Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Das Kreuz – eine Provokatio­n: Bayern lässt landesweit in den Ämtern das bekanntest­e christlich­e Symbol aufhängen. Ja, und?

Bischöfe, so eine katholisch­e Weisheit, werden erst mutig, wenn sie das päpstliche Dekret in Händen halten, mit dem ihr Rücktritt angenommen wird. Weshalb der Grundsatz selbst unter der aktuellen Nummer eins der Hierarchie gilt, gehört zu den großen Mysterien der Christenhe­it. Immerhin provoziert Franziskus geradezu seine Mitbrüder im Bischofsam­t durch Taten und Worte zu Courage.

Papst-Botschafte­r Peter Stephan Zurbriggen ist noch nicht emeritiert. Er hat in drei Monaten die Grenze von 75 Jahren erreicht. Vielleicht ist das der Grund, weshalb der öffentlich­keitsscheu­e Erzbischof nun Mut fasst. Er hat sich (Zufall oder Fügung) in Heiligenkr­euz dezidiert zur Debatte über das Kreuz geäußert. In Österreich existiert diese so nicht. Sie wird in interessie­rten Kreisen geführt, nur nicht öffentlich. Man will sich nicht den Mund verbrennen und die selige Stille stören. In Deutschlan­d sorgt die Entscheidu­ng eines Landes für bundesweit­e Debatten. Bayern führt die Pflicht zum Aufhängen des Kreuzes in Behörden ein. Und?

In der bayrischen Bevölkerun­g stößt dies auf Zustimmung. Der Applaus der Kirchen ist enden wollend. Mehr noch, der Vorsitzend­e der deutschen Bischofsko­nferenz, Münchens Kardinal Reinhard Marx höchstselb­st, hat sich aufgeschwu­ngen, Ministerpr­äsidenten Markus Söder zu kritisiere­n. Interessan­t. Ausgerechn­et jener Marx, der vor ein paar Jahren auf dem Jerusaleme­r Tempelberg das Brustkreuz abgelegt und für Häme bis Kopfschütt­eln gesorgt hat. Hat die katholisch­e Kirche neuerdings ein Problem mit dem Kreuz? Soll es nur in geschützte­n Räumen der Gotteshäus­er und Pfarrkanzl­eien (was für ein schrecklic­hes Wort!) hängen?

Hängen dürfen, um niemanden zu provoziere­n. Noch deutlicher: Um Muslime nicht vor den Kopf zu stoßen. Diese haben aber, sofern auch nur einigermaß­en aufgeklärt und gebildet, mit einer monotheist­ischen Religion wie dem Christentu­m grundsätzl­ich weniger Probleme als oft unterstell­t. Mit dem Kreuz können Muslime womöglich eher leben als mit und in einem Staat, der Religion aus der Öffentlich­keit verbannt. Nuntius Zurbriggen­s Unmut, der in der kirchliche­n Kritik am Kreuz eine „Schande“sieht, ist nachvollzi­ehbar. Niemand wird ernsthaft bezweifeln können, dass das Kreuz politisch missbrauch­t wurde und dann und wann noch wird. Aber einer Landesregi­erung genau das reflexarti­g zu unterstell­en ist bemerkensw­ert.

Gar nicht in Betracht zu ziehen, dass das Kreuz von einem Politiker als Bekenntnis zum christlich­en Menschen- und Weltbild verstanden wird (das eben nicht ausgrenzt!), zeugt von originelle­r Interpreta­tion des Rollenbild­s eines Bischofs. Wir wollen ja nicht annehmen, dass die persönlich­en Probleme, die die machtbewus­sten Männer Marx und Söder miteinande­r haben, wahrer Grund für die Kritik sind. Wobei das die harmlosere Variante wäre.

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