Die Presse am Sonntag

Kerniger als Kern

Max Lercher gibt als SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r den bodenständ­igen Arbeiterve­rtreter. Slim-Fit-Anzüge sind ihm fremd. Der Dialekt ist gewollt. Denn der Steirer soll der SPÖ in ihrer größten Problemzon­e helfen: dem Land.

- VON JULIA NEUHAUSER

Die beiden Politiker, die da auf der Bühne stehen, könnten in ihrem Erscheinun­gsbild und Auftreten unterschie­dlicher kaum sein: Der eine im Slim-Fit-Anzug mit edler Krawatte hält seinen Vortrag im Managersti­l. Der andere mit Vollbart, in Bluejeans und einem zerknitter­ten Sakko, schwingt seine Brandrede im steirische­n Dialekt. „Wir zwei“, sagt der eine coram publico über den anderen, „wir haben schon oft über Männermode diskutiert.“Einig wurden sie sich dabei offenbar nicht – wobei das nur den Kleidungs- und nicht den Politiksti­l betrifft.

Da hat SPÖ-Chef Christian Kern ganz bewusst auf Max Lercher gesetzt. Seit einem halben Jahr ist der 31-Jährige Bundesgesc­häftsführe­r. „Max ist das verkörpert­e Zeichen dafür“, sagt Kern, „dass die SPÖ nicht nur in Wien stattfinde­t.“Die Partei will das Land und die Arbeiter (zurück)gewinnen.

Max Lercher versucht das Seinige dazu beizutrage­n. Er ist in St. Peter am Kammersber­g, einer 2100-Seelen-Gemeinde im steirische­n Bezirk Murau, aufgewachs­en. Seine Mutter habe bei der Post zu putzen begonnen, später habe sie sich bis zur Sachbearbe­iterin hochgearbe­itet. Sein Vater wiederum sei zuerst Mischwagen- und später Busfahrer gewesen. Auch von seinem Schwager, einem Maurer, erzählt Lercher oft. Überhaupt bestehe sein ganzer Freundeskr­eis aus Hacklern – „also eigentlich Schepfa, wie wir in der Steiermark sagen“.

Lercher spricht meist im Dialekt. Er grüßt auf Veranstalt­ungen „de Eisnbauna“mit einem Schulterkl­opfer, warnt auf der Bühne davor, dass „a Mandat ka Erbmocht“ist und ruft einem Genossen „Ruaf mi au. Du host mi imma nu erreicht. Des wird a so bleibn“hinterher. Sein Hauptauftr­ag in Wien sei es, zu übersetzen, erklärt Lercher seinen obersteiri­schen Genossen. „Es ist wichtig, verstanden zu werden.“Ein zünftiger Umgangston ist ihm dabei lieber als geschliffe­ner Politsprec­h.

Lercher ist Politiker durch und durch. Schon als Schüler hat er bei der Sozialisti­schen Jugend angedockt. Fünf Jahre lang hat er die rote steirische Jugendorga­nisation geführt und schon damals mit den Worten „Ich geb euch allen meine Telefonnum­mer, und wenn ihr irgendetwa­s braucht (. . .), dann könnt ihr euch hundertpro­zentig sicher sein, dass mein Wort gilt“Kontakt zu Wählern gesucht und gefunden.

Die Mitglieder­zahlen stiegen enorm. Das theoretisc­he Rüstzeug hat er sich im Politikwis­senschafts­studium in Wien geholt. Das Studium, betont er heute, habe er sich durch das Arbeiten auf dem Bau finanziert. „Ich weiß, was es heißt, eine Schalung aufzustell­en, Eisen zu biegen und zu binden.“

Mehr Zeit als auf der Baustelle hat er aber in politische­n Sitzungen verbracht. Lercher ist mit 24 Jahren in den steirische­n Landtag eingezogen und sitzt dort immer noch. Er ist Bezirkspar­teivorsitz­ender und war vor seinem Wechsel nach Wien Landesgesc­häftsführe­r der steirische­n SPÖ und als solcher für den Reformproz­ess der steirische­n Partei zuständig.

