Die Presse am Sonntag

»Momente der Panik habe ich täglich«

Zum ersten Mal arbeitet Alexandra Liedtke an der Wiener Staatsoper als Regisseuri­n. Sie inszeniert »Samson et Dalila« von Camille Saint-Sa¨ens. Die Hybris ihres Berufes sei, dass sie immer alle zu überzeugen und die Entscheidu­ngen zu fällen hat. Ob sich i

- VON JUDITH HECHT

Sie inszeniere­n gerade an der Wiener Staatsoper Camille Saint-Sa¨ens Oper „Samson et Dalila“. Wie lernt man eigentlich Regie zu führen? Alexandra Liedtke: Ich denke, das geht nur durch Erfahrung, die man selber macht. Mein Weg war das Zuschauen und das Assistiere­n. Der Grund, weshalb ich ans Theater gegangen bin, war, dass ich Geschichte­n erzählen möchte. Ich habe Theaterwis­senschafte­n in Erlangen studiert, dort sind Regiekurse inkludiert. Dennoch war die Zeit des Assistiere­ns jene, in der ich das meiste gelernt habe. Man schaut zu, kommt an Probleme und sieht, wie sie gelöst werden. Und trotzdem war die erste Produktion, bei der ich selbst Regie geführt habe, noch einmal etwas ganz anderes. Ich dachte zwar, dass ich sehr gut vorbereite­t bin und genau weiß, was ich will, aber während ich als Assistenti­n auch zwölf Stunden durcharbei­ten konnte, war ich als Regisseuri­n schon nach zwei Stunden völlig erschöpft. Weil Sie die ganze Verantwort­ung allein tragen mussten? Ja, und das ist ein großer Unterschie­d, wenn man auf einmal alle Entscheidu­ngen – auch für andere – selber treffen muss. Das ist die Hybris an unserem Beruf: Meine Meinung muss am Ende so überzeugen­d sein, dass ich – bevor ich überhaupt das Publikum überzeugen kann – mein Team überzeugen kann. Das geht nur mit Vertrauen in sich selbst. Nur wenn ich sicher bin, kann ich andere überzeugen. Das heißt, Sie erklären den Mitwirkend­en zu Beginn, wie Sie das Stück verstehen? Ja, wie ich es verstehe, wie wir zu dem Bühnenbild gekommen sind oder den Kostümen. Was passiert, wenn ein Schauspiel­er Ihr Konzept hinterfrag­t oder es ins Wanken bringt? Ich habe noch nie erlebt, dass wir am Ende nicht zu einer Übereinsti­mmung gekommen sind. Im Idealfall hat jeder Künstler eine Haltung zu der Figur, die er darstellt. Und ich freue mich über jede Frage, die er mir stellt, denn er soll ja verstehen, wieso er was wann tut. Aber am Schluss muss ich entscheide­n, wie es gemacht werden soll, und wenn man das respektvol­l tut, funktionie­rt das fast immer. Noch mal einen Schritt zurück: Wie beginnen Sie sich einem Stoff zu nähern, den sie inszeniere­n sollen? Mit der Geschichte von „Samson et Dalila“beispielsw­eise beschäftig­e ich mich schon seit über zwei Jahren. Zuallerers­t habe ich damit begonnen, die Oper zu hören, und zwar ohne zuvor überhaupt das Libretto zu lesen. Ich wollte wissen, wie die Musik auf mich wirkt und ob ich ein Jahr meines Lebens mit ihr verbringen will. Zwei Jahre Hand in Hand mit Samson und Dalila ist eine lange Zeit. Kalkuliere­n Sie immer soviel Zeit für die Erarbeitun­g ein? Das hängt davon ab. Die Wiener Staatsoper ist ein Haus mit langer Vorlaufzei­t. Ich musste schon vor einem Jahr dem Intendante­n mein Regiekonze­pt präsentier­en. Aber das ist an fast allen großen Häusern so. Meine nächste Produktion wird William Shakespear­es „Hamlet“sein. Auch damit beschäftig­e ich mich seit zehn Monaten. In dieser Zeit hat sich der Fokus der Arbeit schon sehr verschoben. Beim ersten Lesen von „Hamlet“war es so, dass ich alle Figuren verstehen konnte, nur Hamlet nicht. Die Regisseuri­n

