Spielraum
EIN STEILPASS IN DIE TIEFE DES SPORTS
Fußball ist ein Heiligtum für Engländer. Spieler werden angehimmelt, Trainer bewundert. Die Klubmitgliedschaft ist das Minimum, Spielbesuche trotz absurder Ticketpreise in der Premier League eine Pflicht. Dieser Kult treibt auf der Insel wilde Blüten, wenn große, womöglich erneut epische Finalspiele anstehen wie im Fall von Liverpool. Oder wenn eine Ikone wie Arsene` Wenger zum letzten Mal bei einem ArsenalHeimspiel an der Seitenlinie stehen wird.
Exakt 7870 Tage nach seinem Debüt im Highbury-Stadion am 19. Oktober 1996 gibt Wenger am heutigen Sonntag gegen Burnley seine Abschiedsvorstellung. Da sind alle Enttäuschungen vergessen: Bei diesem Spiel wollte jeder „Gunners“-Fan dabei sein. Die logische Folge: Je höher die Nachfrage anstieg, desto absurder wurde der Preis.
An sich hatte Arsenal diese Partie in die Kategorie C eingestuft. Ein „Billigspiel“mit den günstigsten Karten (für Mitglieder) zwischen 26 und 38,5 Pfund. Also ab 29 Euro. Für Zwischenhändler, Online-Plattformen und den Schwarzmarkt ist Wengers Abgang ein Geschenk des Himmels. Um 29 Euro erworben, jetzt im Angebot ab 162 Euro. Die Spanne reicht bis zu schier wahnwitzigen 1800 Pfund (2040 €).
Sie dürften wohl alle verkauft werden, Engländer kennen in puncto Fußball und Ikonenverehrung keine Schmerzgrenzen. Als Sir Alex Ferguson 2013 nach 27 Dienstjahren seinen Posten bei Manchester United freimachte, wurde eine Karte in seinem Abschiedsspiel gegen Swansea, etwa der WAC der Premier League, für 3400 € verkauft.
England liegt aber auch ob der nahenden Fußball-WM in Russland im Reisefieber. Geradezu verzweifelt suchen Anhänger der „Three Lions“noch nach einem Quartier für das vermeintlich entscheidende, letzte Spiel der Gruppe G am 28. Juni in Kaliningrad gegen Belgien. Sie sind jedoch skeptisch geworden, ob man es denn gut mit ihnen und ihrer Fußballliebe meint, berichtet nun der „Independent“. Man verglich Hotelpreise: Zimmer, die an diesem Wochenende für 20 Euro erhältlich waren, kosten dann 1870 Euro. Das ist kein Tippfehler.
Auch die übliche Ausweichroute über Airbnb ist keine einladende Alternative. 1200 Euro für ein Zimmer für die Nacht auf den Spieltag. Also gehen viele campen. Der Platz für ein Zwei-Mann-Zelt wird aktuell um 63 £ (72 €) verkauft. Noch. Ob die WMOrganisatoren mitbekommen haben, dass 10.000 Engländer im einstigen Königsberg ankommen werden? Damit sind Eskalationen doch regelrecht vorprogrammiert.
Für Liverpool-Fans ist das ChampionsLeague-Finale in Kiew Pflicht. Der Klub erhielt allerdings nur 16.626 Karten, um sie herrscht mehr als nur das sprichwörtliche G’riss. Auch für Fluglinien ist Kiew an diesem Mai-Wochenende eine Topdestination. Mehr Anfragen, höhere Buchungen, folglich kletterte (Stand Freitag, 15 Uhr) der billigste Hin- und Retourflug aus Manchester mit halbwegs vernünftigen Zeiten auf 1400 Euro. Ideenreichtum ist also gefragt, nicht nur für Spielsysteme, sondern auch für die An- und Abreise sowie die Quartierfrage.
Das Geschäft mit den Fußball-Fans floriert. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich in Wahrheit eines Tages keiner mehr leisten kann, ist groß. Dass Stadien aber leer bleiben werden, ist ausgeschlossen.
Es ist – nicht nur in England – trotzdem längst ein unverschämt teures Spiel mit einem Kulturgut geworden.