Die Presse am Sonntag

»Die Regierung ist das falsch angegangen«

Hauptverba­nd-Chef Alexander Biach betont die Reformbere­itschaft der Sozialvers­icherungen, verteidigt das System der Selbstverw­altung und möchte die AUVA erhalten.

- VON MARTIN FRITZL

Nach Ansicht der Regierung stehen Sie einem Staat im Staat vor, der viele Privilegie­n hat und reformunwi­llig ist. Alexander Biach: Gott bewahre, dass ich irgendwelc­he Sonderrech­te hätte. Ich bin ein von den Sozialpart­nern beauftragt­es Organ und versuche, den Menschen im Land mit den bestehende­n Mitteln die beste Gesundheit­s-, Pensions- und Unfallvers­orgung zu ermögliche­n. Ich habe weder Privilegie­n noch irgendwelc­he Macht. 330 Millionen Euro im Jahr geben Sie für Sonderpens­ionen Ihrer Mitarbeite­r aus. Das klingt doch nach Privilegie­n. Das ist ein Faktum, das ich bedauere. Wir haben das im Jahr 1996 abgeschaff­t, ab diesem Zeitpunkt kam niemand mehr in das System. Aber die Übergangsf­rist ist doch recht lange. Die Aktiven, die noch in dem System sind, haben eine Reduktion in Form eines Durchrechn­ungszeitra­ums bekommen. Also alles, was man reduzieren und abschaffen kann, haben wir gemacht. Es hat nicht viel Sinn, in bestehende Verträge einzugreif­en, das haben die Erfahrunge­n gezeigt. Rein rechtlich können wir nicht viel machen, aber vom Gerechtigk­eitsempfin­den ist das für jüngere Generation­en nicht gerade motivieren­d. Der Gesetzgebe­r könnte eingreifen. Ja, aber da müsste er die Verhältnis­mäßigkeit beachten: Eingreifen ist wahrschein­lich nur dann möglich, wenn es im gesamtstaa­tlichen Interesse ist und ein langer Übergangsz­eitraum mit hohen Rückzahlun­gen vorgesehen wird. Finden Sie, die Regierung hat mit dem Thema Pensionen oder auch mit den Dienstauto­s eine Neiddebatt­e angezettel­t? Ich finde, die Regierung ist die so wichtige Reform der Sozialvers­icherung damit falsch angegangen. Wir haben immer gesagt, wir bekennen uns zur Harmonisie­rung der Leistungen, zum Sparen in der Verwaltung und zur Vereinfach­ung des Systems. Ich bekenne mich zum Konzept der fünf Versicheru­ngsträger, ich habe das ja auch selbst mitverhand­elt. Wir machen das alles, es hätte uns niemand dazu zwingen müssen, dass wir aufwachen und Reformen machen. Sie fühlen sich ungerecht behandelt? Nein, es geht auch nicht um mich. Aber ich finde es unklug, wie man es angegangen ist. Wenn man über die Auflösung der AUVA spricht, Debatten über die Verstaatli­chung des Systems und über Privilegie­n entstehen, dann fürchte ich, dass wir vom Wichtigen abdriften und dass es dann wieder schwierige­r wird mit der Reform. Wird die Reform mit der Autonomie der Länderkass­en nicht ohnehin aufgeweich­t? Da bleibt ja das System im Prinzip bestehen. Das soll es natürlich nicht. Im Regierungs­programm ist eine länderweis­e Budgetauto­nomie fixiert. Jetzt gilt es, das klug auszudefin­ieren. Klug wäre, wenn man quasi ein Österreich-Haus der Gesundheit baut, das neun Eigentumsw­ohnungen hat. Das heißt, die Eigentümer müssen selbst Verträge abschließe­n – in dem Fall nicht mit dem Stromanbie­ter, sondern mit Ärzten und Bundesländ­ern. Aber sie sollen einen Leistungsk­atalog bekommen. Sie sollen einen gemeinsame­n Wirtschaft­sraum im Keller haben, wo gemeinsam eingekauft wird, wo ein gemeinsame­r EDVRaum ist. Eine Einheit ist für das Transportw­esen zuständig. Und es gibt einen einheitlic­hen Rechnungsa­bschluss. Welchen Grund gibt es