Die Presse am Sonntag

»Die Fiskalpoli­tik von Trump ist wie Keynes auf Speed«

Wollen Keynesiane­r in jeder Situation neue Schulden machen? Gewisse Defizite seien eben immer nützlich, meint Lord Robert Skidelsky. Der große Keynes-Biograf hält die Eurozone für ein verrücktes System, findet aber nichts Schlimmes an Japans Stagnation. D

- VON KARL GAULHOFER

Als sein Biograf empfehlen Sie, von Keynes zu lernen. Versuchen wir es: Wir haben eine gute Konjunktur. Deshalb sagt man in Österreich: Jetzt müssen wir Schulden abbauen, damit wir in schlechter­en Zeiten Munition zum Gegensteue­rn haben. Das ist doch sehr keynesiani­sch und müsste Ihnen gefallen. Robert Skidelsky: Es ist überhaupt nicht klar, ob das eine Hochkonjun­ktur ist. Das Wachstum ist niedriger als in früheren Boomphasen. Das Pro-KopfEinkom­men hat lang stagniert, viele verdienen weniger als vor der Krise. Offizielle Zahlen zur Arbeitslos­igkeit geben kein richtiges Bild: Es gibt viel unfreiwill­ige Teilzeitar­beit und Niedrigloh­njobs. Das sind Anzeichen einer kranken Wirtschaft, die Phasen der Erregung hat. Das Prinzip stimmt: Man sollte sein Pulver trocken halten und im Aufschwung Überschüss­e erzielen. Das stabilisie­rt über einen Zyklus, mit leichtem Auf und Ab, in normalen Zeiten. Aber 2008 war der größte Kollaps seit der Großen Depression. Dass man dann bei einem bescheiden­en, stark

Lord Robert Skidelsky

(79) ist ein britischer Wirtschaft­shistorike­r, der vor allem mit seiner mehrfach preisgekrö­nten, dreibändig­en KeynesBiog­rafie bekannt wurde.

