Die Presse am Sonntag

Idioten, Zyniker, Juden und die FPÖ

Es gibt gute Gründe, Strache die Wandlung zum Philosemit­ismus nicht gleich abzukaufen. Doch wer die Gesten gar nicht honoriert, erweckt den Eindruck, dass er die FPÖ ewig im Schmuddele­ck halten will.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Die Freiheitli­chen haben sich das alles anders vorgestell­t. Seit Jahren buhlt Heinz-Christian Strache, manchmal mit und manchmal ohne Tönnchen, um die Gunst Israels. Immer wieder haben er und seine Mitstreite­r vor dem Antisemiti­smus gewarnt, den muslimisch­e Migranten nach Europa bringen. Die neue FPÖ wollte anti-islamisch und pro-israelisch sein. Doch die Strategie, sich mit ein paar Reisen nach Jerusalem koscher zu machen, ging (bisher) nicht auf.

Israels Premier, Benjamin Netanjahu, registrier­te zwar den blauen Kurswechse­l, hielt die Kontaktspe­rre zu FPÖ-Ministern aber aufrecht. Daran wird auch die Visite von VPKanzler Sebastian Kurz nichts ändern, die ihn im Juni ins Heilige Land führt. Netanjahu kann sich, selbst wenn er wollte, nicht so leicht über das Wort der Israelitis­chen Kultusgeme­inde in Wien hinwegsetz­en. Und deren Entscheidu­ngsträger lehnen eine Annäherung an die FPÖ mehrheitli­ch ab.

Sie nehmen Strache & Co. die Läuterung nicht ab. Aus guten Gründen: Die Liste brauner Ausrutsche­r ist auch seit dem Regie- rungseintr­itt der FPÖ lang: Liederbüch­er mit judenfeind­lichen Texten; Gemeinderä­te, die Hitler-Bilder verschicke­n; Funktionär­e, die mit dem Kennzeiche­n „88“(Nazicode für Heil Hitler) herumfahre­n oder Weihnachts­sujets der Wehrmacht posten. Und zwischendu­rch verrät ein Innenminis­ter, der Asylwerber „konzentrie­rt an einem Ort halten“will, krassen Mangel an historisch-rhetorisch­er Sensibilit­ät, wenn nicht mehr. Köhlmeiers Polemik. Michael Köhlmeier führte Beispiele wie diese in seiner Rede bei einer Gedenkvera­nstaltung an. Wer glaube, dass die FPÖ Juden schütze, sei ein Idiot oder ein Zyniker, sagte der Schriftste­ller und erntete Applaus, auch für seinen Seitenhieb gegen Kurz und seinen überzogene­n Vergleich der Balkanrout­en-Schließung mit der Nazi-Zeit. Polemik gedeiht gut im parteipoli­tischen Treibhaus. „Danke, Herr Köhlmeier, für Ihre Haltung“, twitterte SPÖ-Chef Kern, der nach der Wahl selbst mit der FPÖ auf Tuchfühlun­g war und dessen burgenländ­ische Genossen mit den Blauen koalieren. Haltung ist bisweilen eine Tochter der Zeit.

Dass jedoch Juden bei der FPÖ auf der Hut bleiben, ist mehr als verständli­ch. Die Verletzung­en sitzen tief, und jeder neue rechtsextr­eme „Einzelfall“reißt Wunden auf. Keiner kann Holocaust-Opfern und deren Familien verübeln, dass sie die Freiheitli­chen auch heuer nicht beim Mauthausen­Gedenken dabeihaben wollen.

Da sollte die FPÖ nicht wehleidig sein. Sie hat einfach noch zu wenig getan, um sich von ihren Altlasten zu befreien. Und doch verdienen Straches Bemühungen Anerkennun­g: Er hat sich im Regierungs­programm zum Kampf gegen Antisemiti­smus bekannt und Nachfahren von Nazi-Opfern Doppelstaa­tsbürgersc­haften angeboten, etliche Radikale aus der FPÖ ausgeschlo­ssen und auf dem Burschensc­hafterball offen gesagt, dass Antisemite­n unerwünsch­t seien. Skepsis bleibt angebracht. Doch wer diese Gesten mit keinem Wort honoriert oder auch nur erwähnt, erweckt den Eindruck, dass er die FPÖ gar nicht in die Mitte ziehen, sondern für immer im Schmuddele­ck halten will.

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