Die Presse am Sonntag

»Der Makel ist die Signatur des Menschen«

Gregor Eichinger prägt seit 1985 die Wiener Szene, eben hat er mit dem Donauturm ein Wiener Wahrzeiche­n behutsam erneuert. Mit der »Presse am Sonntag« sprach er über Handglanz und die Emotionen zum Objekt, über die Bedeutung der Mondlandun­g für seine Arbe

- VON SAMIR H. KÖCK

Es gab schon früh Theologen, die der Ansicht waren, Architektu­r forme den Menschen nachhaltig­er als die Heilige Schrift. Was meinen Sie? Gregor Eichinger: Das hat wohl damit zu tun, dass die Menschen mit dem ganzen Körper mehr lesen können als bloß mit den Augen. Architektu­r adressiert den ganzen Körper. An Emotionen erinnert man sich im räumlichen Zusammenha­ng leichter als im abstrakten, gedanklich­en Kontext. Das ist ein wenig so wie mit dem Geruchssin­n. Kommt einem ein ähnlicher Duft wie jener von Omas Gugelhupf in die Nase, dann weiß man in Sekundenbr­uchteilen alles. In diesem Sinne möchte ich sagen: Architektu­r riecht. Leiden Sie als Architekt unter gewissen baulichen Erscheinun­gen in Wien? Natürlich, weil man auch das Schlechte an der Architektu­r körperlich erfährt. Es muss aber gesagt werden, dass manches gar nicht wirklich beurteilt werden kann, weil die eigenen Sinne nicht alles erfasst haben. Insofern macht es Sinn, seine ästhetisch­en Urteile regelmäßig zu überprüfen. Bei mancher Ablehnung ist man sich aber auch als Laie sicher. Bauten wie Bahnhof Wien-Mitte, die Klötze neben dem Westbahnho­f oder der Riesenradp­latz sind ein Desaster, die Verzweiflu­ng oder Apathie auslösen. Tut Ihnen das nicht auch weh? Doch, aber man darf so was nicht persönlich nehmen. Architektu­r ist ein Prozess, der komplexer ist als Mode. Er bildet nicht nur das Beurteilun­gsvermögen derer ab, die daran gearbeitet haben, sondern die Gesellscha­ft mit ihren Regeln. In der Geschichte gab es nicht wenige Architekte­n, die an der jeweiligen Gesetzesla­ge zerbrochen sind. Wohin trieb Sie Ihr erster Erkenntnis­drang, als Sie nach der Matura nach Wien kamen? Mich hat damals vorrangig die Moderne interessie­rt. Mittlerwei­le schaue ich gern auf die Zeit, die hoch ornamentie­rt ist. Das hätte ich mir früher nicht träumen lassen, dass mich das jemals interessie­ren, ja sogar begeistern könnte. Aber dies alles passiert mit dem nötigen Wissen und Abstand. Das Tolle an Wien ist, dass es eine Stadt ist, die dir die ganze Bandbreite an Möglichkei­ten zeigen kann. Deshalb finde ich Städtetour­ismus weitaus interessan­ter als Reisen in die Natur. Was ist interessan­t an historisch­en Häusern? Die alten Gebäude erzählen dir, was innen stattfinde­t. Witzigerwe­ise ist unsere moderne Zeit ganz anders. Diese glatten Fassaden, die sagen: „Bleib draußen!“Erst in der Nacht fangen sie an, transparen­t zu werden, zu glühen und dir ihre Geschichte­n zu erzählen. Dann siehst du aber auch Sachen, die du womöglich gar nicht sehen willst. Sie bezeichnen die Mondlandun­g als besonders wichtigen Punkt in Ihrer Entwicklun­g. Wie kam es aber dazu, dass Sie sich justament in diesem Moment des Aufbruchs ins All für die Gestaltung von Rückzugsrä­umen zu interessie­ren begannen? Architektu­r als Studienric­htung habe ich gewählt, weil ich davon überzeugt war, dass wir früher oder später den Planeten verlassen und Habitate schaffen würden. Meine Diplomarbe­it war ja der Entwurf eines Kulturzent­rums auf einem fremden Planeten. Ob Laubhütte oder Palast, es gilt einen Weg zu finden, dass Innenräume Schutz bieten. Diesbezügl­ich glaube ich an modernste Materialie­n, aber nicht an eine Vision der Zukunft, die nur noch glatte Oberfläche­n hat. Egal, ob man auf der Erde oder auf dem Mars baut, es gilt,

1956

Geboren in Wels. Studium der Architektu­r an der Technische­n Universitä­t Wien, später Arbeit in verschiede­nen Architektu­rbüros, in Werbeagent­uren und bei Filmproduk­tionen. Zwischen und

war Eichinger persönlich­er Assistent von Peter Weibel.

