Schnupfen vom Himmel?
Die Kleinsten im Reich des Lebens, die Viren, verbreiten den größten Schrecken, immer neue kommen aus den Wäldern, und viele reisen mit den Wolken.
Sie kommen aus den Wäldern, denen am Fluss Ebola im Kongo, denen um das Dorf Nipah in Malaysia, und einem in Uganda, der Zika heißt, „überwachsen“. Und sie sorgen dafür, dass ganz harmlose Namen entlegenster Regionen erdweit Schrecken verbreiten: Zika gefährdete 2016 die Olympischen Spiele in Brasilien, Ebola forderte zwei Jahre zuvor in Westafrika 11.316 Opfer und ist nun wieder am Kongo ausgebrochen, Nipah greift in Indien um sich: „Einer der gefährlichsten Erreger der Welt“, ist dann rasch im Netz zu lesen, und in der Tat sterben bis zu 70 Prozent derer, die von Nipah befallen werden.
Wahr ist allerdings auch, dass in Indien derzeit elf Menschenleben zu beklagen sind, und insgesamt, seit man Nipah kennt, in ganz Südostasien etwa 300: Der Erreger wird kaum von Menschen auf Menschen übertragen, er kommt mit dem Verzehr von Früchten, an denen zuvor Fledermäuse genascht haben. Ähnlich schwer ist die Übertragung der periodisch aus Ostasien herfliegenden Vogelgrippen, die dafür gesorgt haben, dass private Arzneischränke und staatliche Asservate mit einem Medikament zweifelhaften Nutzens überflutet wurden, Tamiflu.
Aber nichts verbreitet solche Panik, oft auch mit Recht. Das mag daran liegen, dass Viren nicht nur die Kleinsten im Reich des Lebens sind, sondern auch die Häufigsten: Ihre Zahl allein in den Meeren schätzt man auf 1031, macht in einem Liter 1010, mehr als es Menschen auf der Erde gibt (7,5 x 109). Zudem sind sie überall, und sie kommen überall hin, auf vielen Wegen, sie fallen sogar vom Himmel: Die Vielfalt der Viren ist kaum überschaubar, trotzdem sind manche so weit verbreitet, dass es schon lange den Verdacht gibt, sie seien mit Wolken etwa von Afrika in die Karibik gereist und hätten dort Korallen Krankheiten gebracht, und Menschen auch, Polio und Asthma.
Mehr als ein Verdacht war das bisher nicht, aber nun haben Isabel Reche (Granada) und Curtis Suttle (Vancouver) gemessen, hoch in der Sierra Nevada in Spanien, wo Winde Wolken von weit bringen: Aus ihnen gehen pro Tag auf jeden Quadratmeter bis zu 700 Millionen Viren nieder (ISME Journal 12: 1154). „Frei von Friktion durch die Erdoberfläche kann man große Distanzen reisen, von Kontinent zu Kontinent“, schließt Suttle, „es wäre nicht unüblich, dass etwas in Afrika aufgewirbelt wird und in Amerika deponiert.“
Manche vermuten, dass Viren von viel weiter her kommen, aus dem All, dass sie von dort das Leben gebracht haben – Panspermie –, aber auch Bedrohungen wie das Sars-Virus 2003. So sah es Chandra Wickramasinghe (Cardiff ), und das höchstrangige Journal Lancet druckte es (361, S. 1832). Die Zunft schüttelte die Köpfe. Immerhin: Dass es Viren nicht nur bei uns gibt, sondern auch anderswo im All, lässt sich nicht ausschließen, deshalb hat Kenneth Stedman (Portland State University) gerade ein vehementes Plädoyer für Astrovirologie gehalten: Die Nasa möge auf anderen Planeten nicht nur nach Bakterien Ausschau halten, sondern auch nach denen, von denen es zehn Mal so viel gibt (Astrobiology 2017.1649). Bad news in a protein. Die große Zahl spricht für Stedmans Vorstoß, die verschwindende Größe dagegen. Wie soll man sie finden, was sind Viren überhaupt? „A piece of bad news wrapped up in a protein.“So bündig definierte der britische Nobelpreisträger Peter Medawar die genetischen Programme – aus RNA oder DNA –, die in Proteinhüllen stecken. Die docken an Zellen an, dann dringt das Genmaterial ein und lässt sich sowie die Hülle von der Zellmaschinerie vervielfältigen, aus eigener Kraft können Viren das nicht.
