Die Presse am Sonntag

»Der Messias aus den Tropen«

Bei den Präsidente­nwahlen in Mexiko, die am heutigen Sonntag stattfinde­n, zeichnet sich ein Linksruck ab. Die besten Chancen auf den Sieg hat Andr´es Manuel L´opez Obrador, der ehemalige Bürgermeis­ter der Hauptstadt.

- VON ANDREAS FINK (ZACATECAS)

Auf einer Bühne, umrahmt von Kisten voller Kokosnüsse und Limetten, steht ein weißhaarig­er Mann, der schreit und schwitzt. Von seinem Rednerpult aus übersieht Andres´ Manuel Lopez´ Obrador ein Meer von Sombreros, die in der Sonne zu schweben scheinen. Die Männer unter den Hüten sind Bauern – oder waren es einstmals, ehe das Nordamerik­anische Freihandel­sabkommen Nafta Mexikos Kernland auf den Kopf stellte. Jetzt nehmen viele hier alle Jobs, die sie nur finden können, um mit dem Erlös Mais zu kaufen, produced in USA.

Lopez´ Obrador – oder „Amlo“, wie er weithin bekannt ist – verheißt, dass diese Bauern bald wieder auf ihre Felder zurückkehr­en könnten. Er würde kostenlose­n Dünger und billigen Treibstoff liefern und garantiert­e Mindestpre­ise für Feldfrücht­e aus Zacatecas festlegen. Die Felder des zentralmex­ikanischen Bundesstaa­ts würden wiedererwe­ckt. So würde Arbeit geschaffen und der Landjugend bliebe nicht allein die Perspektiv­e, illegal in die USA auswandern zu müssen. Doch um diese Kettenreak­tion des Wohlstands zu zünden, brauche es an der Wahlurne ein Verdikt über jene Klasse, denen der Redner Attribute widmet, die der ländlichen Umgebung entspreche­n: „Dreckschwe­ine!“, faucht er. „Säue! Ferkel!“

Solche Auftritte absolviert Andres´ Manuel Lopez´ Obrador seit vielen Jahren. Inzwischen hat er sämtliche 2457 Gemeinden des zehntgrößt­en Flächensta­ates der Erde besucht und dabei mit seiner hohen Stimme jene anstehende vierte mexikanisc­he Revolution verkündet, die ihn an die Staatsspit­ze bringt und damit die Grundübel der mexikanisc­hen Gesellscha­ft tilgt: „Wir werden die Korruption abschaffen und den Drogenkrie­g beenden.“

Ob die Mexikaner das wirklich glauben, weiß keiner. Aber wenn die Demoskopen nicht vollkommen danebenlie­gen, haben die Wähler ihre bisherige politische Führung so satt, dass sie am Sonntag tatsächlic­h den Mann zum Staatschef machen werden, den das mediale Establishm­ent des Landes stets als politische­n Cousin von Hugo Chavez´ porträtier­t hatte.

Mexiko steht vor einem Ruck nach links. In Umfragen erreicht Amlo Zustimmung­swerte von knapp unter 50 Prozent, damit liegt er mehr als 20 Prozent vor dem konservati­ven Kandidaten, Ricardo Anaya, und dem Bewerber der aktuellen Regierung, Antonio Meade. Zudem könnte die linke Koalition aus Lopez´ Obradors aktueller Partei Morena und seiner vorherigen Formation PRD auch die Mehrheit im Kongress und im Senat erobern. Seit Mitte der 1990er-Jahre hatte kein Präsident Mexikos mehr eine solche Machtfülle in Händen. Mord und Mafia. Nach der Tequila-Krise in den 1990er-Jahren und dem Niedergang der das gesamte 20. Jahrhunder­t dominieren­den Partei der institu- tionalisie­rten Revolution (PRI) war das politische Spektrum im zweitgrößt­en Land Lateinamer­ikas faktisch dreigeteil­t. Zwischen 2000 und 2012 regierten die konservati­ven Präsidente­n Vicente Fox und Felipe Calderon,´ ehe 2013 mit Enrique Pen˜a Nieto die PRI an die Steuerhebe­l zurückfand. Pen˜a Nieto hatte einen Relaunch der alten Machtmasch­ine versproche­n. Doch tatsächlic­h versank das Land in einer Welle von Korruption, Kriminalit­ät und Straflosig­keit. Durchschni­ttlich 80 Morde pro Tag wurden 2017 registrier­t, dem blutigsten Jahr seit Beginn der mexikanisc­hen Verbrechen­sstatistik. Und 99 Prozent aller Gewaltverb­rechen bleiben ohne Aufklärung. Die Justiz ist kollabiert, die Drogenmafi­a hat weite Teile des Staates unterwande­rt und teilweise direkt übernommen.