1984 1985

folgte die Gründung der Bürogemein­schaft Eichinger oder Knechtl. Das Büro realisiert­e zahlreiche Projekte in der Kunstund Kulturszen­e. Eichinger gestaltete etwa das Caf´e Stein, das Wrenkh, Halle 2 im Museumsqua­rtier, das Palmenhaus, die Weinhandlu­ng Unger & Klein. Vertreten war er auch in der Biennale Venedig.

1991 1981

erhielt er den Staatsprei­s für experiment­elle Architektu­r. Seit den 90er-Jahren lehrt er als Gastprofes­sor an der TU Wien. auf die menschlich­en Bedürfniss­e zu achten. Etwa auf den Wunsch nach Geborgenhe­it, der automatisc­h an den Raum gerichtet wird. Für mich war es so, dass einen Meter über dem Boden bereits der Outer Space beginnt. Erdnaher Weltraum, sozusagen. Das von mir 1985 entworfene Cafe´ Stein enthält so allerlei Skylab-Zitate. Ihrer Biografie zufolge hätten Sie auch Künstler oder Regisseur werden können . . . Ich habe tatsächlic­h ein Kunststudi­um angestrebt, habe aber die Aufnahmspr­üfung nicht geschafft. Ich habe mich entschloss­en, ein Jahr in der Warteposit­ion in der Architektu­r zu verbringen, um danach Regie zu studieren. Der Film hat mich emotional sehr angezogen. Im Kino in Lambach saß ich nicht selten in der Nachtvorst­ellung allein mit dem Betreiber. Etwa bei der Henry-Miller-Verfilmung „Quiet Days in Clichy“. Dieser Kinobesitz­er hat das normale Programm für die Lambacher geliefert, aber auch Filme für sich selbst bestellt. Davon habe ich profitiert. Kann man sich als Architekt ähnlich gut ausdrücken wie ein Filmregiss­eur? Ich würde sagen, um die Begrenzung­en finanziell­er und rechtliche­r Natur wissen wir Bescheid. Die sind nicht unser Problem. Schwierig wird es, wenn man darauf kommt, dass der Bauherr eigentlich das nicht will, auf das man sich geeinigt hat. Aber Sie haben sich ja in all den Jahren eine Sprache zugelegt . . . Ja, natürlich. Über die Jahre habe ich mir ein Repertoire zugelegt, das ständig erweitert wird. Um bei der Metapher zu bleiben, besteht sie aus unterschie­dlichen Dialekten, die permanent mutieren. Aber mein vorrangige­s Ziel ist es, dass sich der Bauherr im Geschaffen­en wohlfühlt. Sie waren einige Jahre lang Assistent von Peter Weibel. Hat sich das auf Ihre Arbeit als Architekt ausgewirkt? Ja, natürlich. Bei ihm habe ich alles gelernt. Er hat mich auch zuweilen mit Valie Export geteilt. Das war eine ganz intensive, wichtige Zeit für mich. Ich kenne niemanden, der so ein unglaublic­h tiefes Wissen gesammelt hat wie Peter Weibel und in unterschie­dlichsten Diszipline­n Überrasche­ndes denken kann. Im Grunde glaube ich, dass ich meine Entwurfsme­thodik bei ihm gelernt habe. Die Vielfältig­keit, mit der man etwas anschauen kann. Nur das zu machen, was von einem erwartet wird, und damit erfolgreic­h zu sein, das ist schön, aber mein Zugang ist das nicht. Die Qualität von Innenarchi­tektur zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sie verfällt. Bedenken Sie das ausgiebig? Auf jeden Fall. Gemeinsam alt zu werden, mit den Dingen, die uns umgeben, halte ich für sehr wichtig. Man möchte leider viel zu oft, dass alles immer so aussieht, als ob es neu wäre. Wenn man es nicht zulassen kann, dass etwas sichtbar altert, dann heißt das auch, dass man es nicht benutzen kann. Die Dinge müssen mit uns gemeinsam in Würde altern dürfen. Der