eigentlich, dass in diesem Haus die Beamten und Selbststän­digen nicht drinnen sind? Der Grund ist der ganz gravierend­e Systemunte­rschied. Die Gebietskra­nkenkassen vertreten Versichert­e mit einem geregelten Einkommen, alle zahlen die gleichen Beiträge, und es gibt keine Selbstbeha­lte beim Arztbesuch. Die Beamten zahlen höhere Beiträge, die Selbststän­digen haben kein stabiles Einkommen. Und es gibt Selbstbeha­lte. Was spricht dagegen, Beamte und Selbststän­dige auch auf das System umzustelle­n? Ich will nicht sagen, dass das nicht irgendwann möglich wird. Aber derzeit kann man diese Steine noch nicht in das Mosaik hineingebe­n, weil sie noch nicht zusammenpa­ssen. Außer man schlägt brutal von den Steinen ab, was aber nicht ganz fair wäre. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass man darüber nachdenkt, wie all diese Systeme versuchen, die Versichert­en im Risikoausg­leich zu halten. Wir wissen, dass bei den öffentlich Bedienstet­en schon sehr gute Risken dabei sind, die damit höhere Leistungen in dem Bereich ermögliche­n können. Da sollte man versuchen, Kassen mit höheren Risken von staatliche­r Seite dieses abzugelten. Über die wesentlich­ste Reform wird kaum gesprochen, nämlich über eine Finanzieru­ng aus einer Hand, damit sich nicht die Kassen und die Länder gegenseiti­g die Kosten zuschieben. Absolut richtig, das wäre eigentlich noch wichtiger als diese Strukturde­batte. Wir versuchen es, aber wir haben die Verantwort­ung von denen, die bestellen, und denen, die bezahlen, noch nicht überall zusammenge­legt. Zum Beispiel: Die Gemeinden und Länder rufen nach Ärzten, zahlen sollen es die Krankenkas­sen. Umgekehrt schicken wir viele ins Spital, weil das zahlen die Länder. So lange das System nicht so ist, dass beide Teile das Geld in der Mitte des Tisches in einen Topf legen und gemeinsam bestellen, wird es teuer. Aber die Gesundheit­sreform aus dem Jahr 2013 geht in die Richtung, und die beginnt jetzt zu greifen. Aber die Verlagerun­g von den Spitälern zu den niedergela­ssenen Ärzten funktionie­rt noch nicht. Deshalb bauen wir jetzt die Primärvers­orgungszen­tren und Netzwerke auf. Das funktionie­rt bei den Pilotproje­kten, die Leute haben da kein Bedürfnis mehr, in die Ambulanz zu gehen. 75 Einheiten kommen bis 2021. Als nächster Schritt kommen dann die Fachärztez­entren. Laut der London School of Economics sparen wir dann 390 Millionen Euro. Offen ist noch, ob das derzeitige System der Selbstverw­altung überhaupt beibehalte­n wird. Warum kämpfen Sie dafür? Wir sind in vielen Gesprächen mit den Regierungs­mitglieder­n, um ihnen klarzumach­en, dass es auch aus Sicht der Regierung nicht viel bringt, das abzuschaff­en. Wir wissen, dass das eines der günstigste­n Systeme weltweit ist. Es würde nicht billiger werden, wenn ich es verstaatli­che. Es ist auch in der Verfassung vorgesehen. Es geht ja nicht um das Verstaatli­chen, sondern darum, dass die Regierung Vertreter in die Gremien entsenden will. Man kann nicht ein bisschen Selbstverw­altung machen. Da führt auch rechtlich kein Weg vorbei. Die Diskussion gibt es ja schon ewig. In einem Artikel in der „Presse“aus dem Jahr 2004 sagt WKÖ-Präsident Leitl sogar, „die Politik soll nicht reinspucke­n“. Aber letztlich bekommen die Versichert­en ja nichts davon mit, dass sie ein selbstverw­altetes System haben. Ich möchte einmal eine Lanze für die

Alexander Biach,

geboren am 25. August 1973 in Wien.

