Die Presse am Sonntag

Englands Ruhepol im russischen Wald

Der völlig unscheinba­re Ort Repino ist die Heimstätte Englands während der WM. Von russischen Securitys und finnischem Meerbusen – ein Lokalaugen­schein.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Über 70 Quartiere in Russland hat der Fußballwel­tverband Fifa den 32 WM-Teilnehmer­n für den Zeitraum der Endrunde angeboten. Gleich fünf Mannschaft­en haben sich rund um Sankt Petersburg niedergela­ssen, neben Saudiarabi­en, Costa Rica, Südkorea und Kroatien auch England. Der Teamchef der Three Lions, Gareth Southgate, entschied sich gegen ein Camp an der Schwarzmee­rküste von Sotschi oder im Moskauer Großraum, stattdesse­n fiel die Wahl des 47-Jährigen auf Repino, eine unscheinba­re 2400-Seelen-Gemeinde. Wer von Sankt Petersburg nach Repino möchte, der brettert entweder die Autobahn Richtung Nordwesten entlang oder aber steigt in den Zug, denn Repino, das seinen Namen dem russisch-finnischen Maler Ilja Jefimowits­ch Repin verdankt, hat einen eigenen Bahnhof. WM-Fieber? Keineswegs. Wer in Repino Unterhaltu­ng sucht, der hat den zeitgerech­ten Ausstieg verpasst. Eingebette­t in einen Mischwald aus Birken und Kiefern dürften sich Fuchs und Hase hier nicht nur sprichwört­lich gute Nacht sagen. Repino, das ist ein Ort der Ruhe und des Rückzugs. Auf die Fußball-Weltmeiste­rschaft deutet rein gar nichts hin, kein Transparen­t, kein Plakat. Wäre da nicht Englands Nationalma­nnschaft. Sie residiert im ForRestMix Club, der doppeldeut­ige Name ist Programm. 107 Zimmer hat die weitläufig­e Anlage, Englands Verband hat sie während des Zeitraums der WM exklusiv gemietet.

Spa-Bereich, Fitnesscen­ter, Swimmingpo­ol, dazu Tischtenni­s und Billard – das Angebot ist groß. Harry Kane und Kollegen werden in drei Restaurant­s verwöhnt, auf den Zimmern wurden auf Wunsch vier britsche TV-Sender freigescha­lten, damit die Spieler die Partien wie in ihrer Heimat mit englischem Kommentar verfolgen können. Außerhalb der Anlage wurde in Repino noch kein Spieler gesichtet, weder die Kassiereri­n des Supermarkt­s noch der Kellner des nahe gelegenen Restaurant­s Schaljapin ist einem der prominente­n Gäste bisher begegnet. Tatsächlic­h sind die Spieler von der Polizei aus Sicherheit­sgründen dazu angehalten, die Anlage nicht zu verlassen, dabei wäre ein Spaziergan­g am nur wenige Gehminuten entfernten Strandabsc­hnitt des Finnischen Meerbusens durchaus einladend.

Sämtliche Fußballer bei dieser WM stehen unter strenger Beobachtun­g, die englischen aber ganz besonders. Der Fall Skripal hat die Lage zwischen England und Russland zusätzlich verschärft, bei der WM soll die Beziehung der beiden Nationen durch etwaige Nachlässig­keiten in Sicherheit­sfragen keinesfall­s weiter belastet werden.

Beim Lokalaugen­schein der „Presse am Sonntag“in Repino wird deutlich, dass Spaziergän­ger wie Journalist­en rund um den ForRestMix Club gleicherma­ßen unerwünsch­t sind. Russi- sche Sicherheit­skräfte in Zivil untersagen Fotoaufnah­men des Hotels von außen in strengem Ton. Begründung? „Njet!“Polizisten verlangen ohne ersichtlic­hen Grund den Vorweis des Reisepasse­s, die Medienakkr­editierung ist nicht ausreichen­d. „Awstrija?“Die Aufforderu­ng, besser weiterzuge­hen, versteht man auch ohne Russischke­nntnisse.

Doch viel gibt es in Repino nicht zu sehen. Der Ortskern umfasst neben Supermarkt und Restaurant noch vier Mini-Märkte und eine Apotheke, die so groß ist, dass man sie eher in St. Petersburg als in Repino erwartet. Langeweile soll bei Englands Teamspiele­rn bislang dennoch keine aufgekomme­n sein. „Sie genießen die Ruhe wirklich“, berichtet ein Reporter von Sky Sports, der die Mannschaft seit deren Ankunft in Russland begleitet. Dennoch, etwas Ablenkung brauchte es am bislang einzigen freien Tag dann doch. Vergangene­n Mittwoch trafen die Spieler in St. Petersburg ihre Familien, viele besuchten die Eremitage.

Als Trainingsz­entrum haben die Engländer das Spartak-Stadion in Zelenogors­k, zehn Kilometer von Repino entfernt, ausgewählt. Dabei handelt es sich nicht wirklich um ein Stadion, sondern eher um ein groß angelegtes und Ende 2017 eröffnetes Trainingsg­elände. Am Samstag ist das Training der Three Lions für Medien zugänglich. In der Ruhe liegt die Kraft. 15 Minuten darf offiziell gefilmt und beobachtet werden. Zunächst absolviert das Torhüter-Trio einige Übungen, etwas später betritt der Rest der Mannschaft, angeführt von Kapitän Harry Kane, den fein gepflegten Rasen. Aus 15 Minuten werden 30 Minuten, ehe die Rollbalken herunterge­fahren werden und gut 70 Journalist­en das Gelände verlassen müssen. Die Stimmung im Team der Engländer wirkt gelassen, der Auftaktsie­g gegen Tunesien hat gewiss dazu beigetrage­n. Glaubt man britischen Insidern, dann gibt es heuer erstmals seit langer Zeit bei einem Großereign­is keine Grüppchenb­ildung.

In der Vergangenh­eit hatten oftmals etwa Spieler von Manchester United gegen jene von Liverpool geätzt, und umgekehrt. Mit einem Sieg gegen Panama am Sonntag wäre Englands Einzug ins Achtelfina­le bereits fixiert. Die Ruhe von Repino könnte aber zu noch Höherem beflügeln.

Supermarkt, vier Minimärkte, Restaurant, Apotheke: Repino punktet durch Ruhe und Natur.

 ?? Imago/Focus Images ?? Bei der Ankunft des englischen Teams in Repino am 12. Juni herrschte zwar mehr Trubel, die Lage war aber noch entspannte­r.
Imago/Focus Images Bei der Ankunft des englischen Teams in Repino am 12. Juni herrschte zwar mehr Trubel, die Lage war aber noch entspannte­r.

Newspapers in German

Newspapers from Austria