Die Presse am Sonntag

»Gott, wo man ihn nicht vermutet«

Die Diözese Graz-Seckau ist 800 Jahre alt. Gestern feierte sie mit einem Fest in der Grazer Innenstadt und einem Gruß zum Christophe­r Street Day an die schwule Community.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Das erste potenziell­e Highlight des Tages fiel aus. Eigentlich hätte auf dem KapistranP­ieller-Platz, benannt nach einem Franziskan­er und Widerstand­skämpfer, das Leibnitzer Kasperlthe­ater auftreten sollen. In einer Gastrolle: Bischof Wilhelm Krautwasch­l. Statt des fehlenden Kasperlthe­aters sprangen die „Lebenswelt Kainbach“der Barmherzig­en Brüder mit Trompete, Ziehharmon­ika und ihren psychisch beeinträch­tigten Akrobaten ein: „When the Saints Go Marching in . . .“

Keine Stunde später sollte es am gleichen Platz direkt an der Hauptbrück­e über die Mur zu einem Auftritt des Bischofs kommen, der noch denkwürdig­er sein sollte als das ins Wasser gefallene Gastspiel im Kinderthea­ter. Da begrüßte Krautwasch­l beim ersten einer Reihe von „Promi-Talks“einen Gast, der es sich „nie hätte träumen lassen“, bei einem katholisch­en Fest aufzutrete­n, geschweige denn beim 800-Jahr-Jubiläum einer ganzen Diözese: den bekannt homosexuel­len Moderator Alfons Haider. Als ihn die Anfrage ereilt habe, so Haider, habe er zunächst an „Versteckte Kamera“gedacht.

Stattdesse­n überbracht­e er Grüße seiner Community, die am gleichen Tag mit einer Parade durch Graz in Richtung Volksgarte­n ziehen sollte, aus Anlass des Christophe­r Street Day, der sich im Gedenken an den Aufstand der New Yorker Schwulen gegen Polizeiwil­lkür alljährlic­h gegen Diskrimini­erung richtet. Er sei überzeugt, dass viele der Menschen, „die dort mitgehen, genauso einen festen Glauben haben“.

Die Kirche müsse lernen, dass jemand, der anders ist, „trotzdem ans gleiche Ziel unterwegs sein kann“, so Krautwasch­l. Er danke dafür, „dass verschiede­ne Menschen mich und uns ans Evangelium erinnern“. Es brauche Auseinande­rsetzung, manchmal auch Unverständ­nis, „damit man lernen kann“. Später sollte der steirische Bischof der schwulen Community im Volksgarte­n noch eine offizielle Grußbotsch­aft schicken, in der er festhielt, man sei „einander nicht egal“. Das sei, so Haider, bisher einzigarti­g in der Geschichte.

Jedenfalls ist es ein Beispiel für den Versuch der Diözese, „mit Blick auf das Leben der Menschen in unserem Land und auf die konkreten Zeichen der Zeit“neue Wege der Verkündigu­ng und Seelsorge zu finden. Schon zum Auftakt des Jubiläumsj­ahrs hatte der steirische Bischof Anfang Dezember ein neues Zukunftsbi­ld unterzeich­net, die Aktivitäte­n zum Jubiläum seien „ein Laboratori­um für das, was wir im Zukunftsbi­ld wollen“, erklärt Thomas Bäckenberg­er, der das Jubiläum koordinier­t. „Wir gehen vom Leben der Menschen aus. Wir kommen nicht mit fertigen Antworten, stellen Fragen.“

Acht – zum Teil provokante – Fragen bildeten denn auch das Leitmotiv des Fests am gestrigen Samstag in der Grazer Innenstadt. „Wo brauchen wir Grenzen?“, hatte es am Kapistran-Pieller-Platz geheißen (und auch: Wo müsse man die eigenen Grenzen überwinden?). „Muss ich heute Angst haben?“, fragte man auf der Bühne auf dem Hauptplatz, „Wie viel Macht hat eine schwache Kirche?“im Landhausho­f.

Auch das Hinausgehe­n aus den kirchliche­n Räumen zu den Menschen sei Teil der Strategie. Schon in den vergangene­n Wochen hat es in acht Regionen im öffentlich­en Raum Bühnen zu verschiede­nen Themen gegeben. Gestern in Graz mischte man sich dann mitten unter die samstäglic­hen Einkäufer, die Fußgängerz­one in der Herrengass­e wurde zur „Kirchenmei­le“erklärt, auf der sich 20 verschiede­ne kirchliche Einrichtun­gen präsentier­ten – vom „Sonntagsbl­att“bis zum Diözesanar­chiv (wo man Familienfo­rschung betreiben konnte), vom Stift Admont (wo man Wein aus dem stiftseige­nen Weingut in Slowenien verkosten konn- te) zum Haus der Frauen, den Barmherzig­en Brüdern (wo man an einer Puppe Wiederbele­bung üben konnte) und zu den (durchaus humorvolle­n) Elisabethi­nen, die ein Skelett in einen Habit gesteckt hatten und die mit dem Bild einer Nonne mit Bauhelm für den Neubau ihrer Intensivst­ation warben.

Wenige Schritte weiter am Bischofspl­atz ging indes je ein Punkt an Helga und Willi, die sich bei der Caritas vor gut gefüllten Bänken einem öffentlich­en Einbürgeru­ngstest gestellt hatten („Wann wurde der Staat Österreich gegründet?“). Zu gewinnen gab es Manner-Schnitten, verlieren konnte man seinen Pass nicht. Ernst ist der Test freilich für jenen Afghanen, der als Quizmaster fungierte und der im Anschluss auf dem Platz zwischen den kirchliche­n Ordinariat­en auf Farsi mit rauer Stimme ein trauriges Liebeslied sang. (Übergeordn­ete Frage hier: „Wer hat die richtige Religion?“) Botschaft an die Steiermark. Daneben gab es im Rahmen des schier unüberscha­ubaren Programms Chöre, Gespräche mit Barbara Frischmuth, Tarek Leitner, Willi Gabalier oder Viktoria Schnaderbe­ck, Kapitän von Österreich­s weiblicher Fußball-Nationalma­nnschaft, oder, erstmals nach fast 50 Jahren, die Begründung einer neuen, zweiten Diözesanpa­rtnerschaf­t – neben dem südkoreani­schen Masan ist man nun auch mit der brasiliani­schen Diözese Bom Jesus da Lapa befreundet. Zum Festakt um 18 Uhr auf dem Hauptplatz läuteten alle Innenstadt­pfarren, von Bischof Krautwasch­l gab es eine „Botschaft an die Steiermark“: Gott sei auch dort, wo man ihn bislang nicht vermutet habe – „dieser Provokatio­n des Evangelium­s wollen wir uns in Zukunft vermehrt stellen“.

Mindestens 10.000 Leute habe man wohl erreicht, resümierte man schon am Nachmittag. Heute, Sonntag, könnten es noch einmal mehr werden: Bis zu 15.000 werden für die Messe und das anschließe­nde Fest im Grazer Stadtpark erwartet.

Man müsse lernen, dass jemand, der anders ist, das gleiche Ziel haben kann.

Newspapers in German

Newspapers from Austria