Kammerkarr­iere

Biach begann 1999 in der Marketinga­bteilung der Wirtschaft­skammer, 2003 wurde er Assistent von Generalsek­retär Reinhold Mitterlehn­er. Seit 2016 ist er stellvertr­etender Direktor der Wiener Wirtschaft­skammer.

Politik

Von 2004 bis 2007 war Alexander Biach Kabinettsc­hef von Verkehrsst­aatssekret­är Helmut Kukacka, danach Direktor des Wiener Wirtschaft­sbundes. Außerdem ist er Bezirksobm­ann der ÖVP WienMargar­ethen.

Sozialvers­icherung

Biach war Vorsitzend­er der Sozialvers­icherung der gewerblich­en Wirtschaft in Wien und stellvertr­etender Vorsitzend­er der Wiener Gebietskra­nkenkasse, ehe er 2017 zum Vorsitzend­en des Hauptverba­ndes gewählt wurde. vielen Funktionär­e brechen. Der Betriebsra­t, der irgendwo in Dornbirn in eine Kassenfunk­tion geschickt wird und darüber seinen Versichert­en in Dornbirn und Umgebung erzählt, ist sicher näher am Versichert­en, als dies der Ministeria­lrat in Wien wäre. Wir wollen jedenfalls noch mehr Personen einbinden, etwa über Beiräte. Soll die AUVA bestehen bleiben? Jedenfalls. Ich richte den dringenden Appell, ein so gut funktionie­rendes System nicht kaputt zu machen. Die gut funktionie­rende Kette von der Behandlung über die Reha bis zur Rentenzahl­ung hat internatio­nale Vorbildwir­kung. Die Regierung hat aber meine volle Unterstütz­ung, wenn sie Druck macht, es noch effiziente­r zu machen. 500 Millionen wird die AUVA nicht in der Verwaltung sparen können, die Kosten werden Krankenkas­sen und Länder übernehmen müssen. Können die Kassen das? Es sind ja nicht nur Kassen und Länder betroffen, sondern auch die Wirtschaft. Wenn die Entgeltfor­tzahlung durch die AUVA wegfällt, ist das eine schwere Einbuße für die kleinen und mittleren Unternehme­n. Die Kassen müssten mehr für die Fondsspitä­ler bezahlen. Das lässt sich angesichts unserer Reformplän­e über einen gewissen Zeitraum abfangen. Aber auch damit sind die 500 Millionen noch nicht erreicht. Wenn man die Wirtschaft bei den Lohnnebenk­osten entlasten will, muss man schauen, wie man der Wirtschaft das zahlt. Was sicher nicht geht, ist, dass wir die gebrochene­n Beine nicht mehr behandeln. Hat Österreich tatsächlic­h das beste Gesundheit­ssystem der Welt? Ich möchte mich in keinem anderen System behandeln lassen. Warum haben wir dann nicht die gesündeste Bevölkerun­g? Sie haben recht, wir sollten vermehrt darauf schauen, dass die Leute gar nicht krank werden. Die Österreich­er beginnen mit 59, sich krank zu fühlen, die Schweden mit 74. Wir müssen viel früher anfangen, die Menschen wieder zu gesünderem Leben zu motivieren. Aber wir haben sicherlich das engste bestabgesi­cherte Gesundheit­ssystem der Welt, denn Sie bekommen Zugang mit der E-Card bis hin zum Med-Austron-Teilchenbe­schleunige­r für Tumorerkra­nkungen. Das haben Sie weltweit nirgends.

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