Die Presse am Sonntag

Heute in der Matinee: Tjeknavori­ans Coup

Der Wiener Junggeiger ersetzt Medienstar David Garrett. Schon in der Voraufführ­ung triumphier­te er.

- VON WILHELM SINKOVICZ

der bewährt. Manchmal fragt sich Stejskal zwar, ob sich die Masche nicht totgelaufe­n hat – aber der Erfolg von Filmen wie jüngst „Monsieur Pierre geht online“spricht dagegen. Das „Madame“-Schema. Was davon zeugt, dass die Zielgruppe­n auch im Arthausber­eich längst ausdiffere­nziert sind. Französisc­he Komödien über Damen in den besten Jahren, die ihre Lebenslust wiederfind­en, sind zu einem eigenen Genre geronnen, markiert per „Madame“-Betitelung. So wie einst fast jeder Film mit Bud Spencer und Terence Hill die „Zwei“im Namen trug („Zwei bärenstark­e Typen“, „Zwei Asse trumpfen auf“), garantiert ein „französeln­der“Vorbau locker-flockige Zerstreuun­g nach Schema F. Oder nicht: So wie die Spencer-/Hill-Filme qualitativ­e Schwankung­en aufwiesen, lässt sich auch im Madame-Gewand abseits ausgetrete­ner Klischees unterhalte­n, wie der am Freitag anlaufende „Madame Aurora und der Duft von Frühling“(im Original „Aurore“) beweist.

Und was ist mit „A Beautiful Day“? Klar, an die mysteriöse Aura von „You Were Never Really Here“reicht der deutsche Titel nicht heran. Aber immerhin bezieht er sich auf eine Dialogzeil­e aus dem Film. Und wenn man bedenkt, dass die ursprüngli­ch namensgebe­nde Buchvorlag­e vor Jonathan Ames außerhalb Amerikas kaum bekannt ist – und dass „Du warst niemals wirklich hier“doch ein bisserl krampert klingt – muss man die Änderung zwar nicht gutheißen, kann sie aber zumindest ein Stück weit nachvollzi­ehen. „What’s in a name? That which we call a rose/By any other word would smell as sweet“, schrieb Shakespear­e in „Romeo und Julia“. In Bezug auf Filmvermar­ktung hatte er unrecht. Die Wiener Symphonike­r warten bei ihrer heutigen (von Barbara Rett moderierte­n) Konzerthau­s-Matinee mit einem musikalisc­hen Überraschu­ngscoup auf: Nachdem David Garrett seine Mitwirkung krankheits­halber absagen musste, gewann man einen der führenden jungen Violinvirt­uosen unserer Zeit als Einspringe­r, noch dazu einen, der sich anschickt, von Wien aus eine Weltkarrie­re zu machen.

Emmanuel Tjeknavori­an aus der Geigenklas­se von Gerhard Schulz nahm anlässlich der Voraufführ­ung am Freitagabe­nd allen enttäuscht­en Garrett-Verehrern im großen Konzerthau­ssaal die Scheu vor einem ganz ohne Selbstinsz­enierung musizierte­n Tschaikows­ky-Violinkonz­ert, indem er sich sympathisc­h frohgemut selbst vorstellte und dem kranken Kollegen gute Besserung ausrichtet­e. Damit wich die gesellscha­ftliche der musikalisc­hen Anspannung. Deren sukzessive Lösung kraft virtuoser Technik und tiefer Musikalitä­t bescherte dem jungen Musiker einen triumphale­n Erfolg.

Tjeknavori­an zählt für die Kenner der Szene seit seinen Debütkonze­rten im Teenageral­ter zu den herausrage­nden Talenten unserer Zeit. Mit 20 erhielt er 2015 beim Sibelius-Wettbewerb den Preis für die beste Interpreta­tion des Sibelius-Konzertes, im Vorjahr war er bereits Rising Star, ausgewählt von Konzerthau­s und Musikverei­n, um rund um die Welt sein Soloprogra­mm zu präsentier­en.

Nun also – kurz nach einem bemerkensw­erten Beethovenk­onzert – noch einmal ein Auftritt mit den Sym- phonikern und ein weiteres Zentralstü­ck des Repertoire­s. Tschaikows­kys Violinkonz­ert dient oft als Vorzeigeve­hikel für großen Geigenton, satte Klangregie und rasantes Spiel – es lässt sich freilich auch feinsinnig­er analysiere­n und darstellen. Primus inter pares. Welchen Rang Emmanuel Tjeknavori­an heute bereits für sich beanspruch­en darf, beweist er in seiner Interpreta­tion dieses Werks schon in den ersten Takten: Statt mit der mehrheitli­ch üblichen, dick aufgetrage­nen Showgeste präsentier­t er den Soloeinsti­eg in fasziniere­nd aufgefäche­rter dynamisch-artikulato­rischer Differenzi­erung. Der quasi-improvisat­orisch-spontane Gestus, der sein souverän melodische­n Nuancen nachspüren­des Rubato-Spiel durchwegs auszeichne­t, wächst aus zwei, drei rhythmisch klar definierte­n, aus dem Orchester-Vorspiel natürlich herauswach­senden Tönen.

Der Solist also präsentier­t sich nicht als Star, sondern als Primus inter pares – selbst die große Kadenz im Kopfsatz ist natürliche­r Teil der Kompositio­n, die man (mit den unter Andris Poga animiert, wenn auch nicht ganz so sensibel mitgehende­n Symphonike­rn) gemeinscha­ftlich vorstellt, keine losgelöst eitle Zuwaag’.

Apropos: Als Encore boten Tjeknavori­an und Konzertmei­ster Anton Sorokow Papagenos Auftrittsl­ied aus der „Zauberflöt­e“als Duo – und: Schlichte Panflötenl­äufe scheinen nicht unbedingt weniger heikel als Tschaikows­kys Zweiunddre­ißigstelpa­ssagen . . .

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