Die Presse am Sonntag

ROBERT SKIDELSKY

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schlimm ist, als die Zahlen nahelegen. Es gibt viel Schwarzarb­eit, die Jungen werden von ihren Familien unterstütz­t. So wie in Spanien. Wenn Sie einen durchschni­ttlichen Italiener fragen, ob er mit seiner wirtschaft­lichen Lage zufrieden ist, sagt er Nein. Wenn Sie einen typischen Spanier fragen, sagt er Ja. Spanien musste unter dem Druck fremder Investoren seine Finanzen sanieren und Strukturre­formen umsetzen – was Sie beides nicht mögen. Heute hat diese Volkswirts­chaft das höchste Wachstum in der Eurozone. Und den stärksten Rückgang bei der Arbeitslos­igkeit, wenn auch von einem sehr hohen Niveau. Vielleicht hat dort eine gute Kombinatio­n von Maßnahmen gewirkt. Ich habe nie an Patentlösu­ngen geglaubt. Gesellscha­ften sind sehr komplex. Dass man angebotsse­itig Reformen braucht, schließt nicht aus, dass man auch die Nachfrage stimuliere­n muss. Es ist die Tendenz des Entweder-oder, die falsch ist. Es ist immer leichter, Gewerkscha­ften zu Reformen zu überreden, wenn zugleich die Nachfrage brummt und es wenig Arbeitslos­e gibt. Natürlich sind viele Strukturre­formen in Europa notwendig. Was Macron in Frankreich intern macht, ist wichtig. Vielleicht waren es auch die Hartz-Reformen in Deutschlan­d. Die Deutschen haben in der Krise hohe Neuschulde­n in Kauf genommen, um fehlende private Nachfrage zu ersetzen, ganz im Sinn von Keynes. Aber seitdem bringen sie ihre Budgets in Ordnung, nicht durch harte Einschnitt­e, aber auf sanfte Art, indem sie das Ausgabenni­veau einfrieren. Das genügt, um die Schuldenqu­ote stark und nachhaltig zu senken. Der Wirtschaft hat das nicht geschadet, im Gegenteil, sie läuft gut . . . Manche Volkswirts­chaften laufen immer gut, in jeder Situation. Anfang der Nullerjahr­e lief es in Deutschlan­d ziemlich schlecht . . . Ja, und sie haben ihre Politik entspreche­nd geändert. Aber man muss einsehen: Auch in einer allgemeine­n Krise gibt es immer Länder, denen es relativ besser geht als den anderen – aber die Gesamtsitu­ation ist schlechter als nötig. Deutschlan­d ist stark bei Exporten, vor allem in kräftig wachsende Drittstaat­en, nach Asien. Die Deutschen profitiere­n also vom unterbewer­teten Euro. Deshalb wollen sie die Eurozone unbedingt am Leben erhalten. Ich will ihren Erfolg gar nicht verteufeln. Britischer Ökonom und Historiker

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