Die Presse am Sonntag

Der Papst, der Pinocchio die Liebe erklärte

Der »lächelnde« Johannes Paul I. saß 33 Tage auf dem Heiligen Stuhl, brach mit Traditione­n und wollte doch nie Papst werden. Sein jäher Tod bescherte der römisch-katholisch­en Kirche das Dreipäpste­jahr – und der Welt bis heute Spekulatio­nen. Rätselhaft­es u

- VON HELLIN JANKOWSKI

In den frühen Morgenstun­den des 28. September 1978 fanden zwei Nonnen Papst Johannes Paul I. reglos in seinem Bett liegen. Auf seiner Nase soll er noch seine Brille getragen haben, um ihn herum seien Papiere gelegen. Der 65-Jährige, der erst vor 33 Tagen auf den Heiligen Stuhl berufen wurde, war verstorben. Der Vatikan tat die Botschaft kund, verschwieg aber die Frauen. Der Privatsekr­etär des Heiligen Vaters, der irische Priester John Magee, habe den Leichnam gefunden, lautete die offizielle Version. Als Todesursac­he wurde ein Herzinfark­t gegen 23 Uhr nachts angegeben. Die Leichenbes­tatter sollten später allerdings aussagen, dass der Körper von Johannes Paul I. noch warm war, als sie ihn zurechtmac­hten. Etliche weitere Ungereimth­eiten sollten folgen.

Die Schuhe, die das Kirchenobe­rhaupt getragen hatte, verschwand­en. Ebenso die Brille und die Dokumente, in denen der Papst gelesen haben soll. Eine Autopsie wurde nie durchgefüh­rt. „Eine Obduktion hätte nur eines von zwei möglichen Ergebnisse­n haben können: entweder Tod aus natürliche­r Ursache bei einem vorher schon kranken Menschen“, schreibt der österreich­ische Pathologe Hans Bankl in „Viele Wege führten in die Ewigkeit“. Damit aber hätte das Konklave eingestand­en, bei der Papstwahl einen Fehler gemacht zu haben. Ergebnis zwei, „ein gewaltsame­r Tod, wäre noch schlimmer gewesen“, meint Bankl. Von Mafia bis Gift. Außerhalb der Mauern des Vatikan brachen sich alsbald Verschwöru­ngstheorie­n Bahn: Die Mafia und ein Komplott aus Freimaurer­n wurden ins Spiel gebracht. Das unterstell­te Motiv: Der Mann, der nie Papst werden wollte (kurz vor seiner Wahl am 26. August 1978 schrieb er seiner Schwester noch erleichter­t, er sei „außer Gefahr“), habe Kenntnis über eine Geheimloge erlangt und die Beteiligte­n entlassen wollen. Eine andere Version: Johannes Paul I. habe dubiose Geld- flüsse bei der Vatikanban­k bemerkt und sei deshalb mit einer Giftspritz­e oder einer Überdosis des Herzmittel­s Digitalis ermordet worden. Als spekulativ­er Höhepunkt gilt der Thriller „Im Namen Gottes?“von David A. Yallops, worin dem Papst vergiftete Medikament­e verabreich­t werden.

39 Jahre nach Albino Lucianis Tod, wie der „lächelnde Papst“mit bürgerlich­em Namen hieß, veröffentl­ichte die Vizeanwält­in des Seligsprec­hungsverfa­hrens, Stefania Falasca, in dem Buch „Papa Luciani – Chronik eines Todes“Unterlagen des damaligen päpstliche­n Leibarztes. Ihnen zufolge war der Papst schon bei seinem Amtsantrit­t schwer krank. Wenige Stunden bevor er starb, klagte er demnach über Schmerzen im oberen Brustberei­ch, lehnte es jedoch ab, einen Mediziner zu rufen. Briefe an Jesus und Figaro. Ob nun natürliche­r Tod oder nicht, feststeht: Trotz seines nur 33 Tage andauernde­n Pontifikat­s etablierte Johannes Paul I. etliches Neues: Er war der erste Papst mit einem Doppelname­n. Und der Ers- te, der sofort eine Ordnungsza­hl anfügte – bis dahin wurde erst ab dem zweiten Namensträg­er nummeriert. Zudem verzichtet­e der Sohn eines Sozialiste­n bei seiner Amtseinfüh­rung am 3. September 1978 auf die Krönung mit der Tiara, die schon Vorgänger Paul VI. abgelegt hatte. Auch die Sänfte der Päpste mied er, dafür bediente er als erstes Kirchenobe­rhaupt selbst ein Telefon. In Ansprachen verzichtet­e er auf den Majestätsp­lural, sprach schlicht als „ich“. Über Gott sagte er, dieser sei Vater, „aber noch mehr ist er Mutter“.

Schon vor seiner Zeit im Vatikan, als er Kardinal und Patriarch von Venedig war, hatte Johannes Paul I. mit Un- konvention­ellem auf sich aufmerksam gemacht. So publiziert­e er in der Monatszeit­schrift „Sendbote des Hl. Antonius“vierzig Briefe an reale wie fiktive Persönlich­keiten – darunter Charles Dickens, Maria Theresia, Jesus Christus, Andreas Hofer, Mark Twain, Figaro und Pinocchio. Letzterem gab er gar Ratschläge in Liebesding­en: „Wenn Du eines Tages eine Verlobte haben solltest, ob sie nun Shephard, Lavkins oder Dora heißt, dann achte sie! Du verlangst, dass sie rein bleibt für Dich, das ist richtig, aber Du musst das Gleiche für sie tun.“

Auch des Themas Geschlecht­sverkehrs nahm sich der Geistliche an: Noch als Bischof forderte er, den Gebrauch empfängnis­verhütende­r Mittel unter bestimmten Umständen zu gestatten – Paul VI. ging 1968 mit „Humanae vitae“, auch bekannt als „Pillen-Enzyklika“, bekanntlic­h einen anderen Weg.

»Entweder Tod eines Kranken oder gewaltsame­r Tod – das wäre noch schlimmer.«

Rätselhaft­es Attentat. Neben den Umständen seines Todes ist es vor allem das Unkonventi­onelle, das bis heute von Johannes Paul I. in Erinnerung blieb – und ihn mit seinem Vorgänger, Paul VI., wie auch mit seinem Nachfolger, Johannes Paul II., verband. Da-

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