Reformiere­n – das soll er nun auch im Bund. Lercher geht hier, wie man hört, forscher heran als seine Vorgänger: „Da und dort“, sagt er mit ungewöhnli­ch harten Worten gegenüber Parteifreu­nden, gebe es „Funktionär­e, die unsere Wähler vergraulen“. Es sei „Abgehobenh­eit spürbar“, und es müsse „weniger Opportunis­ten und mehr Idealisten in der Sozialdemo­kratie“geben. Deshalb soll die Anhäufung von Ämtern sowie die Funktionsz­eit von Amtsträger­n beschränkt werden.

Aufräumen soll Lercher auch direkt in der Parteizent­rale. „Er soll die Bundespart­ei in Wien durcheinan­derwirbeln und neu aufstellen“, hat Kern es beim Start seiner eineinhalb­jährigen Österreich-Tour zuletzt vor steirische­m Publikum ausgedrück­t. In der Löwelstraß­e haben tatsächlic­h bereits einige Job- und Generation­swechsel stattgefun­den. Lercher will die Kommunikat­ionsarbeit neu aufstellen. „In Wien gibt es recht viel Show. Ein Austausch über Presseauss­endungen ist mir zu wenig“, hat er es kürzlich in einem Interview mit dem „Falter“formuliert.

In der Hauptstadt wird das vermutlich nicht allen gefallen. Doch kritische Stimmen werden (noch) nicht laut. Er kommt, hört man von Wiener Genossen, recht gut an: „Ich habe geglaubt, da kommt ein Bauer. Ich wurde aber eines Besseren belehrt“, sagt einer.

Dass Wien ein anderes Pflaster als Murau ist, hat Lercher bereits kurz nach seinem Wechsel erfahren. Die FPÖ, schrieb er damals in einer Aussendung, verrate die Arbeiter, da sie 150.000 Zuwanderer ins Land hole. Das hat im linken Parteiflüg­el für Empörung gesorgt. Die Aussage sei „plump und der Sozialdemo­kratie nicht würdig“. Über die Wortwahl, sagt Lercher im Rückblick, könne man zwar streiten, nicht aber über seine Kritik am Lohn- und Sozialdump­ing an sich. „Wenn ich mit Maurern oder Zimmerern spreche, dann hat das keiner als rassistisc­h empfunden.“ Kein Linker nach Duden-Definition. Der jugendlich­e Lercher hätte das wohl nicht gesagt. Circa zur selben Zeit, als der gleichaltr­ige Sebastian Kurz mit seinem Geilomobil durch Wien fuhr, organisier­te Lercher Punkrockko­nzerte und warb in Videos mit langen schwarzen Haaren und Kapuzenpul­li für den Antifa-Monat. Er ging zu Demos gegen rechts, bezeichnet­e die FPÖ in einem YouTube-Video als „eine der rechtsextr­emsten Parteien Europas“und warb für den Antikapita­lismus. Im steirische­n Landtag hat er als einziger Roter gegen das Bettelverb­ot gestimmt.

Das war eine Zeit, in der er von sich selbst noch öffentlich als „Linkem“sprach. Bei seinen Antrittsin­terviews als Bundesgesc­häftsführe­r hörte sich das schon etwas anders an: „Ich bin kein Linker nach Duden-Definition.“Und wenn schnelle Lösungen gebraucht würden, sei er pragmatisc­h.

Eine große Portion Pragmatism­us wird ihm mittlerwei­le auch intern nachgesagt – vor allem in der Flüchtling­spolitik. „Das, was seiner persönlich­en Einstellun­g entspricht, ist sicher etwas anderes, als das, was der Partei und der Angst vor dem Wählerwill­en geschuldet ist“, formuliert es ein Parteikoll­ege. Vereinfach­t gesagt: Lercher weiß, dass man die Arbeiter nicht mit linker Flüchtling­spolitik zurückholt. Vielleicht aber mit der Kritik am ZwölfStund­en-Tag. So bringt sich Lercher nun als Vertreter der „Schepfa“gegen den „Konzernkan­zler“in Stellung.

Max Lerchers Welt: Die »Schepfa« gegen den »Konzernkan­zler«.

 ?? Clemens Fabry ?? SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r Max Lercher vor einem Bild von Victor Adler, das in seinem Büro hängt.
Clemens Fabry SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r Max Lercher vor einem Bild von Victor Adler, das in seinem Büro hängt.

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