Alexandra Liedtke

wurde 1979 in Dortmund geboren. Sie ist mit dem ehemaligen Burgtheate­r-Direktor

Matthias Hartmann

verheirate­t. Sie studierte an den Universitä­ten Erlangen und Bochum Theater-, Film- und Fernsehwis­senschafte­n. Sie arbeitete unter anderem am Schauspiel­haus Hamburg, dem Burgtheate­r Wien, den Salzburger Festspiele­n und am Schauspiel­haus Bochum. Ihre Inszenieru­ng von LaButes „Das Maß der Dinge“am Salzburger Landesthea­ter wurde für den Nestroy in der Kategorie „Beste Bundesländ­er Aufführung“nominiert. Für die Universitä­t Mozarteum übernahm sie einen Lehrauftra­g für Schauspiel.

An der Wiener Staatsoper

inszeniert sie derzeit Camille Saint-Sa¨ens Oper „Samson et Dalila“mit El¯ına Garanˇca und Roberto Alagna in den Hauptrolle­n.

Am 12. Mai 2018

ist Premiere. Das würde bei mir gröbere Panikattac­ken auslösen, wenn ich die Hauptfigur des Stücks nicht verstehen kann. Momente der Panik habe ich täglich (lacht). Und es tauchen auch bei „Samson et Dalila“immer neue Fragen auf. Auch jetzt. Welche denn? Saint-Saens¨ Oper heißt „Samson und Dalila“. Samson gilt immer als der Held und steht in den allermeist­en Inszenieru­ngen im Vordergrun­d. Mich aber fasziniert Dalila genauso sehr. Ist sie wirklich nur die böse Rächerin und ein Werkzeug ihres Volkes? Oder ist sie zerrissen und hat ein Herz? Und hat sie eines? Für mich hat sie eines, ja. Sie haben schon öfter Opern inszeniert. Hat der Regisseur dabei weniger Freiheiten als beim Schauspiel? Ja, beim Schauspiel entscheide ich durch die Art und Weise, wie ich einen Text sagen lasse, ob der Satz „Ich liebe dich“gelogen oder wahrhaftig ist. In der Oper trifft die Musik die Entscheidu­ng. Aber anders als viele Regisseure habe ich damit nicht das Gefühl beschnitte­n zu werden, sondern in ihr einen Partner zu haben. Die Musik gibt Sicherheit, sie funktionie­rt immer. Denn traditione­llen Kampf Regisseur gegen Dirigenten führen Sie demnach nicht? Ich bin nur am Theater, weil ich mit Menschen zusammenar­beiten will, sonst hätte ich mir ein anderes Metier gesucht. Ich glaube, das größtmögli­che Kunstwerk schaffen wir nur dann, wenn es alle Menschen, die daran beteiligt sind, mittragen. Wegen irgendwelc­her Oberflächl­ichkeiten in Konflikt zu gehen, hilft dem Projekt nicht. Ich habe den Eindruck, dass Sie seit der Ent- lassung Ihres Mannes als Burgtheate­r-Direktor deutlich mehr arbeiten. Stimmt das? Das ist so, und dafür gibt es zwei Gründe. Unsere drei Kinder werden älter. Nachdem mein Mann als Burgtheate­rDirektor 20 Stunden am Tag gearbeitet hat, hatten wir die Verabredun­g, dass ich nicht mehr als zwei Produktion­en im Jahr mache. Nun brauchen sie keine 24-Stunden-Betreuung mehr, und ihre Freunde sind derzeit sogar wichtiger als ich. Und natürlich verbringt Matthias nun mehr Zeit zu Hause. Und wirtschaft­lich war Ihr Beitrag sicher auch wichtig. Zumindest habe ich mir dreimal überlegt, welchen Beitrag ich leisten kann. Es gab Phasen, in denen ich nur eines sicher wusste, nämlich, dass meine Produktion am Theater in der Josefstadt stattfinde­n wird. Als freier Regisseur arbeitet man von Produktion zu Produktion. Hatten Sie früher das Gefühl, beruflich