass die ursprünglich namensgebende Buchvorlage vor Jonathan Ames außerhalb Amerikas kaum bekannt ist – und dass „Du warst niemals wirklich hier“doch ein bisserl krampert klingt – muss man die Änderung zwar nicht gutheißen, kann sie aber zumindest ein Stück weit nachvollziehen. „What’s in a name? That which we call a rose/By any other word would smell as sweet“, schrieb Shakespeare in „Romeo und Julia“. In Bezug auf Filmvermarktung hatte er unrecht. Die Wiener Symphoniker warten bei ihrer heutigen (von Barbara Rett moderierten) Konzerthaus-Matinee mit einem musikalischen Überraschungscoup auf: Nachdem David Garrett seine Mitwirkung krankheitshalber absagen musste, gewann man einen der führenden jungen Violinvirtuosen unserer Zeit als Einspringer, noch dazu einen, der sich anschickt, von Wien aus eine Weltkarriere zu machen.
Emmanuel Tjeknavorian aus der Geigenklasse von Gerhard Schulz nahm anlässlich der Voraufführung am Freitagabend allen enttäuschten Garrett-Verehrern im großen Konzerthaussaal die Scheu vor einem ganz ohne Selbstinszenierung musizierten Tschaikowsky-Violinkonzert, indem er sich sympathisch frohgemut selbst vorstellte und dem kranken Kollegen gute Besserung ausrichtete. Damit wich die gesellschaftliche der musikalischen Anspannung. Deren sukzessive Lösung kraft virtuoser Technik und tiefer Musikalität bescherte dem jungen Musiker einen triumphalen Erfolg.
Tjeknavorian zählt für die Kenner der Szene seit seinen Debütkonzerten im Teenageralter zu den herausragenden Talenten unserer Zeit. Mit 20 erhielt er 2015 beim Sibelius-Wettbewerb den Preis für die beste Interpretation des Sibelius-Konzertes, im Vorjahr war er bereits Rising Star, ausgewählt von Konzerthaus und Musikverein, um rund um die Welt sein Soloprogramm zu präsentieren.
Nun also – kurz nach einem bemerkenswerten Beethovenkonzert – noch einmal ein Auftritt mit den Sym- phonikern und ein weiteres Zentralstück des Repertoires. Tschaikowskys Violinkonzert dient oft als Vorzeigevehikel für großen Geigenton, satte Klangregie und rasantes Spiel – es lässt sich freilich auch feinsinniger analysieren und darstellen. Primus inter pares. Welchen Rang Emmanuel Tjeknavorian heute bereits für sich beanspruchen darf, beweist er in seiner Interpretation dieses Werks schon in den ersten Takten: Statt mit der mehrheitlich üblichen, dick aufgetragenen Showgeste präsentiert er den Soloeinstieg in faszinierend aufgefächerter dynamisch-artikulatorischer Differenzierung. Der quasi-improvisatorisch-spontane Gestus, der sein souverän melodischen Nuancen nachspürendes Rubato-Spiel durchwegs auszeichnet, wächst aus zwei, drei rhythmisch klar definierten, aus dem Orchester-Vorspiel natürlich herauswachsenden Tönen.
Der Solist also präsentiert sich nicht als Star, sondern als Primus inter pares – selbst die große Kadenz im Kopfsatz ist natürlicher Teil der Komposition, die man (mit den unter Andris Poga animiert, wenn auch nicht ganz so sensibel mitgehenden Symphonikern) gemeinschaftlich vorstellt, keine losgelöst eitle Zuwaag’.
Apropos: Als Encore boten Tjeknavorian und Konzertmeister Anton Sorokow Papagenos Auftrittslied aus der „Zauberflöte“als Duo – und: Schlichte Panflötenläufe scheinen nicht unbedingt weniger heikel als Tschaikowskys Zweiunddreißigstelpassagen . . .