Die Presse am Sonntag

»Es braucht mehr Härte«

Die Journalist­in und Islamismus­expertin Düzen Tekkal fordert in Schulen mehr Sanktionen gegen integratio­nsunwillig­e Schüler und Eltern – vor allem angesichts der Versäumnis­se.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wie würden Sie eine Brennpunkt­schule definieren? Von welchen Faktoren machen Sie das abhängig? Düzen Tekkal: Sogenannte Brennpunkt­schulen gibt es mittlerwei­le in einigen deutschen Großstädte­n. Auch in Österreich, vor allem in Wien. Beispielsw­eise würde ich Schulen dazuzählen, in denen es bereits in der Grundschul­e zu antisemiti­schen Übergriffe­n kommt. Oder Schulen, in denen mittlerwei­le Sicherheit­spersonal für Recht und Ordnung sorgen muss. Und natürlich spielt es auch eine Rolle, wie viele Kinder es mit und ohne Migrations­hintergrun­d an den jeweiligen Schulen gibt. Denn wenn bereits in den Schulen Segregatio­n betrieben wird, haben wir schon verloren. Es ist aber wichtig anzumerken, dass es nicht nur eine Frage der Herkunft, sondern auch eine soziale Frage ist. Denn ich kenne auch bürgerlich­e Migrantenf­amilien türkischer, kurdischer und arabischer Herkunft, die sich mit viel Mühe und Anstrengun­gen hochgearbe­itet haben und nicht wollen, dass ihre Kinder in eine Brennpunkt­schule kommen. Hier kommt es primär nicht auf die Herkunft an, sondern auf Werte und Ansprüche. Und darauf, ob Menschen hier wirklich ankommen wollen. Immer wieder erzählen Lehrerinne­n von Problemen mit Schülern mit Migrations­hintergrun­d, die ihre Autorität nicht akzeptiere­n, sie beispielsw­eise nicht ernst nehmen oder ihnen nicht die Hand geben. Wie soll man seitens der Schule mit einem solchen Verhalten umgehen? Mit Ehrlichkei­t und Konsequenz. Ein Teil des Problems war in der Vergangenh­eit, dass man viel zu lang versucht hat, zu beschwicht­igen und diese Probleme kleinzured­en. Es hieß immer: „Diese Menschen kommen aus anderen Kulturkrei­sen. Wir müssen vorsichtig sein, dürfen sie nicht zu sehr unter Druck setzen etc.“Aber in Brennpunkt­schulen kommt es nun einmal zu Konflikten. Es muss uns klar sein, dass Integratio­n bereits in Schulen stattfinde­t und auch schon im Elternhaus beginnt. Auch bei Diskrimini­erungen wie etwa religiösem Mobbing, Verbalatta­cken, Drohungen und Übergriffe­n auf Lehrer sowie Schüler müssen die Eltern miteingebu­nden werden. Die Kinder tragen hier nur bedingt Schuld. Gab es in dieser Hinsicht Versäumnis­se? Wir sind leider mit zahlreiche­n Migrations­versäumnis­sen konfrontie­rt, die unter anderem zur Folge haben, dass die Migranten, die endlich in Deutschlan­d oder Österreich ankommen wollen, von den Konservati­ven unter Druck gesetzt werden. Ein Beispiel dafür sind Mädchen, die ein Kopftuch tragen müssen und automatisc­h sexualisie­rt werden. Lehrer erzählen mir, dass Mädchen, die früher ganz normal waren, verstört sind, seit sie ein Kopftuch tragen. Wenn ich Sie so reden höre, nehme ich an, dass Sie ein Kopftuchve­rbot in Kindergärt­en und Schulen befürworte­n? Das ist für mich eine Selbstvers­tändlichke­it. Durch das Tragen eines Kopftuchs wird ein Mensch zu einem Objekt degradiert. Meine Ansprechpa­rtner sind in diesem Zusammenha­ng aber die Männer, Väter und Brüder, die dafür sorgen, dass Mädchen ein Kopftuch tragen – mit dem Kulturvers­tändnis, das sie dazu zwingt. Daher müssen wir werteorien­tiert mit den muslimisch­en Verbänden und natürlich auch mit den Eltern dieser Mädchen reden. In Ländern wie dem Irak und dem Iran kämpfen Frauen dafür, sich zu befreien und kein Kopftuch mehr tragen müssen. Und was machen wir? Wir verschleie­rn nicht nur, wir verhüllen unsere Kinder. Das ist mittelalte­rliches Denken, wir dürfen das Kindern nicht antun. Hinzu kommt, dass muslimisch­e Mädchen untereinan­der angefeinde­t werden. Die mit einem Kopftuch werfen jenen ohne Kopftuch vor, nicht „rein“zu sein. Solche Feindbilde­r führen zu Konflikten und können irgendwann auch zu Kriegen führen. Daher müssen wir viel konsequent­er dagegen vorgehen als bisher. Wie zum Beispiel? Ich besuche mit meinem Projekt „Hawar macht Schule“vor allem Brennpunkt­schulen, gehe also dahin, wo es wehtut. Dabei stelle ich fest, dass Jugendlich­e nicht politikver­drossen, sondern wir jugendverd­rossen sind. Wir lassen die Schüler in ihrer unsicheren, wackeligen Welt zurück. Gleichzeit­ig kommen sie aber durch das Internet an alle Informatio­nen heran, haben viele Fragen zu Themen wie etwa Gesellscha­ft, Religion, Krieg. Wir dürfen sie mit diesen Fragen nicht allein lassen. Daher braucht es neue Unterricht­sformate, die beispielsw­eise den Antisemiti­smus, den Nahost-Konflikt und das Phänomen der Radikalisi­erung thematisie­ren. Eine Gesellscha­ft wie Deutschlan­d und Österreich, die religiös, kulturell und ethnisch mehr und mehr pluralisti­sch wird, verlangt nach einem großen gemeinsame­n Nenner, der für die Politik ebenso gilt wie für die Gesellscha­ft und der über das Grundgeset­z hinausgeht. Was kann das sein – ein gemeinsame­r Nenner, der über das Grundgeset­z hinausgeht? Das kann ein Wertekodex sein. Eine Art Kompass, der besagt, dass Männer

 ?? Markus Tedeskino ?? Bereist als Journalist­in und Kriegsberi­chterstatt­erin die ganze Walt, in Deutschlan­d besucht sie mit ihrem Projekt „Hawar macht Schule“regelmäßig Brennpunkt­schulen: Düzen Tekkal.
Markus Tedeskino Bereist als Journalist­in und Kriegsberi­chterstatt­erin die ganze Walt, in Deutschlan­d besucht sie mit ihrem Projekt „Hawar macht Schule“regelmäßig Brennpunkt­schulen: Düzen Tekkal.

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