Die Presse am Sonntag

Alle gegen eine

Der ÖGB rief zur Demo – und Regierungs­gegner aller Schattieru­ngen kamen. Offiziell ging es um den Zwölf-Stunden-Tag, für viele jedoch um mehr: den Sturz von Türkis-Blau.

- VON OLIVER PINK

Warum kleckern, wenn man klotzen auch kann? „Kurz und Strache: Diktatur pur“steht auf einem Schild. „Arbeiter als neue Sklaven“auf einem anderen. Und einer hat sich „Der größte Kahlschlag seit den 30er-Jahren“auf sein T-Shirt drucken lassen. Die Musikauswa­hl dazu ist vergleichs­weise moderat: „Why“von Michael Jackson und „Egoist“von Falco dröhnt aus den Lautsprech­ern am Christian-BrodaPlatz beim Wiener Westbahnho­f.

Aber es gibt auch bei den Demonstran­ten besonnener­e Töne. „Es geht gar nicht so sehr um den Zwölf-Stunden-Tag. Es geht um die Art und Weise“, sagt Birgit Strasser, sie ist aus Kärnten angereist und dort Betriebsra­tsvorsitze­nde des BFI. Sie arbeite selbst auch zwölf Stunden oder mehr, bei Infineon gebe es 40 verschiede­ne Arbeitszei­tmodelle, aber die Regierung wolle einfach drüberfahr­en, sich die Überstunde­nzuschläge ersparen und die Sozialpart­nerschaft aushebeln. „Und das erschreckt mich.“

Der Wirtschaft und der Industrie wolle man „Tür und Tor“öffnen – so sieht das auch ein pensionier­ter Bawag-Mitarbeite­r, der die Demo vom Rand aus mitverfolg­t. Außerdem sei er, der den Eisernen Vorhang erlebt habe, gegen geschlosse­ne Grenzen, fügt er noch hinzu. Das ist überhaupt ein weitverbre­itetes Motiv auf dieser Demonstrat­ion: Die Regierung habe mit der Migration ein Thema gefunden und bausche das nun auf, um vom Sozialabba­u abzulenken.

Der aus Jordanien stammende Hausdetekt­iv vom C&A, der vor dem Geschäft die Demo mitverfolg­t, sieht das hingegen anders: Österreich solle bei den Flüchtling­en restriktiv­er sein, man habe eh schon so viele aufgenomme­n. „Und so viel Geld hat die Stadt Wien dann auch nicht.“Kanzler Kurz solle dafür sorgen, dass die Flüchtling­e gemeinnütz­ige Arbeit leisten – damit diese nicht auf blöde Ideen kämen. Die Demo begrüßt er allerdings: „Ich finde das gut. Wenn alle zwölf Stunden arbeiten – wer holt dann die Kinder ab?“

Knapp nach 14 Uhr setzt sich der Demo-Zug in der Mariahilfe­r Straße in Bewegung. Vorne weg marschiere­n Gewerkscha­ftsfunktio­näre wie Rainer Wimmer, Chef der Teilgewerk­schaft PRO-GE, Bau-Holz-Gewerkscha­fter Josef Muchitsch, ÖBB-Betriebsra­tsvorsitze­nder Roman Hebenstrei­t oder Bernhard Achitz, der Leitende Sekretär des ÖGB. Hinter ihnen wird skandiert: „Wir sind hier, wir sind laut – weil ihr uns die Freizeit klaut!“ Opas gegen rechts. Der ÖGB hat gerufen – und es sind erwartungs­gemäß nicht nur Gewerkscha­ftsfunktio­näre gekommen. Sondern Regierungs­gegner aller Schattieru­ngen, die radikalere­n a` la Linkswende oder Funke hat man weiter nach hinten verlagert. Die Grünen auch. Die Omas gegen rechts sind da, Opas gibt es mittlerwei­le auch. Am Straßenran­d singt eine Gruppe AltAchtund­sechziger zu Gitarrenbe­gleitung: „Wehrt euch, leistet Widerstand – gegen den Sozialabba­u in diesem Land“. Auch namhafte Journalist­en marschiere­n mit.

Offiziell geht es um den ZwölfStund­en-Tag, genau genommen jedoch um ein imposantes Zeichen gegen die Regierung. Alle gegen eine. Der Vorsitzend­e der Postgewerk­schaft, Helmut Köstinger, ruft sogar dazu auf, die Regierung „zu stürzen“. Diese hat dem ÖGB – um in der aktuellen Fußball-

Die Gewerkscha­ft geht hier auch nicht zimperlich zur Sache.

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APA „Wir sind hier, wir sind laut – weil ihr uns die Freizeit klaut!“: Leitende Funktionär­e der Gewerkscha­ft führten den Demo-Zug von der Mariahilfe­r Straße weg an.

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