japanische Autor Tanizaki Junichir¯o preist in seinem Büchlein „Lob des Schattens“den sogenannte­n Handglanz. Das Abgegriffe­nsein wird in seiner Ästhetik etwas durch und durch Positives. Diese Ansicht berührt mich sehr. Der Handglanz ist etwas ganz Besonderes, weil er die Emotion zum Objekt sichtbar macht. Wir in Europa sind anders sozialisie­rt. In demselben Werk gibt es ein Kapitel, das sich ausgiebig mit der Verteilung von Licht und Schatten im Raum beschäftig­t. Wie wichtig ist das für Ihre Entwürfe? . . . warum Ihr erstes Büro Eichinger oder Knechtl hieß? Jeder sollte für sich stehen. Es waren ja unsere unterschie­dlichen Temperamen­te und Herangehen­sweisen, die uns zusammenge­führt haben. Dafür stand dieses „oder“. Wir haben uns gegenseiti­g aus unserer Rolle herausgeho­ben. Ich habe gelernt, auf die Bühne zu gehen, der extroverti­erte Knechtl, sich zurückzune­hmen. . . . wie Sie zum Makel stehen? Ich mag ihn. Ich sehe das Bestreben nach Perfektion in der Vergangenh­eit, halte aber den Makel für unsere Zukunft. Künstliche Intelligen­z macht keine Fehler. Der Makel ist die Signatur des Menschen. . . . worauf Sie sehr stolz sind? Auf meine Mitarbeit am Film „Unsichtbar­e Gegner“von Valie Export im Jahr 1977. Zusammen mit Christian Knechtl habe ich die Filmarchit­ektur gemacht. Und auf eine mit vielen weißen Ratten besetzte Kulisse, die ich für „Kottan ermittelt“bauen durfte. Dafür bin ich beinahe vom Gerüst gefallen. Sehr. Ein Initiation­serlebnis für mich war der Michael-Curtiz-Film „Casablanca“. Beim vierten oder fünften Mal des Anschauens fiel mir auf, dass Rick’s Cafe´ Americain eigentlich durch Schatten eingericht­et ist. Was dem Menschen guttut, das ist der Schatten. Er bietet Schutz. In den Neunzigerj­ahren waren Sie gemeinsam mit Horst Scheuer und Jürgen Bauer Betreiber der legendären XXX-Technopart­ys. Was war da Ihr Ehrgeiz? Ich habe selbst so gern getanzt. Oft eröffnete ich die jeweilige Tanzfläche. Die XXX-Events waren zunächst gar keine Techno-Feste. Wir begannen mit Clubbings an unterschie­dlichen Orten. Das ist dann viral geworden. 10.000 Besucher hatten wir am Ende. Im noch geteilten Berlin verbrachte­n Sie einmal Silvester mit Nick Cave . . . Durch gemeinsame Freunde habe ich tatsächlic­h mit Blixa Bargeld und Nick Cave Silvester in Kreuzberg feiern können. Das waren damals die coolen Jungs, zigarrenra­uchend und im Anzug. Gegen Mitternach­t sind wir aufs Flachdach hinauf. Von unten schlich das Tränengas die Fassade hoch, die Feuerwerks­körper wurden von den Wohnungen auf die Polizei abgefeuert. Das Feuerwerk fand unten in der Straße statt und nicht im Himmel über Berlin. Nick Cave schwärmt jüngst dafür, grausam mit seinen eigenen Ideen umzugehen. Er editiert mittlerwei­le gnadenlos. Ist das ein Zeichen der Reife? Unbedingt. Man beginnt mit dem heißen Herzen und endet im kalten Blick. Als junger Mensch pfeift man auf derlei Bedenken. Der kalte Blick ist eine Qualität des Alters. Immer noch versteht man das heiße Herz, aber der Blick heftet sich auf das Wesentlich­e. Das ist das Stadium der Meistersch­aft.

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Clemens Fabry „Der Schatten tut dem Menschen gut“, sagt der Architekt Gregor Eichinger.
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