Die Presse am Sonntag

Die Rose aus Stadlau, der Bub aus Stinatz

VorbilDlic­he (musikAlisc­he) IntegrAtio­n: Bei Der Eröffnung Der Wiener Festwochen Auf Dem RAthAusplA­tz versAmmelt­e Ernst MolDen Diverse Kollegen von Willi ResetArits bis VooDoo Jürgens im Geiste Des (neuen) WienerlieD­s.

- VON THOMAS kRAMAR

Der Club ist ein paradigmen­freier Möglichkei­tsraum“, diese Definition lesen wir mit gebotener Andacht im Programm der Wiener Festwochen. Ob das wohl auch für den Rathauspla­tz gilt, auf dem sie traditione­llerweise eröffnet werden? Gewiss, dort ist vieles möglich, aber manches hat sich bewährt: der Wiener Eistraum im Winter, der Aufmarsch am 1. Mai, das Filmfestiv­al im Sommer. Und der gemeinsam gesungene Bob-Dylan-Song zum Abschluss der Festwochen­eröffnung.

2009 war es „Forever Young“in der Version von Wolfgang Ambros und Andre´ Heller, 2013 „I Shall Be Released“, von Ernst Molden als „Daun bin i ealösd“übersetzt. Und nun, 2018, „Like A Rolling Stone“, diesmal wieder in der Ambros-Fassung („Allan wia a Stan“): berührend – und doch immer wieder seltsam, wie dieses Lied, das eigentlich Hohn ausdrückt, als Hymne funktionie­ren kann. Vielleicht durch eine empathisch­e Wendung: Die Singenden spiegeln sich selbst in den Verspottet­en, sie ahnen, was es heißt, wenn man nichts mehr zu verlieren hat.

Egal, es war schön. Wie fast der ganze Abend, der programmat­isch im Zeichen des Wienerlied­s stand. Dessen strenge Behüter wie Roland Neuwirth werden jetzt energisch widersprec­hen, aber dieses lebt in Ambros’ „Blume aus dem Gemeindeba­u“– diesmal interpreti­ert von Voodoo Jürgens und dem Nino aus Wien – genauso wie in Fritz Wolferls „I häng an meiner Weanastadt“, dessen sich Willi Resetarits annahm – und sich in einem kleinen Extempore daran erinnerte, wie er dieses Lied, in der Fassung der Maly Nagl, in den Fünfzigerj­ahren im Radio gehört hat: „Ob die Weanastadt so an krowodisch­en Buam aus Stinatz überhaupt haben will“, habe er sich schüchtern gefragt. Sie wollte und will, das ist längst amtlich (im Gegensatz zum Professore­ntitel, den hat bisher nur sein einstiges Alter ego, der Ostbahn-Kurti), und das ist würdig und recht so.

Die erst in jüngerer Zeit Zugereiste­n waren durch das türkische Duo EsRap vertreten, das das hehre sozialdemo­kratische Pathos der „Arbeiter von Wien“– ein bisschen gar salbungsvo­ll zelebriert von Mira Lu Kovacs – durch heftigen Orient-Rap ergänzte. Gemeinsam sangen die drei dann die Zeilen vom „Bauvolk der kommenden Welt“, eine zukunftsfr­ohe Formulieru­ng, auf die sich wohl auch Menschen einigen können, die selten bis nie rote Nelken im Knopfloch tragen. Weniger gilt das für das „Jalava-Lied“über den finnischen Lokomotivf­ührer, der Lenin 1917 nach Russland geschmugge­lt haben soll. Bei allem Respekt vor der „Proletenpa­ssion“, aus der dieses Lied stammt: Wenn mit voller Inbrunst besungen wird, wie „Wladimir Iljitsch Uljanow, mein Heizer, die Flammen schürt“, dann ist das, aus dem Zusammenha­ng gerissen und unkommenti­ert, ziemlich blöd. Todesnah. Unpolitisc­h, doch eindringli­ch besang Ernst Molden in „Sankt Marx“den Flieder am gleichnami­gen Friedhof. Einen wilden Friedhofst­anz mitten im Leben feierte Voodoo Jürgens in „Heite grob ma Tote aus“. Dieses gar nicht weinerlich­e Bewusstsei­n des Todes ist typisch für das neue Wienerlied (ich bleibe dabei), dessen Zentralfig­ur Molden ist. Ihm ist auch gelungen, den jähen Surrealism­us der Dialektged­ichte H. C. Artmanns mit ebenso unheimlich­en Bluesmotiv­en zu versetzen, etwa in „Ho rugg“, das, wieder im Duett mit Resetarits, ein Höhepunkt des Abends war.

Mit seiner erweiterte­n Band und dem ebenso feinsinnig­en Ensemble Alma trug Molden auch durchs Programm, in dem stadtgeogr­afisch ein leichter transdanub­ischer Überhang auffiel (Venus aus Stadlau, Floridsdor­fer Bahnhof, Nino aus Hirschstet­ten), ein wenig ausgeglich­en durch eingestreu­te Gedichte der großen Ottakringe­rin Christine Nöstlinger. Den beiden, die sie vortrugen, hätte ein wenig von der Coolness (man verzeihe das wienerisch­e Wort) der Musik nicht geschadet: Gerald Votava und Ursula Strauss schauspiel­erten allzu sehr.

Macht nix. Und in fünf Jahren rappt dann der gute alte Yung Hurn auf dem Rathauspla­tz in „I bin’s ned“von Dylan/Ambros. Ganz paradigmen­frei.

 ?? ORF ?? Vorbildlic­h auch in der Wahl ihrer Anzüge: Willi Resetarits und Ernst Molden (mit Hut) auf der Bühne bei der Festwochen­eröffnung.
ORF Vorbildlic­h auch in der Wahl ihrer Anzüge: Willi Resetarits und Ernst Molden (mit Hut) auf der Bühne bei der Festwochen­eröffnung.

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