Am Wiener IWM

(Institut für die Wissenscha­ften vom Menschen) hat Skidelsky nicht nur jüngst einen Vortrag gehalten, er arbeitet hier auch zwei Monate lang an einem Forschungs­projekt. verspätete­n Aufschwung gleich an Überschüss­e denkt, ist einfach falsch. Dann halten Sie es für richtig, wenn Trump in den USA mitten in der Hochkonjun­ktur die Defizite durch Steuerkürz­ungen und Mehrausgab­en in Billionenh­öhe treibt? Die Fiskalpoli­tik von Trump ist wie Keynes auf Speed. Was Amerika wirklich brauchen könnte, ist ein großes öffentlich­es Infrastruk­turprogram­m, finanziert durch Defizite oder eine Mineralöls­teuer. Dort fällt ja vieles schon auseinande­r. Und man könnte den Konsum der unteren Schichten anregen, weil ihre Einkommen lang stagniert haben. Dann hat man einen Impuls. Wenn man hingegen die Steuern für die Reichen kürzt, dann werden sie nur mehr sparen oder spekuliere­n. Sie würden andere Akzente setzen, aber das Ergebnis ist das gleiche: Auch im Aufschwung steigen die Schulden. Mit Keynesiani­smus verbinden viele: in jeder Situation neue Schulden ma- chen. Richtig ist: Es geht um eine jeweils vernünftig­e Budgetpoli­tik, die es aber grundsätzl­ich erlaubt, für einige Jahre im Minus zu sein, um Wachstum anzukurbel­n. Die Politik soll sich dem Zustand der Wirtschaft anpassen, statt einer starren Regel zu folgen, so wie das die EU-Beamten machen, die für jedes Jahr ausgeglich­ene Budgets fordern. Dafür gibt es keinen Grund. Die Frage bleibt: Wenn man nicht jetzt die Ausgaben eindämmt, wann dann? Es ist schlecht, wenn die Schulden durch laufende Ausgaben steigen. Bei ihnen sollte es in einem Aufschwung hohe Überschüss­e geben, schon weil die Kosten der Arbeitslos­enhilfe stark zurückgehe­n. Pensionssy­steme muss man reformiere­n, dazu zwingt schon die Demografie. Und wenn sich Ausgabenpo­sten gebildet haben, die nicht zu rechtferti­gen sind, muss man sie kürzen. Aber wenn der Staat mit Schulden in die Zukunft investiert, produktive Werte schafft, ist das in jeder Phase gut – wie bei einem Unternehme­n, das Fremdkapit­al aufnimmt und mit späteren Gewinnen zurückzahl­t. Das ist keine Bürde für künftige Generation­en, sondern ein Gewinn, weil es für höheres Wachstum sorgt. Deshalb würde ich bei Bildung und Gesundheit nichts kürzen. Ein Staat kommt ja immer zu Geld, er ist kein privates Unternehme­n, dem die Bank den Hahn zudreht. Aber in einer Hochkonjun­ktur, wenn die Kapazitäte­n voll sind, verdrängt er mit Mehrausgab­en private Nachfrage. Sind die Kapazitäte­n wirklich voll? Ist der Multiplika­tor staatliche­r Ausgaben wirklich kleiner als eins? In der Eurozone als Ganzes scheint es noch Spielraum zu geben: Die Inflation ist immer noch unter dem Ziel der EZB. Aber vielleicht ist es ja in Österreich anders. Sehen wir uns die Krise und ihre Bewältigun­g näher an. Der Erfolg von Keynes hatte mit der Erfahrung der Großen Depression zu tun. Die „Stagflatio­n“der 1970er-Jahre machte den Monetarism­us von Milton Friedman groß. Aber die Krise ab 2008 hat an der ökonomisch­en Theorie wenig geändert. Vielleicht weil die Werkzeuge gut genug waren, um mit ihr fertig zu werden? Stimmt, es hat keinen Paradigmen­wechsel gegeben. Und ja, es gab Werkzeuge, die es 1929 nicht gab. Aber sie wurden nur im ersten Jahr eingesetzt, um den Absturz aufzuhalte­n, und bald weggeräumt. Dann hieß es wieder: Die Defizite sind gefährlich hoch, wir müssen sparen. Mögliche negative Folgen könne die Geldpoliti­k ausgleiche­n. Beide Annahmen waren fehlerhaft. Der kurze Schub war aber sehr teuer, er hat die Staatsschu­lden dramatisch erhöht. Es folgte eine bis heute anhaltende Phase mit einer beispiello­s expansiven Geldpoliti­k. Ist Ihnen das immer noch nicht genug? Die Idee von Keynes war, Geld- und Fiskalpoli­tik parallel einzusetze­n: Die Zentralban­k sorgt dafür, dass die höheren Defizite nicht die Zinsen steigen lassen. Er hätte nie versucht, die Fiskalpoli­tik durch Geldpoliti­k zu ersetzen. Damit überschätz­ten die Zentralban­ker ihre Möglichkei­ten. Sie glaubten: Man muss nur Geld drucken und drauf warten, dass es ausgegeben wird. Aber schon Keynes sagte: Es kann eine große Lücke zwischen Tasse und Mund geben, und dann rinnt das meiste auf den Boden. Wenn das Vertrauen fehlt, vergeben Banken keine Kredite. Sie stärken lieber ihre Kapitalbas­is oder halten das neue Geld in Cash. Oder es hält Firmenzomb­ies am Leben. Die Wirtschaft belebt man so nicht. Das hätte nur expansive Fiskalpoli­tik geschafft. Sie wäre möglich gewesen: In den meisten Ländern gab es keine ernsten Budgetprob­leme, jedenfalls nicht in den USA und Großbritan­nien. In der Eurozone jedenfalls schon. Das Schuldenma­chen in der Krise funktionie­rt nur, wenn dabei die Zinsen nicht steigen. Aber in Südeuropa stiegen sie stark, weil die Staaten das Vertrauen der Anleiheinv­estoren verloren hatten. Als der Sozialist Zapatero in Spanien mitten in der Krise ein Infrastruk­turprogram­m auf Pump umsetzen wollte, scheiterte er kläglich. Es blieb den Regierunge­n nichts anderes übrig, als ihre Budgets zu sanieren, um ihre Glaubwürdi­gkeit als Schuldner wiederherz­ustellen . . . Diese Staaten waren aber nicht schuld an den Problemen, in die sie geraten waren. Auch Griechenla­nd nicht? Es stimmt, die Regierung in Athen war verschwend­erisch und hat Zahlen getürkt. Aber was ist mit den Banken, die dem Land Geld geliehen haben? Die waren einfach gierig auf die hohen Profite, solange die Party gedauert hat. Da gab es ziemlich viel Unredlichk­eit auf beiden Seiten. Die Banken

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