Wie Beton Monster schuf und zum
Eine großartige Erfindung der Menschheit ist zu Unrecht in Verruf: der Beton und die Architekturexperimente, die er ermöglicht. Über die Beduinen als Pioniere, ein Monster im alten Rom – und warum hauchzarte Betonbauten eine Sache des Klimas sind.
SOS Brutalismus. Rettet die Betonmonster!“, lautet der bewusst provokante Titel einer Ausstellung, die kommenden Mittwoch im Architekturzentrum Wien eröffnet und dazu auffordert, eine bestimmte Epoche der Architektur genauer zu betrachten, neu zu bewerten und möglicherweise ins Herz zu schließen. Die im Fokus stehenden Gebäude sind durchwegs mächtige Gebilde mit gewaltigen Kubaturen und rauen, nackten Oberflächen. Sie stammen aus den 1950er- bis 1970erJahren und sind allesamt aus einem Material geformt, das von den einen geliebt, den anderen gehasst wird, jedoch abseits jeder „Ismen“und architektonischen Epochenlehren eine der wichtigsten und interessantesten Erfindungen der Menschheitsgeschichte darstellt: Beton.
Architektur, behauptete der deutsche Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling 1802 in seinen Vorlesungen, sei nichts anderes als „gefrorene Musik“. So wie Kompositionen aus Tönen bestehen, so komponiert auch die Architektur, doch eben mit Materialien und Formen. Die Zutaten bleiben dieselben, und da wie dort kommt es allein darauf an, was man daraus macht: Wohltönendes oder Geklimper. Dem Beton schreibt man eher abschätzig die Dissonanz zu. Ein grobes Vorurteil – weshalb die Schau zum Anlass genommen werden darf, das Image des in Form gegossenen Kunststeins ins rechte Licht zu rücken. Ist Beton dissonant? Doch erst zur Geschichte der gebrannten, vermahlenen und schließlich mit Wasser zu aushärtendem Mörtel verarbeiteten Mineralien und Gesteine – das Grundprinzip jedes Betons. Die datiert tatsächlich zurück bis in das siebente Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung. In dieser Zeit entdeckten die Beduinen des Grenzgebiets zwischen dem heutigen Syrien und Jordanien, dass sich gewisse, mit etwas Wasser vermengte Kalke hervorragend dazu eigneten, Oberflächen zu härten und zu versiegeln. Sie kleideten mit dem Material etwa Zisternen aus, verwendeten es für Böden und Putze.
Ab 600 v. Chr. mischten griechische Konstrukteure vermahlenen Puzzolan zum Kalk, was die Härte des noch primitiven Betons erhöhte. Doch erst die technisch hochversierten Römer begannen die Möglichkeiten des Materials tatsächlich auszuschöpfen. Das erste „Betonmonster“der Menschheitsgeschichte befindet sich denn auch in der Ewigen Stadt Rom. Das Pantheon ist die bis heute größte je gebaute, nicht mit Stahl verstärkte Betonkuppel, von 16 mächtigen Betonpfeilern getragen, ein raffiniertes, knapp 2000 Jahre altes Wunderwerk früher Ingenieurskunst.
Nach dem Zerfall des Römischen Imperiums geriet die Kunst des Betonierens erstaunlicherweise in Vergessenheit und lebte erst wieder auf, als die Bücherjäger der heraufdämmernden Renaissance in klösterlichen Bibliotheken antike Schriften ausgruben, in denen Prozess und Rezepturen des Mineralienmischens erklärt wurden. 1793 erfand schließlich der Brite John Smeaton eine Art wasserfesten Mörtel, der als erste Form des modernen Zements betrachtet werden kann.
Als ab dem späten 19. Jahrhundert schließlich der mit Stahl verstärkte Beton in der Baukunst Einzug hielt, begann die Angelegenheit symphonische Dimensionen anzunehmen. Beton übernimmt die Druck-, Stahl die Zugkräfte in der Konstruktion – eine geniale Ergänzung. Gemeinsam bilden sie einen architektonischen Akkord, aus dem sich ungeahnte Möglichkeiten der Formgebung komponieren ließen.
Als erste Hoch-Zeit der Betonarchitektur kann die Moderne betrachtet werden. Architekten wie Frank Lloyd Wright, Peter Behrens oder Ludwig Mies van der Rohe reizten die Möglichkeiten des Stahlbetons bereits mächtig aus. Doch keiner ging damit gewagter und ungenierter um als Edouard Jeanneret, bekannt geworden unter dem Namen Le Corbusier.
Nach dem Untergang Roms vergaß das Abendland die Kunst des Betonierens.
Seine 1952 fertiggestellte MegaSiedlung Unite´ d’Habitation in Marseille gilt heute als erstes brutalistisches Gebäude, wobei die Übergänge zwischen Moderne, Brutalismus und anderen Ismen naturgemäß verschwimmen. Dennoch kann Le Corbusier getrost als wesentlichster Ahnherr der nackten, rohen Betonmonster und damit des sogenannten Brutalismus herangezogen werden. Seine wie Skulpturen in die Stadträume gestellten Architekturen beeinflussten jedenfalls die Architekturszene weltweit, wie beispielsweise die wesentlich leichtfüßigere lateinamerikanische Betonmoderne.
Als sich etwa die junge, aufstrebende Republik Brasilien ein neues, zeitgemäßes Architekturgesicht verpassen