Während vor allem der Norden des Landes zur Werkbank für die US-Industrie wurde, drangen die Früchte dieses Wachstums kaum zur arbeitende­n Bevölkerun­g durch. Mexiko hat heute das mit Abstand niedrigste Lohnniveau aller OECD-Staaten, gleichzeit­ig ist die Schere zwischen Arm und Reich doppelt so weit geöffnet wie in Chile, das an zweiter Stelle jener Statistik liegt, die im OECDRaum die Wohlstands­verteilung beschreibt. Das ist der Grund, warum Amlo nun auch in den Industrieg­ebieten des Nordens Mehrheiten findet.

Der 64-Jährige hatte bereits 2006 und 2012 für das Präsidente­namt kandidiert. Der Politiker aus dem armen Bundesstaa­t Tabasco war an der Spitze sozialer Protestbew­egungen in die Hauptstadt gezogen und wurde dort so bekannt, dass er im Jahr 2000 das Bürgermeis­teramt erobern konnte. Dass er aus diesem Amt mit 80 Prozent Zustimmung schied, ist eines seiner wichtigste­n Argumente heute. Das andere ist die Bilanz von damals. 2005 gaben sowohl Moody‘s als auch Standard and Poor’s der Kreditwürd­igkeit der Stadt Mexiko die besten Bewertunge­n, nachdem Lopez´ Obrador tatsächlic­h einige bedeutende Sozialprog­ramme ins Werk setzte, ohne neue Kredite aufzunehme­n.

Das verspricht er auch für die Präsidents­chaft, seine Administra­tion wolle für die Ankurbelun­g der Landwirtsc­haft und Industrie jene Milliarden einsetzen, die bislang versickert seien. Anders als in den zwei gescheiter­ten Anläufen zuvor, bei denen Amlo als radikaler Linker aufgetrete­n war, präsentier­t er sich heute weniger aggressiv. Hinter den Kulissen versucht sein Team offenbar, Barrieren abzubauen – auch in Richtung Wall Street.

Mexiko hat das mit Abstand niedrigste Lohnniveau unter den OECD-Staaten.

Besuch bei Blackrock. So traf sich der Kandidat in aller Abgeschied­enheit mit Larry Fink, dem CEO von Blackrock, dem größten Vermögensv­erwalter der Welt. Auch weitere Finanzfirm­en empfingen offenbar den „Messias aus den Tropen“, erfuhr Reuters. Der Ökonom Carlos Urzu´a, einst Finanzchef in Mexiko-Stadt und wahrschein­lich Mexikos künftiger Finanzmini­ster, versichert, dass Lopez´ Obrador Budgetüber­schüsse von 0,5 bis 1,0 Prozent des BIPs in den kommenden Jahren anstrebe. Zum Ende der sechsjähri­gen Legislatur­periode solle Mexikos Wirtschaft um fünf Prozent zulegen.

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APA Andr´es Manuel L´opez Obrador hat das Wahlvolk auf seiner Seite. In Umfragen kommt der linkspopul­istische Präsidents­chaftskand­idat auf knapp 50 Prozent.

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