Deshalb ist umstritten, ob sie zum Leben zählen, umstritten ist auch, wie und wann sie entstanden sind. Die ältesten Spuren in Menschen haben Paläogenetiker gerade in der Bronzezeit gesichtet: Schon vor 7000 Jahren litten viele an Hepatitis B – einem Virus, das heute noch Hunderttausende tötet –, Eske Willerslev (Stockholm) und Johannes Krause (Jena) haben es gezeigt (Nature 557, S. 481, bioRxiv 7. 5.). Die ältesten bekannten Viren waren das nicht, die wurden in Insekten konserviert, die vor 100 Millionen Jahren in Bernstein gerieten (J. Invertebr. Pathol. 89, S. 243). Die ältesten waren auch die nicht, Viren kamen früh, manche halten sie genetischer Einzigartigkeiten wegen, die sie von niemandem haben können, für den Ursprung des Lebens, das ist schwer nachvollziehbar, brauchen zum Vermehren ja Wirte.
Aber die Rekonstruktion ihrer Geschichte ist schwer, schon ihr Aufspüren ist es und braucht enormen Aufwand, die nötigen Gerätschaften kann man nicht so einfach etwa zum Mars schicken. Auch nicht, was dringlicher wäre, in bedrohte Regionen der Erde, sie sind meist mit medizinischer Infrastruktur nicht gesegnet. Und bei Zika – das Kinder mit Mikrozephalie zur Welt kommen lässt (mit zu kleinen Schädeln) – reichen zum Infizieren zwei Viren pro Milliliter Blutplasma. Wie das finden, im Blut einer Schwangeren in einem entlegenen Dorf in Brasilien?
1989 fiel dem spanischen Biologiestudenten Francisco Mojica im Genom von Haloferax mediterranei, einem Archaea-Bakterium, etwas auf: Wiederholungen von 30 Basen langen Sequenzen, dazwischen ein Text aus 36 andere Basen. Auch der war unerklärlich, bis Mojica ihn 2003 in die Such- sie maschine einer Gendatenbank eingab. Heraus kam der Name eines Virus, das die Bakterien befällt. Zur Abwehr haben sie ein Stück der Sequenz des Virus eingespeichert, daran erkennen sie es und schneiden es – mit den wiederholten Sequenzen – aus dem Virengenom heraus. Das ist ein so raffiniertes wie präzises Immunsystem, Mojica nannte es „clustered regulary interspaced palindromic repeats“– Crispr.
Unter dem Namen machte es Karriere, als Wunderwerkzeug der Gentechnik, mit dem man Genome punktgenau verändern kann. Seine ursprüngliche Funktion wurde eher vernachlässigt, aber nun haben gleich drei Gruppen aus Crispr Virendetektoren entwickelt, die auf kleinste Mengen ansprechen – zwei Viren pro Milliliter Blutplasma – und in einem Fall so einfach zu handhaben sind wie Lackmuspapier. Ersonnen wurde das von Jonathan Gootenberg (MIT), er taufte es auf den Namen „Sherlock“( Science 360, S. 444; dort sind auch die beiden anderen Novitäten publiziert).
Den könnte man zum Schnüffeln auf den Mars schicken, und natürlich auch überall dorthin, wo gerade etwas aus den Wäldern droht.
In einem Liter Meerwasser sind 1010 Viren, mehr als Menschen auf der Erde. Bei Zika reichen zwei Viren pro Milliliter Blutplasma, mit Crispr lassen die sich nun aufspüren.