Die Rose aus Stadlau, der Bub aus Stinatz
VorbilDliche (musikAlische) IntegrAtion: Bei Der Eröffnung Der Wiener Festwochen Auf Dem RAthAusplAtz versAmmelte Ernst MolDen Diverse Kollegen von Willi ResetArits bis VooDoo Jürgens im Geiste Des (neuen) WienerlieDs.
Der Club ist ein paradigmenfreier Möglichkeitsraum“, diese Definition lesen wir mit gebotener Andacht im Programm der Wiener Festwochen. Ob das wohl auch für den Rathausplatz gilt, auf dem sie traditionellerweise eröffnet werden? Gewiss, dort ist vieles möglich, aber manches hat sich bewährt: der Wiener Eistraum im Winter, der Aufmarsch am 1. Mai, das Filmfestival im Sommer. Und der gemeinsam gesungene Bob-Dylan-Song zum Abschluss der Festwocheneröffnung.
2009 war es „Forever Young“in der Version von Wolfgang Ambros und Andre´ Heller, 2013 „I Shall Be Released“, von Ernst Molden als „Daun bin i ealösd“übersetzt. Und nun, 2018, „Like A Rolling Stone“, diesmal wieder in der Ambros-Fassung („Allan wia a Stan“): berührend – und doch immer wieder seltsam, wie dieses Lied, das eigentlich Hohn ausdrückt, als Hymne funktionieren kann. Vielleicht durch eine empathische Wendung: Die Singenden spiegeln sich selbst in den Verspotteten, sie ahnen, was es heißt, wenn man nichts mehr zu verlieren hat.
Egal, es war schön. Wie fast der ganze Abend, der programmatisch im Zeichen des Wienerlieds stand. Dessen strenge Behüter wie Roland Neuwirth werden jetzt energisch widersprechen, aber dieses lebt in Ambros’ „Blume aus dem Gemeindebau“– diesmal interpretiert von Voodoo Jürgens und dem Nino aus Wien – genauso wie in Fritz Wolferls „I häng an meiner Weanastadt“, dessen sich Willi Resetarits annahm – und sich in einem kleinen Extempore daran erinnerte, wie er dieses Lied, in der Fassung der Maly Nagl, in den Fünfzigerjahren im Radio gehört hat: „Ob die Weanastadt so an krowodischen Buam aus Stinatz überhaupt haben will“, habe er sich schüchtern gefragt. Sie wollte und will, das ist längst amtlich (im Gegensatz zum Professorentitel, den hat bisher nur sein einstiges Alter ego, der Ostbahn-Kurti), und das ist würdig und recht so.
Die erst in jüngerer Zeit Zugereisten waren durch das türkische Duo EsRap vertreten, das das hehre sozialdemokratische Pathos der „Arbeiter von Wien“– ein bisschen gar salbungsvoll zelebriert von Mira Lu Kovacs – durch heftigen Orient-Rap ergänzte. Gemeinsam sangen die drei dann die Zeilen vom „Bauvolk der kommenden Welt“, eine zukunftsfrohe Formulierung, auf die sich wohl auch Menschen einigen können, die selten bis nie rote Nelken im Knopfloch tragen. Weniger gilt das für das „Jalava-Lied“über den finnischen Lokomotivführer, der Lenin 1917 nach Russland geschmuggelt haben soll. Bei allem Respekt vor der „Proletenpassion“, aus der dieses Lied stammt: Wenn mit voller Inbrunst besungen wird, wie „Wladimir Iljitsch Uljanow, mein Heizer, die Flammen schürt“, dann ist das, aus dem Zusammenhang gerissen und unkommentiert, ziemlich blöd. Todesnah. Unpolitisch, doch eindringlich besang Ernst Molden in „Sankt Marx“den Flieder am gleichnamigen Friedhof. Einen wilden Friedhofstanz mitten im Leben feierte Voodoo Jürgens in „Heite grob ma Tote aus“. Dieses gar nicht weinerliche Bewusstsein des Todes ist typisch für das neue Wienerlied (ich bleibe dabei), dessen Zentralfigur Molden ist. Ihm ist auch gelungen, den jähen Surrealismus der Dialektgedichte H. C. Artmanns mit ebenso unheimlichen Bluesmotiven zu versetzen, etwa in „Ho rugg“, das, wieder im Duett mit Resetarits, ein Höhepunkt des Abends war.
Mit seiner erweiterten Band und dem ebenso feinsinnigen Ensemble Alma trug Molden auch durchs Programm, in dem stadtgeografisch ein leichter transdanubischer Überhang auffiel (Venus aus Stadlau, Floridsdorfer Bahnhof, Nino aus Hirschstetten), ein wenig ausgeglichen durch eingestreute Gedichte der großen Ottakringerin Christine Nöstlinger. Den beiden, die sie vortrugen, hätte ein wenig von der Coolness (man verzeihe das wienerische Wort) der Musik nicht geschadet: Gerald Votava und Ursula Strauss schauspielerten allzu sehr.
Macht nix. Und in fünf Jahren rappt dann der gute alte Yung Hurn auf dem Rathausplatz in „I bin’s ned“von Dylan/Ambros. Ganz paradigmenfrei.