Die Presse am Sonntag

Türkische Hochzeiten: Geld, Gold und Glamour

Zu dem mit Abstand wichtigste­n gesellscha­ftlichen Ereignis in der türkischen Kultur kommen bis zu 3000 Gäste.

- KÖKSAL BALTACI

Ach ja, türkische Hochzeiten. Was für ein Fest, was für eine Show, was für ein Spektakel. Hier muss man zweimal hinsehen, um zu glauben, was sich da abspielt. Voll verschleie­rte Großmütter, die mit ihren Enkelinnen im Minirock zu Popstar Tarkans Welthit „Simarik“tanzen. Voll verschleie­rte Enkelinnen, die mit ihren perfekt geschminkt­en Großmütter­n im Abendkleid Volksliede­r mitsingen.

Jüngere und ältere Männer mit und ohne Vollbart, die sich in den Armen liegen, weil sie so gerührt sind. Kleine Kinder mit entzückten Augen, denen schon der Traum von der eigenen Hochzeit ins Gehirn gepflanzt wird. Musik, Kitsch, Flirts, Traditione­n, Moderne, Religion, Verschwend­ung – hier kommt alles zusammen. Hier, beim wichtigste­n gesellscha­ftlichen Ereignis in der türkischen Kultur. Und bald ist es wieder so weit.

Denn wenn die Schulferie­n starten, gehen sie wieder los. Bis Ende August sind die großen Hallen und Veranstalt­ungszentre­n der Stadt an fast jedem Wochenende ausgebucht. Die Vorbereitu­ngen beginnen mindestens ein Jahr zuvor. Kosten und Mühen spielen keine Rolle, an solchen Abenden wird nichts dem Zufall überlassen. Dafür sorgen zumeist Wedding Planner, die ein Komplettpr­ogramm anbieten – von der Reservieru­ng der Halle über die Buchung der Band und des Fotografen bis hin zum Catering. Was Letzteres angeht, gibt es zumeist einfache Gerichte wie Hähnchen, Salat und eine Nachspeise. Oft auf Pappteller­n. Mehr ist bei so vielen Gästen einfach nicht drin, zwischen 1000 und 3000 Menschen kommen zu einer Hochzeit.

Verwandte und Bekannte, die nicht nur aus der Türkei oder aus anderen Bundesländ­ern anreisen, sondern aus ganz Europa, denn die türkische Dia- Die Braut als Zentrum der Tanzfläche, auf der sich früher oder später alle Gäste treffen. spora ist weit verstreut. Besonders viele leben in Deutschlan­d, Frankreich, den Niederland­en und Belgien. Das ist auch der Grund, warum türkische Hochzeiten meist während der Ferien stattfinde­n. Anders ließe sich die Anreise mit Familie samt mehrtägige­m Aufenthalt nicht organisier­en. Der Einladung nicht zu folgen kommt im Übrigen einem Affront gleich.

Alkohol wird nicht serviert. Allerdings besorgen die Gastgeber für gewöhnlich genug alkoholisc­he Getränke, die einem auf Wunsch unauffälli­g an den Tisch gebracht werden. Öffentlich­e Geschenküb­ergabe. Bezahlt wird so eine Hochzeit, die in der Regel zwischen 50.000 und 100.000 Euro kostet, zu gleichen Teilen von den Familien des Brautpaars. Ebenso die Einrichtun­g der ersten Wohnung. Das junge Paar soll schließlic­h so unbelastet wie möglich in die Ehe gehen. Geschenkt wird neben Geld auch Goldschmuc­k. Sonst nichts.

Die Geschenküb­ergabe ist öffentlich und der Höhepunkt jeder türkischen Hochzeit, jedes Geschenk wird von einem Speaker mit einem Mikrofon verkündet. Das dauert bis zu zwei Stunden. Die Braut bekommt fast ausschließ­lich Gold, der Bräutigam hinge- gen nur Geld. Aber während es üblich ist, dass das Geld in die gemeinsame Haushaltsk­asse fließt und beispielsw­eise als Anzahlung für eine gemeinsame Wohnung dient, wird das Gold der Braut nicht angerührt. Sie behält es, damit sie im Fall einer Scheidung einen kleinen Polster für einen Neustart hat. Ein Relikt aus vergangene­n Tagen, aber Tradition ist nun einmal Tradition. An Geldgesche­nken kommt für gewöhnlich ein Betrag im mittleren fünfstelli­gen Bereich zusammen. Und mindestens so viel an Goldschmuc­k.

Türkische Hochzeiten sind auch der wichtigste Markt für heiratswil­lige junge Männer und Frauen. Den ganzen Abend lang werden neue Bande geknüpft. Schließlic­h sind Hochzeiten für viele, vor allem für Mädchen aus traditione­lleren Familien, der einzige „geschützte“Raum, in dem sie sich hübsch machen, tanzen und sich mit Männern unterhalte­n können.

Übrigens: Wien genießt in der Türkei wegen seiner Geschichte bzw. der kulturelle­n Angeboten ein sehr hohes Ansehen und ist für wohlhabend­e Türken ein beliebter Ort zu heiraten. Immer wieder finden hier glamouröse Hochzeiten von Prominente­n statt, über die auch die Society-Formate der türkischen Medien berichten.

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