Der europäische Witz
Der sonntägliche Flüchtlingsgipfel ist eine echte Farce. Daran wird die Europäische Union sicher nicht zerbrechen, aber sich wieder einmal bis auf die Knochen blamieren.
Es ist also wieder einmal so weit: Die Untergangspropheten haben übernommen. Die Europäische Union stehe vor ihrem Zerfall, tönen kleine und große Formate des regionalen wie kontinentalen Diskurses. EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani etwa versuchte mit dieser Aussage endlich bekannter zu werden: „Handelt jeder Mitgliedstaat nur nach eigenen Interessen, wird die Gemeinschaft auseinanderbrechen.“Nun, dann hätte sie schon oft auseinanderbrechen müssen. Alexander Van der Bellen legt in der präsidialen „Krone“nach: „Wir sind alle gut beraten, uns klarzumachen, was es bedeuten würde, wenn die EU zerfällt.“Chaos?
Die schlichte Wahrheit ist: Weder am heutigen informellen Arbeitstreffen, das gar nicht Gipfel heißen darf, wird die Union wegen des Migrationsthemas auseinanderbrechen noch in den kommenden Monaten. Europa hat schon andere Krisen überlebt.
Was aber sehr wohl auseinanderbrechen kann, ist die deutsche Regierungskoalition. CDU und CSU stehen sich in der Frage der Grenzsicherung und Rückweisung von Asyl- bewerbern unversöhnlich gegenüber. Längst geht es nicht mehr um diese Frage, sondern um Kanzlerin Angela Merkel und ihre alte Willkommenskultur-Politik, die sie selbst scheibchenweise aufgegeben hat. Aber eben nur scheibchenweise. Ad absurdum. Wir erleben gerade drei neue alte Phänomene. Erstens: Deutschlands Regierung war von Anfang unerwünscht und instabil. Entweder bricht sie oder schleppt sich wie die alte österreichische Koalition noch ein paar Jahre zu ihrem Aus. Zwei Flügel der Christlichsozialen, die nicht mehr miteinander können, und zwar ebenso wenig wie die Sozialdemokraten mit ihnen? Klingt vertraut. Zweitens: Von Italien über Österreich bis in den skandinavischen Raum setzt sich die Erkenntnis durch: Wenn Europa die Außengrenzen nicht schützt, machen es die Nationalstaaten eben vor der eigenen Tür selbst. Das gelingt Dänen und Schweden leichter als Österreichern, Bayern oder Italienern. Fest steht nur, es wird passieren.
Drittens: Die EU führt sich gerade selbst ad absurdum. Da war also ein kleiner Gipfel einiger betroffener Staaten geplant, in den sich immer mehr EU-Mitglieder hineinintervenierten. Der EU-Kommissionspräsident übernahm ungefragt das Kommando. Selbst Länder, die Flüchtlinge nur aus dem TV kennen, sind nun beleidigt, dass sie nicht mit von der Partie sind. Berlin schickte eine Erklärung als Vorschlag, die Rom fast dazu brachte, die Brüssel-Flüge zu stornieren. So etwas nennt man auf Europäisch: Farce.
Dabei sind die Vorschläge längst auf dem Tisch: noch mehr Kompetenzen für die Frontex-Grenzschützer, Lager in Nordafrika, finanzielle „Solidarität“mit jenen Ländern, die mehr Flüchtlinge aufnehmen als andere und das Bekenntnis, dass Wirtschaftsflüchtlinge, die kein Asylrecht haben und auf dem Arbeitsmarkt nicht gebraucht werden, den Kontinent verlassen müssen. Das wäre ein mögliches Maßnahmenpaket, das heute, Sonntag, aber leider sicher nicht beschlossen werden wird. Bis auf Weiteres bleibt der Politiksatz „Wir brauchen eine europäische Lösung“das, was er ist: ein Witz.