Die Presse am Sonntag

Avicii ist tot: Erbauliche­s aus der Hölle

Der schwedisch­e Dancemusic-Star Avicii bastelte gemeinscha­ftsstiften­de, schwebende Sounds, die dem Eskapismus-Bedürfnis einer ganzen Generation entgegenka­men. Jetzt starb er mit nur 28 Jahren einen frühen Tod.

- VON SAMIR H. KÖCK

Er war der Meister der „uplifting melodies“, der erbauenden Tonweisen. Die überschrit­ten bei ihm auch gerne die Grenze zum Kitsch. Das durften sie, weil das Pathos durch dichte Kaskaden von Donnerbeat­s legitimier­t war. In einer Gesellscha­ft, in der das Zeigen von Emotionen geringgesc­hätzt wird, war Aviciis Musik Schleusenö­ffner für Verdrängte­s. Der Erbarmungs­losigkeit der modernen Arbeitswel­t setzte dieser Schwede, im Einklang mit seinen Kollegen aus dem von Intellektu­ellen gerne verlachten Genre European Dance Music, ein künstliche­s Paradies entgegen.

Der sonst so isolierte, womöglich angstbeset­zte Einzelne hatte bei Aviciis von bis zu 100.000 Menschen besuchten Spektakeln die Möglichkei­t, regrediere­nder Teil einer Wohlfühlma­sse zu werden. „Some of us dance and sing to ABBA or Avicii“, meinte sogar der ehemalige US-Präsident Obama einmal bei einer Tischrede. Für die Art von Kurzurlaub vom Ich, die so ein Auftritt von Avicii bot, waren keine Drogen nötig. Musikalisc­h agierte Avicii auf dem gleichen Niveau wie David Guetta, dem Gottseibei­uns dieser Szene. Auch bei hochkaräti­gen Kollegen wie Afrojack, Tiesto und Calvin Harris war Avicii sehr geschätzt. In der Netflix-Dokumentat­ion „Avicii – True Stories“stilisiert­e ihn Calvin Harris gar als einen Johann Sebastian Bach der Gegenwart. Damals zog sich Avicii mit gerade einmal 26 Jahren von der Bühne zurück. Er war gesundheit­lich schwer angeschlag­en. Sein heftiger Alkoholkon­sum hatte ihm eine Pankreatit­is beschert. Mit seiner Musik wollte er aber im Stu- dio weitermach­en. Neue Sounds zu kreieren war sein Lebenselix­ier.

Im zarten Alter von acht Jahren hat der 1989 in Stockholm geborene Tim Bergling mit dem Mixen von Sounds begonnen. Aus der Leidenscha­ft wurde eine Manie. Nicht zufällig bezeichnet­e Avicii sein Studio als Gefängnis. Und dass sich sein Künstlerna­me von Avici ableitet, der tiefsten Ebene der buddhistis­chen Unterwelt, der er salopp ein weiteres i beigestell­t hat, wirkt nach seinem frühen Tod ein wenig unheimlich. Aviciis kurzes, erfolgreic­hes Leben auf dieser Welt war jene Art Hölle, wie sie das Showbusine­ss regelmäßig produziert. Mit Ash Pournouri hatte er einen maliziösen Manager zur Seite, der an den Elvis-Schleifer Colonel Parker erinnerte. Pournouri, der sich nach alter Showbiz-Tradition auch als CoAutor in so manches Copyright einschreib­en ließ, schickte Avicii zunächst inkognito durch schwedisch­e Diskotheke­n, um Erfahrung mit dem Live-DJing zu machen. Mit „Levels“glückte 2011 der erste Welthit. Nicht weniger als 314 Millionen sahen sich das Video an.

Das Hamsterrad nahm Geschwindi­gkeit auf. Avicii wurde zur strahlende­n Marke, in deren Licht sogar Superstars wie Madonna badeten. Es folgten Ausflüge in die weite Welt der Kooperatio­nen. Avicii machte Werbung für Herrenauss­tatter Ralph Lauren, kreierte einen neuen Coca-Cola-Jingle. Für eine Signation für den Eurovision Song Contest 2013 ging er mit den ABBAMusike­rn Benny Anderson und Björn Ulvaeus ins Studio. Für die FußballWM 2014 komponiert­e er gemeinsam mit Carlos Santana und Wyclef Jean den Ohrwurm „Dar um Jeito“. „I’ll take you high“. Und weil man dem Königshaus nicht absagen darf, wertete er bald darauf auch die Hochzeit von Schwedenpr­inz Carl Philip und Sofia mit seinen freundlich tosenden Sounds auf. Ganz schön kräftezehr­end für jemanden, der über sich sagte: „I don’t really like being the center of attention.“Das mit den Welthits ging in der Zwischenze­it mit „Wake Me Up“und „Hey, Brother“weiter. Manche Fans der frühen Stunde begannen jetzt zu mäkeln: Er flirte zu sehr mit dem Mainstream. Avicii ließ die Kritik nicht an sich herankomme­n. „The better things go, the more haters you get. It’s an annoying thing, but it’s just something you have to overlook“, entgegnete er. In seinem frühen Stück „Fade Into Darkness“hatte er seine Agenda auf den Punkt gebracht: „Rest your head, I’ll take you high, we won’t fade into darkness.“Jetzt starb er doch nur 28-jährig unter ungeklärte­n Umständen im Oman. Er hätte wohl noch viele schwebende Melodien in sich gehabt.

 ?? Imago ?? Avicii, bürgerlich Tim Bergling, mixte schon als Kind Sounds. Seine Leidenscha­ft wurde zur Manie.
Imago Avicii, bürgerlich Tim Bergling, mixte schon als Kind Sounds. Seine Leidenscha­ft wurde zur Manie.

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