im Schatten Ihres Mannes zu stehen? Ich denke schon, gerade in Österreich, weil hier Theater einen sehr hohen Stellenwer­t hat und durch die Funktion meines Mannes als Burgtheate­r-Direktor. Ich habe immer gedacht, dass ich doppelt so gut sein muss wie andere, um mich zu beweisen. Es war also nicht unbedingt ein Vorteil. Sie machen interessan­te Projekte, die auch für Ihren Mann als Regisseur reizvoll wären. Kann er sich über Ihren Erfolg freuen? Mein Mann ist ein sensatione­ller Regisseur, den ich für so vieles so bewundere und schätze. Er freut sich natürlich, auch wenn es ihm leichter fällt, es anderen zu sagen als mir direkt. Aber er sieht einfach, wenn etwas gut ist. Ich habe in ihm den größten Kritiker und auch jemanden, der sich über Gelungenes am meisten freuen kann. . . . ob Sie musikalisc­h sind? Ich kann Noten und Partituren problemlos lesen. Nur kann ich leider meine Stimme nicht als Instrument einsetzen. Mein Mann kann immer sofort alles mitsingen, nachsingen, eine zweite Stimme erfinden. Darum beneide ich ihn. . . . ob Sie manchmal stolz auf sich sind? Ich weiß nicht. Ich empfinde manchmal Momente des Glücks, das schon. Es gibt nichts Schöneres als eine Probe, bei der etwas weitergega­ngen ist – und nichts Frustriere­nderes, als an einer Aufgabe zu scheitern. . . . ob Sie in Zeiten vor Premieren gut schlafen können? Mal so, mal so. Manchmal kann ich vor Erschöpfun­g wunderbar schlafen oder vor Aufregung gar nicht. Suchen Sie seinen Rat? Bei Inszenieru­ngen kann man sich nur schwer einen Rat holen, weil es doch immer etwas ganz Eigenes ist. Wie sehr lassen Sie Ihre Kinder an Ihrer Arbeit teilhaben? Je älter sie werden, umso mehr. Ich versuche immer, dass sie eine der Endproben sehen können. Das ist schön, weil sie dann darüber reden wollen. Bei der Premiere habe ich sie nicht gern dabei, weil ich sie vor dieser verführeri­schen Welt schützen will. Wird sie dann nicht noch interessan­ter? Kann sein, aber mein Bedürfnis ist es momentan, sie davor zu beschützen. Was ist an dieser Welt so verführeri­sch? Für Kinder ist eine Außenwirku­ng, eine Öffentlich­keit, ein Wahrgenomm­enwerden, etwas, was einen Reiz hat. Und es sind auch alle rundherum aufgeregt, das überträgt sich auf sie. Wollen Sie eigentlich einmal die Intendanz eines Hauses übernehmen? Nein, niemals. Wollten Sie das nie oder erst, seitdem die Intendanz Ihres Mannes jäh geendet hat? Vielleicht wurde ich durch das, was ihm passiert ist, darin bestärkt. Ich übernehme gern die künstleris­che Verantwort­ung für überschaub­are Gruppen. Aber ich möchte es nicht für so viel verschiede­ne Bereiche tun müssen: das Haus führen, dem künstleris­chen Anspruch gerecht werden, für das Auskommen aller Mitarbeite­r zuständig sein. Und dann gibt es auch noch budgetäre und politische Themen. Das sind mir zu viele Baustellen, ich arbeite gern partieller, tue da alles, was mir möglich ist – und gebe die Verantwort­ung dann auch gern wieder ab.

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Katharina F.-Roßboth Lang ist die Regisseuri­n Alexandra Liedtke im Schatten ihres Mannes, Matthias Hartmann, gestanden.
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